Tel Aviv: Schabbat im ESC-Style
Innerhalb des Judentum gibt es viele verschiedene Strömungen. Von Ultraorthodoxen in traditionell schwarzer Kleidung und Schläfenlocken bis hin zu liberalen Gemeinden, bei denen sogar die Frauen Kippa tragen - die traditionelle jüdische Kopfbedeckung tragen eigentlich nur Männer - ist alles vertreten. Es ist fast eine jüdische Tradition, dass diese Strömungen untereinander im Clinch liegen. Es gibt sogar einen jüdischen Witz darüber: Was macht ein Jude, der auf einer einsamen Insel strandet? Er baut zwei Synagogen. Und was sagt der einsame Jude, wenn man ihn nach Jahren endlich findet? "Die erste Synagoge ist für mich. Die zweite ist die, in die ich niemals gehen würde." Aber egal ob orthodox oder liberal, bei einem sind sich alle einig: Der wichtigste Tag der Woche ist Schabbat.
Am Freitagabend pünktlich zum Sonnenuntergang beginnt der Schabbat. Mit einer Zeremonie, die sich "Kabbalat Schabbat" nennt, wird er mit verschiedenen Gebeten empfangen. Das berühmteste und wichtigste Gebet des Abends ist das "Lecha Dodi". Es beschreibt, dass man den Schabbat wie eine Braut empfangen soll. Für die ESC-Zeit hat sich die liberale jüdische Gemeinde "Beit Tefilah Israel" etwas ganz besonderes überlegt: Sie singen die hebräischen Gebetstexte auf die Melodien von ESC-Songs. "Seit 13 Jahren halten wir im Sommer jeden Freitagabend hier ein 'Kabbalat Schabbat' mit viel Musik", sagt Rabbi Esteban Gottfried. "Da Israel jetzt Gastgeber des ESC ist, haben wir gedacht, wir müssen dazu etwas beitragen."
Berühmte Unterstützer
Dafür haben sie sich berühmte Unterstützung geholt. Izhar Cohen hat 1978 in Paris für Israel den Eurovision Song Contest gewonnen. An diesem Freitag singt er das Lied "Lecha Dodi" - den Höhepunkt des Schabbat-Gottesdienstes. Natürlich muss er aber auch seinen damaligen Gewinnersong zum Besten geben: "A-ba-ni-bi". Auch Sha'anan Streett, Sänger der in Israel berühmten Band "Hadag Nachash" ist mit von der Partie.
Und das Konzept geht auf. Viele Menschen haben heute den Weg in den Hafen von Tel Aviv gefunden, um dort den Schabbat zu empfangen. "Es ist großartig. Ich glaube, es waren fast 2.000 Leute da", sagt Rabbi Gottfried. "Wir bieten den Leuten eine Möglichkeit, den Schabbat auf eine andere Art und Weise zu feiern. Es muss nicht immer orthodox sein. Man kann es auf eine Art tun, die mit ihren liberalen und demokratischen Werten übereinstimmt." Die Gebete stammen aus dem Gebetbuch, das auch in jeder anderen Synagoge zu finden ist. "Wir fügen noch Texte, Musik und Persönlichkeit dazu. Es ist eine Art von Judentum-Labor", sagt Rabbi Gottfried.
"Wir feiern das Leben"
Gali ist heute mit ihrem Vater Zion zu der Veranstaltung gekommen. Auch wenn heute ausschließlich Israelis im Publikum sind, hoffen sie, dass die ESC-Fans einen positiven Eindruck vom Judentum und Israel bekommen. "Es ist einfach die Stimmung hier", sagt Zion. "Jeder wird mit einbezogen, ob er jüdisch ist oder nicht. Jeder wird akzeptiert. Das ist schön." Gali will vor allem zeigen, dass die Israelis es lieben zu feiern und fröhlich zu sein. "Wir können sehr ernst sein und manchmal sind die Zeiten hart, aber wir wissen zu schätzen, was wir haben. Wir feiern das Leben." Gali und Zion hoffen darauf, auch Gebete zur Melodie von "Dschingis Khan" zu hören. Die deutsche Band, die 1979 in Jerusalem am ESC teil genommen hat.
Dieser Wunsch wird leider nicht erfüllt, aber der Abba-Klassiker "Waterloo" vom ESC 1974 in Brighton ist natürlich dabei. Und kurz bevor die Sonne im Mittelmeer untergeht, beendet Rabbi Gottfried und seine Band den Abend mit dem letzten Gebet zur Melodie der Tel Aviv-Hymne "Golden Boy" des israelischen ESC-Teilnehmers Nadav Guedj in Wien 2015.