Stand: 18.02.2015 13:23 Uhr

Beste Siegchance für Ballade oder Dancesong?

Die drei Tenöre von Il Volo © ilvolomusic.com
Die Italiener schicken mit Il Volo drei junge Tenöre nach Wien.

So gut wie die Hälfte der Konkurrenten von Wien kennen wir, das Publikum, nun. Ehe am Donnerstag in Hamburg die erste TV-Runde der deutschen Vorentscheidung mit dem Clubkonzert beginnt, mag eine Einschätzung der bislang feststehenden internationalen Acts hilfreich sein, um die Lage vor Wien besser diskutieren zu können. Eine natürlich nur grobe Bewertung - was denn sonst!

Beim italienischen Sanremo-Festival haben sich die Anzug tragenden Herren von Il Volo als die eurovisionären Kandidaten herauskristallisiert. Der Titel steht noch nicht offiziell fest, aber soweit man weiß, wird es "Grande Amore" werden. Keine Liedüberschrift könnte harmloser, unpolitischer, unprovokanter sein - Liebe geht ja immer. Aber ich zweifle, dass die Rechnung, Männer in klassischer Singweise antreten zu lassen, aufgeht. 2007 kamen die lettischen Tenöre von Bonaparti.lv zum ESC, schafften beim Halbfinale einen noblen fünften Platz, landeten aber im Finale nur auf dem 16. Rang. Irgendwie scheint mir, dass die Zeit für Gruppen wie "Die drei Tenöre" abgelaufen ist.

Daniel Kajmakoski sitzt auf einer Balkonbrüstung und spielt auf einer Akustikgitarre.  Foto: Andreja Damjanovic
Der Mazedonier Daniel Kajmakoski hat gute Chancen aufs Finale.

Daniel Kajmakoski aus Mazedonien wird es mit seinem sehr hübschen Schmachtlied hingegen ins Finale schaffen: klassischer ESC-Liedaufbau - sanfter Beginn, Steigerung im Mittelteil, großes stimmliches Ende. Die Isländerin Maria Ólafsdóttir und ihr "Litif skrif" ist ein Ohrwurm, der jetzt schon Meldungen zufolge alle Welt verzückt. Finalwürdig - weil es sofort die Stimmung hebt. Über Dänemarks Anti Social Media muss man nicht mehr viel reden: Einige Jungs schrummeln zu mäßig innovativem Pop auf der Bühne, aber, das ist der Punkt, es ist sympathisch und nett, was sie mit dem Titel "The Way You Are" sagen.

Gleicher Songtitel aus Malta und Georgien

Die Schweizerin Mélanie René und ihr leider nicht auf Französisch gesungenes "Time To Shine" wird ins Finale kommen, weil die Sängerin selbst es offenbar genießt, vor großem Publikum zu singen. Ihr Lied ist - des starken Chores wegen vor allem - suggestiv und eindringlich. Georgien und Malta treten mit gleicher Überschrift an: "Warrior" ist in der maltesischen Version ein durch Sängerin Amber tüchtig in Szene gesetztes ESC-Drama. Fette Instrumentierung, ins Überlaute inszenierte Stimmabschnitte: Das reicht fürs Finale. Nina Sublatti aus Tiflis hingegen scheint mir ein allzu nervöses Lied zu interpretieren. Viel zu viele Noten in drei Minuten, wirr arrangiert: Das wird nicht für das Grand Final langen.

Elhaida Dani steht vor hellem Fenster  Foto: Orsola Class Photography
Die Albanerin Dani im Finale? Jan Feddersen glaubt nicht dran.

Albaniens Elhaida Dani und ihr Lied "Diell" haben die Landesvorentscheidung gewonnen - und es wird ihr Höhepunkt dieses ESCs gewesen sein. Irgendwie krieg ich mir diesen Beitrag nicht schöngehört. Ob die Weißrussen Uzari & Maimuna genau das Lied in Wien zum Auftritt bringen, das wir bislang kennen ("Time“), steht nicht fest, wie üblich bei ESC-Geschichten aus Minsk. Nehmen wir also an, dass es dieses sein wird. Dann wissen wir: Nein, nach Weißrussland fahren wir nicht nächstes Jahr. Geigen noch und noch, Donnergrollen als Konzept - das ist so gestrig wie etwas nur sein kann. Frankreichs Lisa Angell und ihr "N’oubliez pas" ist ein reifes Stück ESC-Material. Gediegen in der Interpretation, mit schönen Worten - wer will, kann sogar eine Antikriegsbotschaft heraushören. Sie wird so abschneiden wie 2009 Patricia Kaas - vorne, aber nicht an der Spitze.

Serbien verlässt sich auf Sieg-Komponisten

Bojana Stamenov, die Dame aus Serbien, hat ein Lied von dem Mann geschenkt bekommen, der auch "Molitva" für Marija Šerifović erfand. Nun, einen ähnlichen Siegeszug wird sie mit "Ceo svet je moj“ wohl nicht antreten. Klar, das Finale ist möglich, ja, es scheint mir sicher, aber der ganze große Erfolg wird ihr verwehrt bleiben. Nach zwei Minuten denkt man, das Lied dauere schon viermal so lange.

Die Niederländerin Trijntje Oosterhuis hat das radiotauglichste Lied seit langem im Angebot - ähnlich dem zweitplatzierten Song 2014 von The Common Linnets, aber schneller, flotter, pop-mäßiger. Es fehlt am Ende die hymnische Steigerung - an dieser könnte noch ein wenig gefeilt werden. Trotzdem: sichere Finalistin.

Giannis Karagiannis nach dem gewonnen zypriotischen Vorentsheid © CYBC
Der Zyprioten Giannis Karagiannis hat gute Chancen auf einen Top-Ten-Platz im Finale.

Und der Zypriote Giannis Karagiannis? Sein Lied "One Thing I Should Have Done" ist der beste irische Beitrag, der aus Dublin nie kam: sachte, sanft, liedermacherisch - wie Lisa Andreas mit "Stronger Every Minute" 2004 in Istanbul. Der Komponist der Songs ist der gleiche, und vor elf Jahren landete die bezaubernde Zypriotin auf dem fünften Rang. Weil dieser Act so anders als alle anderen ist, wird er ebenso weit vorne landen.

Zwei Dutzend Lieder kommen ja noch, aber es fehlt der eindeutige Kracher. Noch fehlt jemand, der so gewiss gewinnen wird wie Alexander Rybak 2009 in Moskau. Meine Top drei: die Niederländerin, der Zypriote und die Isländerin. Gute, sehr gute Popmusik. Mehr davon!

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 23.05.2015 | 21:00 Uhr

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