Zweites Semi: Drei Männer überstrahlen alles
"Dare To Dream" - vom ESC-Finale träumen an diesem Donnerstagabend 18 Kandidaten im Internationalen Kongresszentrum in Tel Aviv. Im zweiten Halbfinale sind noch zehn der begehrten Startplätze im Finale zu vergeben. Acht Künstler müssen ihre Träume begraben, für sie heißt es "Auf Wiedersehen", "Lehit'raot", Israel. Das zweite Halbfinale ist eindeutig besser besetzt, als das erste, das am Dienstagabend bereits einige Überraschungen lieferte. Sie bleiben an diesem Abend weitestgehend aus.
Bleibenden Eindruck haben vor allem drei männliche Halbfinalisten hinterlassen: Dazu gehört ein einsamer Mann am Klavier aus den Niederlanden, ein sympathischer Schwede, der in einer Supernova erstrahlt, und ein Sänger aus Aserbaidschan, der eine Operation am Herzen durch zwei Roboter durchführen lässt. Sie überzeugen vor allem gesanglich, und ihre Auftritte sind gut in Szene gesetzt. Sie verstehen es, mit der Kamera und auch mit dem Publikum zu spielen.
Der haushohe Favorit Duncan Laurence liefert ab
Es ist ganz dunkel in der Halle und auf der Bühne, als Duncan Laurence beginnt, seinen Song "Arcade" anzustimmen. Vereinzelt ertönen Begeisterungsrufe aus dem Publikum, doch im Laufe seines Auftritts verstummen sie. So sehr zieht der Niederländer mit der traurigen Ballade alle in seinen Bann, wenn er Zeilen wie "Small town boy in a big arcade, I got addicted to a losing game" singt und den Zuschauern tief in die Augen blickt. Dann schwebt eine einzelne Lampe von der Decke hinab, wie ein Lichtblick. Das ist authentisch, berührend - und sorgt für Gänsehaut. Keine Frage, Duncan Laurence wird seiner Favoritenrolle gerecht. Für ihn ist es an diesem Abend kein "losing", sondern ein "winning game".
Smart und strahlend: John Lundvik aus Schweden
Kontrastprogramm dazu ist der Auftritt des Schweden John Lundvik. Auch er steht zunächst ganz allein im Dunkeln, bevor ein goldener Lichtkegel auftaucht, der an eine Supernova erinnert. Beim gut choreografierten Auftritt zu "Too Late For Love" kommt der smarte Sänger aus dem Lächeln nicht heraus - und als seine "Mamas", vier Gospel-Ladys, beim zweiten Refrain die Bühne betreten, kommt noch mehr Dynamik in den Song. Das macht Spaß.
Chingiz aus Aserbaidschan überzeugt gesanglich
Jegliche Zweifler, ob Aserbaidschan ins Finale einzieht, lässt Chingiz mit den Worten "Shut up" aus seinem Song "Truth" verstummen. Auch wenn die Inszenierung etwas dick aufgetragen wirkt, wenn zwei Roboterarme ein auf den Sänger projiziertes Herz mit Laserstrahlen "operieren". In seinem Song geht es um eine vergiftete Beziehung. Gesanglich überzeugt der 27-Jährige, auch bei den hohen Tönen.
Der Osten enttäuscht - bis auf Sergey Lazarev
Neben Aserbaidschan sind Russland und Weißrussland, das sich im ersten Halbfinale durchgesetzt hat, die einzigen verbliebenen östlichen Länder, die sich das Finalticket sichern. Nach Polen, Ungarn, Georgien, trifft es jetzt Armenien, Rumänien, Lettland, Litauen und Moldau. Sergey Lazarev, der für Russland nach 2016 diesmal mit der dramatischen Ballade "Scream" startet, punktet vor allem mit dem Bühnenbild. Omnipräsent erscheint Lazarevs Spiegelbild achtfach und zerspringt schließlich. Der Song kann mit "You Are The Only One" von vor drei Jahren keinesfalls mithalten. Ob da nicht Siegerträume platzen?
Glückliche Nachbarn aus dem Norden
Besser läuft es für die Länder aus dem Norden. Mit der Eurohymne "Spirit In The Sky" singen sich KEiiNO ins Finale. Die Bühne leuchtet in den Farben der norwegischen Natur: Blau und Grün. Doch damit nicht genug, neben Eisbergen und Nordlichtern verzückt das Trio die Zuschauer außerdem mit Felszeichnungen der Samen und sehr großen Rentieren, die auf die Bühne projiziert werden. Schön kitschig. Auch für Leonora aus Dänemark geht der Traum vom ESC weiter. Der XXL-Stuhl, auf dem die 20-Jährige Platz nimmt, erweist sich nicht als zu groß. Mit wippenden Beinen und animierten Wölkchen im Hintergrund verteilt sie zu "Love Is Forever" eine Portion Liebe an alle. Sehr niedlich, aber vielleicht doch eine Spur zu kindlich.
Hopp Schwiiz, Adieu Österreich
Noch im vergangenen Jahr freuten sich die Österreicher über den sensationellen dritten Platz von Cesár Sampson. Darauf folgt nun die Ernüchterung. Obwohl sich das Alpenland bewusst für Paenda und einen unkonventionellen, mutigen Song entschieden hat, kann "Limits" nicht begeistern. Aus dem Jammertal hat sich dafür die Schweiz gesungen, sie schafft nach 2014 endlich wieder einen Finaleinzug. Mit der Wahl von Luca Hänni haben die Eidgenossen alles richtig gemacht. Der 24-Jährige legt eine Foureira-reife Tanznummer zu "She Got Me" aufs Parkett - und hüpft freudestrahlend ins Finale.
Starke Frauen vom Balkan und aus Malta
Auch der Balkan ist im Finale gut vertreten, nur Roko aus Kroatien kann trotz der goldenen Flügel, die er auf dem Rücken trägt, nicht abheben. Zur schwer scheint ihre Last zu sein. Dafür überzeugt Jonida Maliqi aus Albanien mit der in Landessprache gesungenen Ballade "Ktheju tokës" und einem flammenden Appell an ihre Landsleute, in die Heimat zurückzukehren. Gesanglich steht Tamara Todevska aus Nordmazedonien dem in nichts nach. Ihr sehr ruhiger, aber eindringlich vorgetragener Song "Proud" richtet sich an alle Töchter. "Habt keine Angst, seid stolz", singt sie zu Bildern von Müttern und Töchtern, die auf der Videoleinwand auftauchen. Auch für Maltas Michela geht der ESC-Traum weiter. Für sie und die anderen neun Kandidaten heißt es am Samstagabend noch einmal "Schalom Tel Aviv".