Katalanisch oder Kastillisch - ewiger Kampf in Spanien
Innerhalb der Europäischen Union muss kein Teil eines Staates auf Unabhängigkeit pochen: Im Zweifelsfall können politisch-kulturelle Zwistigkeiten bis zur höchsten EU-Gerichtsebene getragen werden. Im Hinblick auf das Referendum in Katalonien, mit dessen Hilfe die Separatisten von Spanien unabhängig werden wollen, liegen die Dinge ein bisschen anders. Nach Angaben der regionalen Behören zeigten sich am Wochenende 90 Prozent der Bewohner des nordöstlichsten Teil Spaniens willig, staatlich dem Mutterland "Adios" zu sagen. Freunde des ESC mögen denken: Na, wenn schon, Katalonien schickt einen eigenen ESC-Act. Das wäre dann ein Land mehr, das Jahr für Jahr am Eurovisionsfestival teilnehmen könnte. Keine große Sache, gebe es nicht diese weitreichende Anekdote aus dem Jahr 1968. Damals hatte das spanische Fernsehen TVE den Katalanen Joan Manuel Serrat für den anstehenden ESC in London nominiert. Sein Lied "La La La", geschrieben von Ramón Arcusa und Manuel de la Calva, hatte aus der Perspektive des TV-Senders und seiner obersten Kontrolleure jedoch einen Nachteil: Serrat, der schon damals zu den bedeutendsten Liedermachern Spaniens gehörte, wollte es auf Katalanisch singen, nicht in der von Madrid aus vorgegebenen spanischen Sprache Kastillisch.
Ein Politikum sondergleichen
Katalanisch galt als Sprache der Demokratie, des Kampfes der spanischen Republikaner gegen die Ende der 30er- bis Mitte der 70er-Jahre Spanien beherrschenden Faschisten unter General Franco. Katalanisch wird von zehn Prozent aller zu Spanien gehörenden Bürger und Bürgerinnen gesprochen - es war trotzdem verpönt. Serrat und sein Team wollten sich durchsetzen - und verloren. Kurz vor dem Ausflug nach London wurde die frisch populäre Sängerin Massiel als Ersatz nominiert. Der Titel blieb, er wurde nur ins Spanische übertragen und das Arrangement von keinem Geringeren als dem berühmten, aus Deutschland stammenden Komponisten und Produzenten Bert Kaempfert überarbeitet. Heraus kam eben das schließlich siegende "La La La", mit dem sie den ersten Sieg Spaniens in der Eurovisionsgeschichte schaffte.
Gerüchte um Massiels Sieg
Massiel, 1947 in Madrid geboren, hängt bis heute das Gerücht an, einen erschummelten Sieg errungen zu haben. Ihr Ein-Punkte-Vorsprung beim 14. Eurovision Song Contest vor Cliff Richard soll durch Funktionäre des Senders TVE hinter den Kulissen möglich gemacht worden sein. Besonders Deutschland (mit dem Hessischen Rundfunk als damaligem ESC-Sender) stand im Fokus des Interesses: Die deutschen Juroren gaben sechs ihrer zehn möglichen Punkte an die Spanierin und nur zwei an den BBC-Kandidaten Cliff Richard: General Francos Plan, mithilfe eines ESC-Sieges das Prestige seines Landes aufzupolieren und etwa den Tourismus anzukurbeln, war - sofern die Gerüchte zutrafen - aufgegangen.
Joan Manuel Serrat, inzwischen 73 Jahre, ist immer noch auf Bühnen präsent, 2015 wurde er mit dem "Premio Iberoamericano de la Música" ausgezeichnet. Massiel konnte ebenfalls ihren Namen bis in unsere heutige Zeit als prominent halten. Sie hat übrigens "La La La" in allen möglichen Sprachen eingesungen, aber nicht auf Katalanisch. Ob Serrats Originalversion den ESC gewonnen hätte, ist natürlich allenfalls Gegenstand von Spekulationen. Er hätte den Titel nicht im funky Glam-Style interpretiert - was Massiel kongenial zum Orchesterarrangement Kaempferts ins Werk setzte.
Andorra setzte 2004 auf Katalanisch
Der erste katalanische ESC-Titel kam nicht aus Spanien, sondern aus Andorra. Marta Roure trat mit "Jugarem a estimar-nos" 2004 in Istanbul an. Spanisch - also Kastillisch - bleibt bis heute die exklusiv verwendete Sprache Spaniens beim ESC. Dieses empfinden viele Katalanen als dem Gebot der kulturellen Vielfalt nicht würdig. Insofern: Wer die Wähler, die dem Unabhängigkeitsreferendum zustimmten, für gestrig oder irrig hält, möge diese ESC-Anekdote bedenken: Sprachen verkörpern auch Identitäten. Wer sie missachtet, hat ein Problem - offenbar besonders diejenigen, die das Spanische für die einzig vorzeigbare Sprache des Landes halten.