Bombast-Shows und dezente Einzelkämpfer
Das Teilnehmerfeld beim ersten Halbfinale des Eurovision Song Contest in Stockholm lässt sich vor allem in zwei Lager einteilen: die Künstler, die versuchen mit bombastischen Auftritten zu punkten und jene, die ohne großes Tamtam weiterkommen wollen. Ach ja, und dann sind da noch jene, die irgendwie dazwischenliegen und kaum ins Gewicht fallen oder anders: es nicht recht ins Langzeitgedächtnis des Publikums schaffen.
Die bombastischen Shows liefern vor allem der Russe Sergey Lazarev ab, der - wie schon Vorjahresgewinner Måns Zelmerlöw - die großen LED-Wände gekonnt in seine Show einbaut und dies noch perfektioniert. Ihm wachsen im Hintergrund nicht nur riesige Flügel, er wirft dort große, leuchtende Schatten, bei ihm treten aus dem Hintergrund zusätzlich Bühnenelemente hervor, die der Sänger in seine umjubelte Choreografie einbaut. Minus One aus Zypern bieten zur wilden Lasershow Musiker, die hinter Gittern aufs Schlagzeug einschlagen oder in die Saiten hauen. Bei Samra Rahimli aus Aserbaidschan kommen Feuerwerk, goldenes Mikro und so wilde Tänzer zum Einsatz, dass man kaum auf sie selbst im goldenen Catsuit und ihre starke Stimme achtet. Die stimmgewaltige Iveta Mukuchyan aus Armenien setzt auf bewährte Elemente wie Nebel, Windmaschine und Flammen. Dazu trägt sie als Kostüm einen Hauch von Nichts. Im Gegensatz zur Kroatin Nina Kraljić, die so viel Kostüm zur Schau stellt, dass sie sich darin kaum bewegen kann.
Auch ruhigere Acts kommen ins Finale
Neben diesen fünf schaffen es aber auch Kandidaten ins Finale, die eher auf unaufgeregte Auftritte setzen. Douwe Bob aus den Niederlanden etwa steht im dunklen Anzug und mit Gitarre auf der Bühne und singt sein "Slow Down" - oder auch nicht: Etwa zehn Sekunden steht er einfach da - still - und beweist damit Mut zur Lücke - und trotzdem in jedem Moment große Bühnenpräsenz. Ebenso unaufgeregt ist der Ungar Freddie mit seiner Stimme, die ähnlich cool und "abgenutzt" ist wie seine Jeans im Used-Look. Auch die Sängerinnen Gabriela Gunčíková aus der Tschechischen Republik, die Österreicherin Zoë und Maltas Kandidatin Ira Losco setzen auf Minimalismus und verlassen sich vor allem auf ihre Stimmen - und ziehen ins Finale ein. Damit stehen - neben den bereits gesetzten Ländern - zehn sehr unterschiedliche neue Finalisten fest, die für einen spannenden Mix im Finale sorgen dürften.
Ausscheiden für acht Kandidaten
Dagegen verpassen einige den Einzug ins Finale, die vielleicht zu viel wollten: Dalal & Deen feat. Ana Rucner and Jala aus Bosnien-Herzegowina mit Sängern hinter Stacheldraht, E-Cello und weiteren Effekten oder die Griechen von Argo mit zu wildem, unentschlossenem Musik-Mix aus traditionellen Klängen mit Rap-Einschlägen. Ob Moldaus Lidia Isac und ihr tanzender Astronaut, San Marinos Kandidat Serhat mit seinen silbernen Disco-Tänzerinnen und Sandhja aus Finnland und ihre Background-Tänzer hingegen mit mehr Show weitergekommen wären? Müßig, sich darüber jetzt noch den Kopf zu zerbrechen. Sie scheitern genau wie der Este Jüri Pootsmann, der trotz minimaler Show auf der Bühne präsent ist, oder Greta Salóme aus Island und Highway aus Montenegro - an die man sich dagegen schon kurz nach der Show nicht mehr recht erinnern kann.
Highlights abseits vom Wettbewerb
Zwei Highlights - außer Konkurrenz - sorgen an diesem Abend für besonders viel Applaus in der Globe Arena. Der eine gleich zu Beginn der Show: Måns Zelmerlöw tritt noch einmal mit dem Siegersong von 2015 auf. Dieses Mal teilt er sich die Bühne aber nicht mit Strichmännchen, sondern mit realen Kindern, die seine ohnehin schon coole Show noch lebendiger machen oder buchstäblich zum Leben erwecken. Der wohl emotionalste Auftritt des Abends ist einer der Interval-Acts. Ein politischer Auftritt, der sich mit dem großen Thema der letzten Monate beschäftigt: den Flüchtlingen, die in Europa Zuflucht suchen. 19 Tänzer stellen "The Grey People" dar, der Auftritt beginnt sehr düster, die Kulisse hellt sich aber nach und nach auf. Am Ende treten die Tänzer ins Publikum, von dem sie mit offenen Armen empfangen werden - bewegender Auftritt und Appell an die Europäer zugleich.