Showbericht: Ungarn und Ukraine beeindrucken
"All Aboard! - "Einsteigen bitte!", heißt es im zweiten Halbfinale des Eurovision Song Contest in Lissabon für 18 Kandidaten. Zehn begehrte Plätze sind für das Finale am Samstagabend noch zu vergeben. Acht Teilnehmer müssen frühzeitig wieder von Bord gehen und Abschied vom Land der Seefahrer nehmen. Immerhin einer weniger als im spannenden ersten Semi, das für einige Überraschungen gesorgt hatte. Doch auch in der zweiten Show in der Altice Arena gilt es, oben zu schwimmen und nicht unterzugehen.
Dafür haben alle 18 Halbfinalisten ordentlich in die Trickkiste oder den Baukasten gegriffen: Zu den Höhepunkten gehören die Auferstehung eines ukrainischen Vampirs, eine schwedische Tanznummer à la Michael Jackson und barfuß singende Headbanger aus Ungarn. Sie heben sich deutlich vom Rest der auftretenden Künstler ab. Der deutsche Kandidat Michael Schulte ist an diesem Abend auch da, und lüftet ein kleines Geheimnis: "Es wird ein Junge", verrät der werdende Vater.
Die Metal-Connection funktioniert
Während wir uns auf den Sommer und der deutsche Kandidat auf die Vaterschaft freuen, heißt es bei AWS aus Ungarn "Viszlát nyár", übersetzt "Auf Wiedersehen Sommer". In dem sehr persönlichen Song schreit sich Frontmann Örs Siklósi die Trauer über den Tod seines Vaters aus der Seele. Ähnlich wie Michael Schulte, nur viel lauter. Wer weiß, wie es ist, einen Menschen zu verlieren, kann dies sehr gut nachfühlen. Der Schmerz trifft einen bis ins Mark. Die Ungarn schaffen es, die moderne Metal-Nummer inklusive Headbangen und Pyrotechnik sehr authentisch darzubieten und die Halle in Lissabon sowie die Metal-Gemeinde in Wallung zu bringen. Das schafft auch der erst 21-jährige Mélovin aus der Ukraine. Wie Dracula aus einem Sarg fährt der Sänger mit den pechschwarzen Haaren und einer eisblauen Kontaktlinse aus einem Klavier empor, als er seinen Song "Under The Ladder" anstimmt - eine perfekt inszenierte Auferstehung. Er erklimmt Stufe um Stufe, haut schließlich in die Tasten seines Flügels, bis dieser zu brennen beginnt.
Nachbarn aus dem Norden sind auf Final-Kurs
Mit viel Wind in den Segeln gehen gleich drei skandinavische Länder an den Start. Größter Favorit ist Benjamin Ingrosso, der Schwede tanzt mit seinem dynamischen Beitrag "Dance You Off" gegen den Liebeskummer an und mit Leichtigkeit und viel Freude ins Finale. Große Klasse. Auch Dänemarks Rasmussen darf mit fliegenden Fahnen ins Finale einziehen. Der Wikinger in schwarzer Kutte erobert stampfend die ESC-Bühne. Keine Angst, das passiert in friedlicher Absicht. Dafür gibt es reichlich Wikinger-Jubel von den Zuschauern: "Hu! Hu! Hu!" Dass Alexander Rybak weiterkommt, stand vermutlich niemals infrage. Der Sieger von 2009 präsentiert seinen Popsong mit seinem typischen Lachen und viel guter Laune. Millimetergenau durchchoreografiert spielt der Norweger zunächst auf imaginären Instrumenten. Schließlich packt er seine Geige aus - der Teufel steckt eben im Detail.
Moldau begeistert mit lustigem Verwirrspiel
Tür auf, Tür zu: Mit einer Verwechslungskomödie zu "A Lucky Day" singen und spielen sich die DoReDoS aus Moldau wie erwartet ins Finale. Das Ganze mutet ein wenig seicht an, aber sie tragen das launige Verwirrspiel mit viel Verve vor. Auch Jessica Mauboy aus Australien sehen wir am Sonnabend wieder. Mit einem soliden Auftritt in einem kurzen Glitzerkleid schafft sie das Weiterkommen ohne großes Tamtam. Als Wackelkandidatin gilt Lea Sirk aus Slowenien, doch die sympathische Sängerin mit dem rosafarbenen Zopf schafft es mit der DJ-Nummer "Hvala, ne!" ("Danke, nein!") ins Finale. Was wie eine Tonpanne anmutet, ist gewollt - plötzlich hört die Musik auf zu spielen und Lea ruft: "Musik bitte"! Darauf setzt der Ton wieder ein. Ja, Bitte: geht doch! Vier Zeilen Texten reichen auch Serbien zum Final-Einzug. Das hymnische Stück "Nova deca" ist ein Klang-Mix aus alten Instrumenten und moderner Weltmusik, gesungen in Landessprache. Allerdings sind die vielen Ahs, Ehs und Na Na Nas wirklich überall zu verstehen.
Auch Waylon aus den Niederlanden darf noch einmal seinen Leopardenmantel überstreifen und mit seiner Country-Rock-Nummer "Outlaw In 'Em" im Finale antreten. Die vier akrobatischen Tänzer lenken von einer stimmlich guten Performance des 38-jährigen Niederländers eher ab.
Die Enttäuschten des Abends
Größte Verliererin dürfte die Russin Julia Samoylova sein. Ihr Traum ist im Halbfinale jäh geplatzt. Stimmlich kann sie nicht überzeugen, auch die Bühneninszenierung um den verhüllten Rollstuhl wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt. Erwartungsgemäß ausgeschieden ist dagegen San Marino. Die niedlichen Roboter machen den schwachen Gesang von Jessika feat. Jenifer Brening nicht wett.
Dass sich Bond-Lieder nicht automatisch qualifizieren, bekommen im ersten Halbfinale schon Sennek und Franka zu spüren. Jetzt erwischt es die Lettin Laura Rizzotto, trotz exzessiven Schüttelns ihrer Wallermähne. Heimfahren muss auch Vanja Radovanović aus Montenegro. Sein Anzug mit zarten Perlen glänzt wie der Name seiner traurigen Ballade "Inje" ("Raureif"). Fünf enttäuschte Männer sind Iriao aus Georgien, die ebenfalls frühzeitig abreisen müssen. Das gilt auch für Christabelle aus Malta und Polen. Ein paar Knöpfe drücken und drehen, sowie DJ-Gesten aus den 90ern reichen nicht für Gromee und Lukas Meijer. The Humans aus Rumänien scheiden mit "Goodbye" aus. Bitter, wenn der Songtitel zum Programm wird: "Auf Wiedersehen", Lissabon.