Greta im Land der Schatten
Es ist statistisch nicht bewiesen, doch der persönlichen Beobachtung nach muss es auf Island mehr Musiker geben als Nichtmusiker: Der Inselstaat im Atlantik produziert jedenfalls eine tolle Popband nach der anderen, und beim Eurovision Song Contest ist er seit der ersten Teilnahme 1986 auch fast immer dabei gewesen.
Doch gerade dort hapert es ein wenig mit dem Erfolg: Erst fünfmal landeten isländische Beiträge in den Top Ten, und noch nie konnten die Insulaner am Ende am lautesten jubeln. Nur ein einziges Mal, 2009 in Moskau, wäre der Sieg um ein hauchdünnes Elfenhaar ins Land der Trolle und Vulkane gegangen - die melancholische Yohanna musste sich dann aber doch dem geigenden Norweger Alexander Rybak geschlagen geben.
Schatten und Schemen statt Strichmännchen
Mit der Violine hatte es auch Greta Salóme mal versucht: Beim ESC 2012 in Baku sangen und geigten ihr Partner Jónsi und sie sich aber nur auf Platz 20. Solo hatte die 29-Jährige jetzt auf eine düstere Bühnenshow mit unterstützenden interaktiven Videoprojektionen gesetzt: ein sattes Schwarz, das wie zerlaufende Tinte die Leinwand emporschießt, überdimensionierte Schattenhände, die Schemen von laufenden Menschen und flatternden Vögeln.
Rumms im Refrain und Mitsingpotenzial
Auch musikalisch scheint sich Greta ein wenig am schwedischen Siegertitel "Heroes" orientiert zu haben. Ihr selbst komponiertes "Hear Them Calling" ist ein klassischer ESC-Stampfer, der sich unermüdlich in den Gehörgang arbeitet. Originell geht anders, aber dafür hat der Song ordentlich Rumms im Refrain und Mitsingpotenzial - und die erfahrene Interpretin punktet mit Energie und Präzision. Publikum und Jury zeigten sich beim isländischen Vorentscheid, dem "Söngvakeppnin 2016", jedenfalls überzeugt. Im Finale setzte Greta sich gegen fünf Mitbewerber durch.
Ihre Professionalität kommt aber auch nicht von ungefähr: Wenn Greta Salóme Stefánsdottir nicht als Popsängerin auf der Bühne steht, spielt die studierte Violinistin zweite Geige im isländischen Sinfonieorchester in Reykjavik - und sie komponiert. Ihr Debütalbum "In The Silence" erklomm 2012 in ihrer Heimat Platz zwei der Charts.
Seit 30 Jahren beim ESC dabei
Doch die Taktik sich in Stockholm am letztjährigen Gewinnersong zu orientieren, hat ihr kein Glück gebracht. Nach dem Ausscheiden beim ESC in diesem Jahr können die Isländer aber zumindest ihr 30-jähriges Teilnahmejubiläum feiern. Til hamingju, Island - zumindest zum runden Jubiläum!