Favoriten-Durchmarsch im zweiten Semi
Er ist seit Wochen der haushohe Favorit in den Wettbüros, seit dem zweiten Semifinale gibt es keinen Grund, am wahrscheinlichen Sieg des Niederländers Duncan Laurence zu zweifeln: Das Lied hat alles, was ein Eurovisionssieger haben muss - aber die Show des jungen Mannes aus Rotterdam zeigte auch die Genialität seines Teams.
Er saß nämlich allein an seinem Mikro-Elektropiano, er blieb während seiner drei Minuten ablenkungslos im Fokus der Kameras - er sah aus wie eine Wiedergeburt des großen Österreichers Udo Jürgens, der mit den Mitteln seiner Zeit seinen ESC-Sieg ebenfalls sitzend am Flügel einfuhr: "Merci Chérie". Er war der Letzte, der allein am Klavier - ganz in die Rolle des schüchternen, nicht überselbstbewussten Menschen versunken - die meisten Sympathien einzuheimsen wusste.
Duncan Laurence: Nervosität weckte tüchtig Sympathien
Aber kein Siegeskandidat ist einer aus eigener Kraft allein, ihn muss etwas Entscheidendes von den anderen unterscheiden. Bei Duncan Laurence war es die Abwesenheit von monströsem Material-, Pyro- und Windmaschinenfirlefanz. Er saß einfach da und sang nicht einmal gut, offenbar von heftiger Nervosität gepeinigt. Zwei seiner drei Minuten saß kein Ton wirklich astrein, aber dann hatte er sich im Griff. Aber da hatte er sein Publikum längst für sich gewonnen: Televoter (und gewiss auch Juroren) lieben das leicht Gebrochene, das Unperfekte, die unglatte Show. Das ist dann wie bei Johnny Logan, der aus dieser triumphal überwundenen Scheu am Mikrofon ein ästhetisch erfolgreiches Berufsmodell gemacht hat.
Duncan Laurence hat sie alle im Überfluss, diese Qualitäten. Nur Unkundige glauben, eine Show, die die Herzen öffnen soll, lebe von höchster Verwechselbarkeit mit der Tonträgerqualität. Irrtum: So viele der Sieger und Siegerinnen sangen sehr gut, aber mit hörbarem Lampenfieber, das sich immer ein wenig überaufgeregt anhört. Möglich, dass genau das der wichtigste Unterschied zum Mitfavoriten Mahmood aus Italien am Samstag ist.
Acht Enttäuschte, Skandinavien ohne Verluste, Malta zitterte
Ansonsten sind die Favoriten belohnt worden, am meisten mussten die Nerven des Schweizers Luca Hänni strapaziert worden sein, er wurde als zweitletzter Finalist aufgerufen. Glücklich sind mal wieder die Skandinavier, sie sind nun allesamt im Finale - auch die Dänin Leonora, die die Wettbüros eher gering auf den Zetteln hatten.
Vermutlich als existenziell schlimme, aber dann glücklichstimmende Erfahrung muss die Malteserin Michela den Abend wahrgenommen haben. Als Letzte bekam sie den Zuschlag für das Finale, was sich in ihrem Mienenspiel zeigte: zunächst bestürzend enttäuscht, dann in eine Art Glückstaumel fallend. Die Mittelmeerinsel hatte es ja in den vergangenen Jahren nicht leicht, insofern Glückwunsch vom Festland in Tel Aviv!
Über den Rest wird am Sonntag nach der Entscheidung zu reden sein: Ob Inszenierungen, die wie Wohnzimmerdekorationen angerichtet sind, Künstler wirklich weiterbringen oder ob sie nur ablenken vom ästhetischen Gehalt eines Liedes.
Die deutschen S!sters wurden im zweiten Semi vorgestellt - und sie zeigten sich gelöst und zuversichtlich. Sie müssen Kämpferinnen sein, denn die Konkurrenz am Samstag ist groß. Aber so ist es ja für alle Finalisten - und das war immer so. Duncan Laurence jedenfalls ist der krasseste Favorit bei einem ESC seit Alexander Rybak.