Alina Stiegler: "Ich bin ESC-infiziert"
Von Stockholm hat Moderatorin Alina Stiegler nicht viel gesehen beim 61. ESC. Meist pendelte sie zwischen Pressezentrum und dem Hotel hin und her, verfolgte die Shows und bereitete sich auf die vielen Livestreams und Videoblogs vor, mit denen sie und das Team die ESC-Fans in Deutschland auf dem Laufenden hielten. Viel Arbeit also, aber auch mindestens ebenso viel Spaß - wie sie im Interview nach ihrem ersten ESC-Einsatz berichtet.
Du warst zum ersten Mal beim ESC. Was hat dich am meisten überrascht?
Alina Stiegler: Dieser hohe Professionalisierungsgrad. Das hätte ich nicht für möglich gehalten, dass alles bis ins kleinste Detail durchdacht ist. Da muss man ganz schön was obendrauf setzen um das zu toppen. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass die Schweden schon so viel Erfahrung haben. Vielleicht ist es nächstes Jahr in der Ukraine wieder ein bisschen anders und das macht wahrscheinlich auch den ESC aus - die Handschrift des Landes.
Warst du vorher schon am ESC interessiert?
Alina: Auf jeden Fall. Meine erste Berührung war Guildo Horn. Ich saß mit meinen Eltern im Wohnzimmer und war völlig begeistert. Ich wollte unbedingt, dass er gewinnt. Als er dann noch dieses Gerüst hoch kletterte, da blieb mir fast der Atem stehen. Ich hab so richtig mitgefiebert. Und dann Lena, Roman Lob, Cascada, das hab ich alles verfolgt.
Und wie ist es jetzt, nach deinem ersten professionellen ESC-Einsatz?
Alina: Ich bin infiziert. Ich hätte es nicht so für möglich gehalten, aber man lebt die Sachen noch nach. Ich wache jeden Tag mit einem anderen Ohrwurm auf. In letzter Zeit hatte ich sehr viel Australien im Kopf, aber auch Leute, die schon im Halbfinale ausgeschieden sind, kommen plötzlich wieder hoch. Mir hat dieses Riesenevent so viel Spaß gemacht und ich fand die Zusammenarbeit mit dem Team toll. Es ist wirklich ein großartiges Team. Ich werde das im nächsten Jahr auf jeden Fall verfolgen.
Aber du bist doch wieder dabei nächstes Jahr?
Alina: Wenn die Kollegen fragen, packe ich sofort den Koffer (lacht).
Was ist dran an der vielbeschworenen ESC-Gemeinde?
Alina: Ich glaube, es ist wirklich die Liebe zur Musik und auch zum Skurrilen. Jeder ESC-Fan kann dir nicht nur die tollsten Auftritte, sondern auch die skurrilsten aufzählen. Die Musik verbindet wirklich die Nationen. Viele treffen sich ja immer wieder und das macht das Familiäre aus.
Wie hast du Jamie-Lee vor Ort erlebt?
Alina: Sie ist toll. Das ist jetzt doof, dass ich das so sage als Journalistin, weil ich eine Distanz einnehmen sollte. Aber das fällt bei Jamie-Lee wirklich schwer, weil sie ein ganz authentischer, netter junger Mensch ist. Sie hat unglaublich viel Freude und Neugier am Leben und sehr viel Energie. Sie ist mit uns als Team total nett umgegangen und kannte jeden. Es war nicht so, dass man sich einfach nur grüßt beim Frühstück. Wir haben uns unterhalten, hatten Spaß zusammen und sind richtig zusammengewachsen. Ich hab sie als unglaublich unkompliziert und lustig empfunden.
Wie hat sich Jamie-Lees schlechtes Abschneiden dann auf die Stimmung ausgewirkt?
Alina: Am Anfang waren wir in so einer Starre. Niemand hatte damit gerechnet, dass wir auf dem letzten Platz landen. Wir haben uns alle spät nachts im Hotel getroffen und da dauerte es dann ein bisschen, bis die Leichtigkeit wiedergewonnen war, aber auch nicht zu lange. Jamie-Lee tanzte irgendwann mit ihren Backgroundsängerinnen und dann auch mit dem ganzen Team. Alle haben sie da durchgetragen, so nach dem Motto "Hauptsache wir sind zusammen, allen geht es gut und wir verkraften das schon". Ich glaube, dass sie das gut wegstecken wird. Natürlich ist es für keinen Künstler einfach und ich denke, das ist wie ein Ballast, den man mit sich rumschleppt. Aber das wird sie auch schnell wieder ablegen. Ich hoffe, dass sie es nicht auf sich bezieht, weil sie ja wirklich eine tolle Künstlerin ist.
Wie hast du die Experten erlebt vor Ort. Du hast ja eng mit Jan Feddersen, Irving Wolther und Thomas Mohr zusammengearbeitet.
Alina: Das sind sehr unterhaltsame und hilfreiche Experten, die mir auch abseits unserer ganzen Livestreams viel erzählen konnten. Das ist so, als würde man sich auf eine Zeitreise mit den Dreien begeben, weil sie so viel über die ESC-Vergangenheit wissen. Es ist aber auch schön zu sehen, mit welcher Begeisterung sie ihre Arbeit machen. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht mit den "Jungs".
Du warst in der Songcheck-Runde sehr begeistert von Freddie aus Ungarn. Wie hat sich das vor Ort entwickelt? Du hast ihn ja am roten Teppich getroffen.
Alina: Meine Hoffnung war, dass sich der schöne Schein im Gespräch schnell zerlegt. Aber ich fand ihn offen, nett und auch reflektiert. Er hat sehr ernst und leidenschaftlich über seine Aufgabe gesprochen und es lag auch eine gewisse Tiefe in seinen Worten.
Also du bist nach wie vor Freddie-Fan?
Alina: Fan nicht, aber ich war positiv überrascht. Vor Ort war ich aber eher von den Frauen begeistert. Von Francesca Michielin, die war ja vorher in Hamburg auch in unserer Sendung, und von der Belgierin Laura Tesoro. Die hat uns Tanzschritte am roten Teppich beigebracht und war so fröhlich und locker.
Hat man vor Ort oft einen anderen Eindruck von den Künstlern, als erwartet?
Alina: Ja. Man hat ja ein Bild von denen und manchmal ist man auch enttäuscht, wenn sie nicht so freundlich sind oder distanziert rüberkommen. Bei Laura Tesoro dachte ich zum Beispiel, das ist alles so bemüht: eine junge Soap-Darstellerin, die jetzt auch noch singt und tanzt. Aber als ich sie dann kennengelernt habe, hat sie mich mit ihrer positiven Energie angesteckt. Auch von der Australierin Dami Im war ich positiv überrascht. Wir hatten ein sehr nettes Gespräch am roten Teppich, ganz unaufgeregt. Die Spanierin Barei hingegen habe ich eher als kühl, ehrgeizig und ein bisschen verbissen wahrgenommen. Da war ich eher enttäuscht.
Welches war dein ganz persönliches Lieblingslied?
Alina: "No Degree Of Separation" von Francesca hat mein Herz gewonnen. Das Lied fand ich ganz toll. Die italienische Originalversion fand ich allerdings noch schöner.
Was hältst du von dem Siegersong aus der Ukraine?
Alina: Ich glaube, dass Jamala einen Nerv getroffen hat. Ich finde es gut, dass in dieser Zeit ein politisches Lied gewinnt, oder besser ein Lied, das nicht auf Heiterkeit getrimmt ist. Das lässt einen nochmal innehalten. Auch die Stimmung im Pressezentrum war eher gedrückt. Nicht, weil die Falsche gewonnen hat, sondern weil darüber nachgedacht wurde, was es bedeutet, dass so ein Lied gewonnen hat.
Gibt es noch irgendetwas, das uns bisher verheimlicht wurde, eine Anekdote, eine Panne ...
Alina: Diese rote-Teppich-Geschichte. Wir standen ganz am Ende und wussten nicht, wann die Künstler bei uns ankommen würden. Wir sind trotzdem auf Sendung gegangen und es hat 45 Minuten gedauert, bis der erste kam. Da hatten wir ganz schön was zu überbrücken. Aber das zeichnet das Team aus, dass man mit Bürger Lars Dietrich, Jan Feddersen und Thomas Mohr immer Gesprächsstoff hat.
Hast du eigentlich selbst eine musikalische Ader?
Alina: Nein, überhaupt nicht. Wer den Film "Jamie-Lee im ESC-Fieber" aufmerksam gesehen hat, weiß das. Da bin ich mit ihr im Abba-Museum und stimme das Lied "Dancing Queen" an. Das ist so schräg, ich treffe keinen einzigen Ton. Ich würde wahrscheinlich auch einen Triangel-Einsatz versemmeln (lacht).