2014: Eurovision Song Contest in Kopenhagen
Punkt 21 Uhr: Die Eurovisions-Melodie tönt durch Europa. Auf diesen Moment haben die 26 Teilnehmer seit Monaten hingefiebert. Viele von ihnen standen in den letzten zwei Wochen fast täglich auf der großen Bühne in der alten Werfthalle in Kopenhagen, um heute einen atemberaubenden Auftritt hinzulegen. Jetzt darf wirklich nichts mehr schiefgehen - denn vor dem heimischen Fernseher warten weit über 100 Millionen ESC-Fans auf das alles entscheidende Finale.
Eindeutiger Favorit? Fehlanzeige!
Eines war von vornherein sicher: Es sollte ein spannender Abend werden. Selten gab es so viele Favoriten gleichzeitig, selten waren sich Experten und Fans so uneinig über die Favoriten-Hauptrolle. Let the show begin - eine hippelige Vorfreude breitet sich von der Halle auf die Bildschirme der ganzen Welt aus. Es war nicht nur ein aufregender Abend, sondern eine Show voller Effekte, Gegensätze und großartiger Momente. "Europe, are you ready to join us?" Definitiv!
Für jeden Geschmack etwas dabei
Die Ukrainerin Maria Yaremchuk sorgt auf der ersten Startposition gleich für Tanz-Feeling - mit einem verspielten Song und einem Tänzer, der in seinem Hamsterrad laufend schon mal die Lichtmaschine anzuwerfen scheint. Peter Urban hat gleich nach dem ersten Beitrag das Bedürfnis, den Zuschauern Orientierung zu bieten: "Sie sind beim ESC, nicht beim europäischen Turnfest mit Rhönradturnen", erinnert er die deutschen Zuschauer.
Die folgenden Beiträge zeigen, dass Europa Vielfalt kann: Käsekuchen-Appetit und Boygroup-Feeling bei Teo, Rockiges von den jungen Finnen von Softengine und Spaßiges mit ernster Botschaft von den Kinderpunkern Pollapönk aus Island. Letztere feiern ihren Song "No Prejudice", der ursprünglich als Botschaft für mehr Toleranz gegenüber Stotterern gedacht war, wie eine europäische Hymne - die beim Publikum gut ankommt.
Moderne Sounds
In der Mischung der Beiträge fällt auf, dass viele moderne Beiträge mit internationalem Sound vertreten sind. So zum Beispiel "Rise Up" von Freaky Fortune feat. Risky Kidd: Ein Song, der in den Discos Europas genauso laufen könnte. Das Publikum wird von den Sitzen gerissen - der Songtitel hält, was er verspricht. Ähnlich modern präsentieren sich Armenien, Finnland sowie Malta mit ihrem Country-Folk à la Mumford & Sons.
Schöner Schmalz
Ein ehemaliger Soldat, Türsteher und Handwerker steht auf der Bühne in Kopenhagen - und singt in aller Seelenruhe seine bewegende Ballade "Silent Storm", die eine Welle der Verzauberung durch die Halle pustet. Einige Minuten später betritt die so perfekt wirkende Schwedin Sanna Nielsen im schlichten schwarzen Kleid die Bühne, im Gepäck ihre Power-Pop-Ballade "Undo". Ihr starker Auftritt wird noch von den unzähligen Handy-Taschenlampen des Publikums unterstützt. Auch Aserbaidschan präsentiert sich sanft - Dilara Kazimova trägt ein rotes Kleid, passend zum Songtitel "Start A Fire" und dem Landesmotto Feuer.
Und dann sind da noch The Common Linnets aus den Niederlanden: Zwei Solo-Künstler, die stimmlich trotzdem miteinander verschmelzen. Es stehen an diesem Abend zwar nicht übermäßig viele Balladen auf der Tagesordnung - aber die, die es ins Finale geschafft haben, haben es in sich.
Schmissige Hits mit Ohrwurm-Potenzial
Einen Kontrast zu den Kuscheleinheiten bilden zum Beispiel die Schweiz, Malta und Dänemark: Sebalter sorgt mit seinem Gute-Laune-Song zum Mitklatschen und Mitpfeiffen für eine Erfrischung. Der Großfamilie Firelight aus Malta merkt man an, dass sie schon seit Ewigkeiten zusammen Musik machen - die Chemie stimmt. Und dann ist da noch das Gastgeberland: Basim und sein leichtfüßiger Schubidu-Ohrwurm werden in der Halle von seinen Landsleuten gefeiert. Nur die Klamotten des Sängers wirken leicht unfertig: Die Fliege hängt ungebunden um den Hals und die Hose lässt die Angst vor Hochwasser steigen. Das große "Love"-Plakat im Hintergrund und der Strahlemann Basim lenken davon aber zum Glück ab.
Die Brücke zwischen ruhigen und schmissigen Tönen schlägt der Armenier Aram Mp3 mit "Not Alone". Der Song kommt zunächst harmlos daher, entwickelt sich dann aber zu einer furiosen Dubstep-Nummer mit ordentlichen Bässen. Auch wenn die Stimme des Sängers am Anfang leicht wackelig klingt, bringt diese Nummer den Fernseher zum Wummern und sorgt dank Feuerwerk auf der Bühne für ordentliche Effekte.
Wenig Klischee
Kitsch und Klischee findet man in diesem ESC-Jahrgang nur bei den Beiträgen, die bewusst damit spielen. Allen voran: Polen. Donatan & Cleo haben mit dem Video zu ihrem ESC-Beitrag "My Slowianie - We Are Slavic" auf Youtube mittlerweile 42 Millionen Klicks gesammelt - nach der Performance auf der ESC-Bühne sollte auch klar sein, warum: Mit ihrer Mischung aus traditionellen und dann doch sehr provokativen Kostümen, Bewegungen und Anspielungen ziehen sie die Aufmerksamkeit auf sich - und polarisieren. Auch Peter Urban kann sich einen Spruch nicht verkneifen: "Das war der Trailer zur neuen polnischen Reality-Show 'Landfrau sucht Bauer'."
Witzig und schräg geht es auch bei den Franzosen zu. Kostümtechnisch spielen sie in einer Kategorie mit den bunten Isländern Pollapönk. Sie greifen mit "Moustache" ein typisch-französisches Klischee auf. Und in noch einem Punkt heben sich Twin Twin von der Masse ab: Sie singen in ihrer Landessprache.
- Teil 1: Eindeutiger Favorit? Fehlanzeige!
- Teil 2: Bühnenspektakel und urkomische Requisiten