ESC-Jubiläen 2023: Schulte, Céline Dion und "Volare"

Stand: 05.01.2023 12:45 Uhr

Im Jahr 2023 jähren sich einige bedeutende ESC-Momente, die den Wettbewerb oder die Musiklandschaft verändern sollten. Dazu zählen der Start von Weltkarrieren wie von Céline Dion und der ein oder andere skurrile Act.

von Marcel Stober

Vor fünf Jahren: Michael Schulte und das "Fuego"

Beim ESC 2018 in Lissabon war vieles bemerkenswert. Kurz vor dem Finale herrschte großes Rätselraten, wer wohl die Show gewinnen würde. Ein im Vorfeld so offenes Finale hat es schon lange nicht mehr gegeben. Auch Deutschlands Michael Schulte war kurz vor der Show bei den Buchmachern bis fast ganz nach oben geklettert und holte am Ende einen vierten Platz, der einigen Fans Freudentränen ins Gesicht trieb. Noch ein bisschen überraschender mag Cesár Sampsons dritter Platz für Österreich gewesen sein. Der in Linz geborene Musiker und Songschreiber hat sogar das Juryvoting für sich entschieden. Netta aus Israel konnte schließlich die ESC-Trophäe nach Tel Aviv bringen, aber für die kommenden ESC-Shows scheint Platz zwei noch einen größeren Einfluss gehabt zu haben. Mit "Fuego" holte Eleni Foureira das bislang beste Ergebnis für Zypern. Und bis heute wird jeder Latin-Popsong beim ESC von Fans erst einmal mit ihrem verglichen.

Vor zehn Jahren: Startnummern werden nicht mehr ausgelost

Emmelie de Forest beim ESC in Malmö © NDR Foto: Rolf Klatt
Der Sieg in der Nachbarstadt: Emmelie de Forrest holte den ESC von Malmö ins 30 Kilometer entfernte Kopenhagen.

Wenn der ESC nach Schweden kommt, bringt das große Veränderungen mit sich. Beim ESC 1975 in Stockholm wurde die Punktevergabe generalüberholt und es wurden zum ersten Mal die berühmten zwölf Punkte verteilt. Seit dem ESC 2016 in Stockholm verteilt jedes Land sie sogar zweimal - als Wertung des Publikums und von der Jury. 2013 in Malmö schließlich brachen die Produzenten mit einer weiteren Tradition: dem Auslosen der Startreihenfolge. War es sonst die Regel, dass diese zufällig bestimmt wird - mit ab und an kleinen Ausnahmen, so entscheidet seit 2013 der gastgebende Sender über die Auftrittsreihenfolge, die dann von der Europäischen Rundfunkunion (EBU) bestätigt wird.

Ausgelost wird nur noch, ob in der ersten oder zweiten Hälfte der Show gesungen wird - sowie der Startplatz des Gastgebers. Diese neue Regelung führt nun aber nicht nur zu mehr Abwechselung der Songs, sondern auch dazu, dass die Favoriten von den Produzenten stets weit ans Ende der ersten oder zweiten Hälfte gesetzt werden. 2013 gewann die Dänin Emmelie de Forrest von Startplatz 18 aus den Abend, seitdem haben nur noch Songs der Startnummern 10 bis 12 (Ende erste Hälfte) oder 21 bis 24 (Ende zweite Hälfte) gewonnen.

Vor 15 Jahren: Piraten, ein Truthahn und eine Zwiebel

Dustin the Turkey aus Irland © EBU
Tiere sind beim ESC ja eigentlich verboten. Truthahn Dustin durfte in Belgrad aber antreten.

Musikalisch waren weite Teile des ESC 2008 in Belgrad nicht das Gelbe vom Ei. Bis heute ist es wohl auch der Jahrgang mit den meisten Trash-Songs im Wettbewerb. Irland trat in diesem Jahr mit dem schon heute legendären Dustin the Turkey im Halbfinale an. Doch das Flehen der krakeelenden Truthahn-Puppe aus dem irischen Kinderfernsehen um "Irlande douze pointe" half nichts. Dustin blieb der Flug ins Finale verwehrt.

Gleiches galt auch für die Gruppe Kreisiraadio aus Estland. Ihr "Leto Svet" sollte eine Parodie auf den Song Contest sein. Warum die Esten den Song auf Serbisch, Finnisch und sogar Deutsch sangen und dabei Bilder von Zwiebeln und Kuchenstücken hochhielten, blieb aber vielen ein Rätsel. Ins Finale geschafft hatte es dafür die Gruppe Pirates Of The Sea aus Lettland. Als Freibeuter verkleidet enterten die Letten mit ihrem Mitstampf-Popsong "Wolves Of The Sea" sogar Platz zwölf. Bei Spaniens "Baila El Chiki Chiki" fielen Tänzerinnen absichtlich hin und rutschten aus. Sänger Rodolfo Chikilicuatre kam damit auf einen achtbaren Rang 16.

Vor 20 Jahren: Der letzte Ralph-Siegel-Song für Deutschland

Wohl kein Komponist hat den Eurovision Song Contest so geprägt wie Ralph Siegel. Und kein Komponist hat so viele Titel für den Wettbewerb geschrieben wie er - im Jahr 1980 steckte er sogar hinter zwei Songs, trat also im Prinzip gegen sich selbst an. Für Riga 2003 komponierte Siegel zum vorerst letzten Mal ein Lied für sein Heimatland Deutschland. Bernd Meinunger schrieb wie zu vielen seiner Songs den Text. Schlagersängerin Lou gewann mit "Let's Get Happy" den deutschen Vorentscheid in Kiel und erreichte in Riga einen guten geteilten elften Platz. Mit dem Sieg hatte Deutschland aber nichts zu tun. In einer der spannendsten Punktevergaben aller Zeiten gewann Sertab Erener aus der Türkei mit 167 Punkten. Sie hatte zwei Punkte Vorsprung auf Belgien auf Rang 2 und drei Punkte auf Russland an Platz drei.

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Ralph Siegel präsentiert am 08.09.2015 seine Autobiografie in München (Bayern). © dpa Foto: Matthias Balk

Ralph Siegels Leben in zehn Songs

Ralph Siegel hat einen Riecher für Musik - acht Mal war er als Komponist unter den ersten vier beim ESC. Im Interview anlässlich seines 70. Geburtstags spricht er über Siege und Niederlagen. mehr

Vor 25 Jahren: Der ESC erfindet sich neu

Der Eurovision Song Contest hatte die Ausgabe 1998 in Birmingham bitter nötig. Mitte der 90er-Jahre wurde Irland zum Rekordsieger. Langsame Songs, die nichts mit dem europäischen Populär-Musikgeschmack zu tun hatten, füllten die Sendung bis dahin. Die Einschaltquoten in Deutschland waren im Keller. Doch 1998 änderte alles. Erstmals stimmten fast alle Teilnehmerländer per Televoting ab und das Stimmrecht der Jury war gebrochen. Guildo Horn zeigte der Welt, dass Deutschland Spaß versteht - auch wenn ihn nach seinem Sieg im Vorentscheid in Bremen längst nicht alle witzig fanden. Auch die Transgender-Sängerin Dana International aus Israel war in ihrem Heimatland heiß diskutiert. Sie gewann mit dem Pop-Evergreen "Diva" den Wettbewerb. Und die ausrichtende BBC verstand es, mit fahnenschwenkenden Fans im Publikum Stimmung zu erzeugen. Ein Jahr darauf ging die Modernisierung weiter: 1999 fielen dann auch noch das Live-Orchester und der Zwang zum Singen in Landessprache weg.

Vor 30 Jahren: Mehr Teilnehmer als Startplätze

Barbara Dex nahm 1993 für Belgien am ESC teil.
Barbara Dex wurde mit ihrem selbstgenähten Outfit Letzte beim ESC 1993. Belgien musste daraufhin 1994 aussetzen.

Heute sind Halbfinals beim Eurovision Song Contest gang und gäbe. Doch 1993 in Millstreet hatten die Veranstalter zum ersten Mal das Problem, dass mehr Länder beim ESC mitmachen wollten, als es Finalstartplätze gab. Der Grund: Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung Europas Richtung Osten wollten viele Länder erstmals teilnehmen. Die ESC-Show sollte allerdings nicht zu lang werden. Deshalb fand schon vor dem ESC im April 1993 ein osteuropäischer Vorentscheid in Slowenien statt. Eine Jury entschied, welche drei Länder der sieben Bewerber beim ESC debütieren durften. Außerdem wurde festgelegt, dass von nun an die schlechtesten Länder einer ESC-Show im Folgejahr aussetzen mussten. Das traf unter anderem Belgien, das auf dem letzten Platz landete. Sängerin Barbara Dex allerdings blieb wegen ihres selbstgenähten Kostüms und einem nach ihr benannten Negativ-Preis für das schlimmste ESC-Outfit im Gedächtnis. Auch Luxemburg auf Platz 20 qualifizierte sich nicht für die Teilnahme im folgenden Jahr. Der Auftritt des Duos Modern Times in Millstreet sollte daraufhin der letzte des Landes beim ESC geblieben sein.

Vor 35 Jahren: Céline Dion startet internationale Karriere mit ESC-Sieg

Céline Dion beim ESC 1988 in Dublin. © RTÉ Foto: RTÉ
Mit nur einem Punkt Vorsprung holte sich Céline Dion beim ESC 1988 den Sieg.

Wer Céline Dion ist, muss man heute wohl kaum jemandem erklären. 1988 sah das noch anders aus. Damals hatte sich die im französischsprachigen Kanada geborene Sängerin zwar in ihrer Heimat schon als Kind einen Namen gemacht - doch an eine Weltkarriere konnte damals noch keiner denken. In Dublin gewann sie für die Schweiz den ESC. Ihr Song "Ne partez pas sans moi" wurde zwar von Schweizern komponiert, doch daran, dass Sängerin Céline Dion keinen Schweizer Bezug hatte, störte man sich auch knapp zwei Monate nach ihrem Sieg noch im Schweizer Parlament. Ein Mitglied des Nationalrats stellte die Frage, ob Schritte unternommen würden, dass künftig nur noch "echte Schweizer Beiträge" beim ESC aufgeführt werden sollen. Bundesrat Adolf Ogi verneinte: "Céline Dion hat es aber sehr gut gemacht, sonst hätte der Schweizer Beitrag nicht gesiegt", außerdem: "Welch glückliches Land, in dessen Parlament noch eine solch weltbewegende Frage wie die Herkunft einer Schlagersängerin diskutiert werden kann!"

Céline Dion konnten diese Diskussionen egal sein. 1990 veröffentlichte sie ihr erstes englischsprachiges Album. Danach wurde sie mit dem Titelsong des Disney-Films "Die Schöne und das Biest" weltweit bekannt. Endgültig zum Star schließlich machte sie 1997 "My Heart Will Go On" aus dem Film "Titanic".

Vor 40 Jahren: Marlène Charells One-Woman-Show in München

ESC 1983 in München: Moderatorin Marlene Charell vor der Punktetabelle. © BR Foto: Sessner
Beim ESC 1983 in München fühlte sich Moderatorin Marlène Charell unter großem Druck.

Nach dem Sieg von Deutschlands Nicole 1982 fand der darauffolgende ESC 1983 in München statt. Luxemburg holte sich seinen bis heute letzten ESC-Sieg, die zweitplatzierte Ofra Haza aus Israel startete eine Weltkarriere. Doch wer heute wie kaum jemand sonst für diese Show steht, ist Moderatorin Marlène Charell. Die international bekannte Sängerin und Tänzerin konnte es kaum jemandem Recht machen. Der ausrichtende Bayerische Rundfunk verlangte eine dreisprachige Moderation auf Englisch, Französisch und Deutsch, was besonders den Kommentatoren der französischsprachigen Länder missfiel. Sie drohten mit Streik, denn Charell habe so im Prinzip deren Aufgabe übernommen.

Charell moderierte souverän, doch durch ihre ausufernden Moderationen geriet auch der ESC selbst sehr langatmig. Schon bevor Siegerin Corinne Hermès ihren Gewinnersong ein zweites Mal singen konnte, verließen die ersten Zuschauer die Halle. Dass Moderatorin Charell als Pausenfüllerin auch noch tanzen musste, brachte ihr ebenfalls Häme von den ausländischen Kommentatoren ein. Jahre später sagte sie bei eurovision.de: "Ich war so etwas von schachmatt" und gestand, so viel Lampenfieber gehabt zu haben, dass sie kaum atmen konnte.

Vor 45 Jahren: Jordanische Narzissen

Der ESC 1978 in Paris knackte erstmals die Rekordzahl von 20 Teilnehmern. Das Interesse an der Show war also groß - auch in Jordanien. Das Land dürfte als Mitglied der Europäischen Rundfunkunion sogar am Wettbewerb teilnehmen, lehnt das aber bis heute wegen Teilnehmerland Israel ab. 1978 allerdings entschied man sich im jordanischen Fernsehen, den Wettbewerb aus Frankreich wieder einmal zu übertragen. Es sollte das letzte Mal gewesen sein. Denn 1978 gewann mit "A Ba Ni Bi" von Izhar Cohen und Alpha-Beta erstmals der israelische Titel die Show. Als Israels Sieg klar wurde, klinkte sich der jordanische Rundfunk aus der Übertragung aus und zeigte stattdessen - wie schon bei Israels Auftritt - wegen angeblicher technischer Probleme ein Blumenbild. Der eigentlich zweitplatzierte Song aus Belgien wurde später in Jordanien als Sieger verkündet.

Vor 55 Jahren: Spanisches La la la la, la la la, la la la

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Der zweitplatzierte Cliff Richard küsst die spanische Siegerin Massiel beim ESC 1968. © UPI

Spaniens Sieg 1968 gekauft?

1968 verlor Cliff Richard knapp gegen Massiel. Jetzt behauptet ein spanischer Sender: Es war alles Betrug, Spanien hat Stimmen gekauft, um im Ausland sein Image aufzubessern. mehr

138-mal enthält der spanische ESC-Siegertitel 1968, "La la la" von Massiel, die Silbe "La". Und ihr Sieg über den großen Favoriten Cliff Richard aus Großbritannien (UK) kommt auch heute noch so manchen spanisch vor. Ursprünglich war gar nicht Massiel als Sängerin dieses Titels auserkoren. Doch der eigentlich ausgewählte Joan Manuel Serrat beharrte darauf, den Rest des Textes (abseits von "La la la") auf Katalanisch zu singen. Das gefiel Diktator Franco gar nicht und so kam die in Madrid geborene Massiel zum Zug, die schon zuvor in Spanien und Lateinamerika bekannt war. Eine spanische Dokumentation verbreitete 2008 die Behauptung, Franco habe durch einen Sieg das Ansehen Spaniens in der Welt verbessern wollen.

Das spanische Fernsehen RTVE habe deswegen als Gegenleistung für Jurystimmen ausländische Sendungen eingekauft und ausländischen Künstlern Auftritte im spanischen Fernsehen ermöglicht. Massiel hält von diesen Anschuldigungen nichts und unterstreicht bis heute, sie habe gewonnen, weil ihr Lied besser gewesen sei. Bewiesen sind Absprachen zwischen dem spanischen Fernsehen und den Jurymitgliedern nicht, aber ein Geschmäckle bleibt am ersten spanischen ESC-Sieg haften.

Vor 65 Jahren: Die Geburt des Welthits "Volare"

Domenico Modugno beim Grand Prix d'Eurovision 1958 © Screenshot/AVRO
Mit Startplatz eins ging Domenico Modugno 1958 ins Rennen. Sein Song gewann den ESC nicht - und wurde doch ein Riesenerfolg.

Den Siegertitel des ESC 1958 kennen wohl nur noch die wenigsten. "Dors, mon amour" von André Claveau ist längst vergessen. Lys Assia, die auch beim dritten ESC wieder die Schweiz vertrat und Zweite wurde, bleibt eine Randnotiz. Denn der Italiener Domenico Modugno erreichte im niederländischen Hilversum Rang drei. Und dessen Song "Nel blu dipinto di blu" ("In Blau gemaltes Blau") wurde unter dem Titel "Volare" ein so großer weltweiter Hit wie wohl kein ESC-Song danach. Das Lied erreichte in den USA Platz eins der Charts. Bei den erstmals verliehenen Grammy Awards wurde "Nel blu dipinto di blu" als "Beste Single" und "Bester Song" ausgezeichnet. Das Lied von Modugno wurde weltweit in diversen Sprachen gecovert - unter anderem von Dean Martin und Peter Alexander. Domenico Modugno gewann das prestigeträchtige italienische Sanremo-Festival insgesamt vier Mal und trat drei Mal beim ESC an - bereits 1959, ein Jahr später, mit dem ebenfalls weltweit erfolgreichen "Piove".

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Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 28.01.2023 | 19:05 Uhr

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