Nachlese: Spannendes bei der Zahlenanalyse
Nein, als Jahr der Rekorde wird 2018 nicht in die Geschichte des Eurovision Song Contest eingehen - zumindest nicht, was den Sieger angeht. Die insgesamt 4.816 Punkte der 43 Teilnehmerländer verteilten sich gleichmäßig auf ein breites Favoritenfeld und Nettas Anteil an der erreichbaren Höchstpunktzahl von 1.008 belief sich auf gerade einmal 52,48 Prozent, was noch unter den 54,27 Prozent liegt, die Jamala in Stockholm für ihr "1944" erhielt. Israels 529 Punkte sind somit das schwächste Ergebnis seit Einführung des zweigeteilten Wertungssystems 2016. Zur Erinnerung: Salvador Sobral erhielt 2017 für "Amar pelos dois" 77,03 Prozent der erreichbaren Höchstpunktzahl. Auch Israels Vorsprung auf den zweiten Platz mit Zypern fällt mit 9,45 Prozent vergleichsweise spärlich aus. Aber an Alexander Rybaks Rekordvorsprung von 34,35 Prozent im ESC-Finale 2009 muss man sich auch nicht unbedingt messen.
Ungleichgewichtige Halbfinale
Doch auch ohne Rekorde besitzt die 2018er Edition des ESC eine Menge interessanter Auffälligkeiten. Erstmals ist ein Halbfinalsieger im Finale richtig abgestürzt: Alexander Rybak, der mit seinem "That's How You Write A Song" im zweiten Semifinale noch die Nase vorn hatte, landete abgeschlagen auf dem 15. Platz. Das lag zum Teil daran, dass die Mehrzahl der Favoriten aus dem ersten Halbfinale stammten und sich - gemeinsam mit den ebenfalls favorisierten Big-Five-Nationen Deutschland, Italien und Frankreich - vor den ESC-Gewinner von 2009 schoben. Aber auch die Beiträge aus Schweden, Moldau und Dänemark, die im zweiten Halbfinale noch deutlich hinter Rybak lagen, überholten den Norweger in der entscheidenden Finalwertung.
Juryglück - Juryleid
Daran waren die Jurys nicht ganz unschuldig. Sie setzten den schwedischen Beitrag "Dance You Off" auf den zweiten Platz, während er bei den Zuschauern nur auf Platz 23 rangierte. Auch wenn das am Ende für Benjamin Ingrosso den siebten Platz bedeutete, geht diese Rekorddifferenz von 21 Rängen in die ESC-Wertungsgeschichte ein. Dabei ist anzumerken, dass die schwedischen Beiträge seit 2013 stets besser bei den Juroren ankamen als bei den Zuschauern. Sollte das Publikum etwa weniger Mainstream-affin sein als die Fachleute? Am anderen Ende der Skala war in diesem Jahr Mélovin Leidtragender des Jury-Bashings: Ganze 19 Ränge schlechter als die Zuschauer platzierten ihn die ESC-Jurys. Am Rekord des Polen Michał Szpak, den die Jury sogar um 22 Ränge schlechter einstufte, kratzte der Ukrainer allerdings nicht.
Jurys versus Televoting
Schaut man sich allerdings das Gesamtranking und nicht nur die ersten zehn Punkteränge an, sieht das Ergebnis ein wenig anders aus: Zwar profitiert auch hier Schweden vom Einfluss der Jurys, doch Hauptleidtragender ist nicht die Ukraine, sondern Dänemark. Rasmussens "Higher Ground" wurde von den Juroren im Schnitt 9,84 Ränge niedriger eingestuft als von den Zuschauern. Weitgehende Einigkeit herrschte dagegen bezüglich des französischen Beitrags "Mercy" mit einer Abweichung von gerade einmal 0,28 Rängen, wobei die Geschichte um ein gerettetes Flüchtlingsmädchen in den Länderjurys entlang der Balkanroute deutlich weniger Anklang fand (in Rumänien Rang 25, in Serbien Rang 25, in Ungarn Rang 24, in Mazedonien Rang 21). Insgesamt lag die durchschnittliche Abweichung zwischen Jurywertung und Zuschauerwertung mit 6,93 Rängen so hoch wie noch nie seit Einführung des zweigeteilten Wertungssystems.
Nationale Unterschiede
Richtig spannend wird es, wenn man sich die nationalen Wertungen ein wenig näher anschaut, denn nicht nur zwischen Juroren und Zuschauern herrschte in weiten Teilen Uneinigkeit - auch innerhalb der Jurys waren die Meinungen zum Teil sehr unterschiedlich. Vor allem die Jury in Mazedonien war sich uneins: Hier lagen die Wertungen im Schnitt 6,62 Ränge auseinander. Harmonie bewies dagegen die portugiesische Jury mit einer mittleren Abweichung von gerade einmal 2,68 Rängen. Besonders stark polarisierte der Beitrag aus Irland, bei dem die Jurymitglieder im Schnitt ganze fünf Ränge voneinander abwichen. Einstimmigkeit herrschte bei den Juroren in Belgien, die allesamt Österreich favorisierten, sowie innerhalb der deutschen Jury, die geschlossen für Schweden stimmte. Der von dem Russen Filipp Kirkorow produzierte Beitrag aus Moldau wurden von den Jurys aus Litauen und Portugal einstimmig auf den vorletzten Rang gesetzt, während die polnische Jury ihn geschlossen auf den letzten Platz verbannte.
Deutschland im mittleren Ranking Dritter
Die neue Regelung, dass schlechte Wertungen einzelner Jurymitglieder sich weniger stark auf die gesamte Jurywertung auswirken, hat sich bereits bewährt: Der israelische Juror Eliko setzte den österreichischen Beitrag auf Rang 25, während die vier übrigen ihn auf dem zweiten Rang sahen. Im Gesamtergebnis erhielt "Nobody But You" dann doch zwölf Punkte von der Jury. Besonders stark klaffte die Meinung der lettischen Juroren hinsichtlich des britischen Beitrags "Storm" auseinander: Während drei der fünf Juroren ihn auf den letzten beziehungsweise vorletzten Platz setzten, platzierten ihn die beiden anderen in die Top 10 - und bescherten SuRie so zwei Jurypunkte aus Lettland. Kleiner Fun-Fact zum Schluss: Im mittleren Ranking von Jurys und Zuschauern hätte Deutschland hinter Israel und Zypern vor Österreich den dritten Rang belegt. Aber das schmälert die Freude über den vierten Platz beim ESC-Finale in Lissabon nicht im Geringsten.