Stand: 12.03.2015 13:30 Uhr

Das offenkundige Desinteresse der Briten

Alex Larke und Bianca Nicholas vertreten als Electro Velvet Großbritannien beim ESC in Wien © BBC
Das Swing-Duo Electro Velvet schnippt in Wien für Großbritannien mit den Fingern.

Die Meldung ist fast ein bisschen untergegangen, denn viele Länder haben in den letzten Tagen ihre Acts für den ESC bekanntgegeben. Die BBC jedenfalls gab bekannt, dass eine Formation namens Electro Velvet mit "Still In Love With You" den Union Jack in Wien vertreten wird. Wie bitte? Nicht einmal so bekannte Namen wie Engelbert Humperdinck oder Bonnie Tyler? Ein flüchtiges Googlen belehrt: Dieses Duo war sich vor der Nominierung durch die BBC nicht bekannt. Der eine ist durch eine Art Imitationstalent bekannt (irgendwas mit den Rolling Stones), die andere durch … keine Ahnung. Jedenfalls: Die Pressemeldung der Briten zu Electro Velvet zieht sich über mehrere Din-A-Seiten und steht damit umgekehrt proportional im Verhältnis zur Wichtigkeit dieser beiden Künstler im Popbusiness: Sie waren wahrscheinlich günstig zu haben.

Mich hat diese Meldung erschüttert. Warum? Weil in den Jahren meines ESC-Erwachens, als ich also der Droge Eurovision verfiel, war das Vereinigte Königreich immer für einen Spitzenplatz gut. Das Debüt gab der Sender 1957, und erst 1978, mit der Gruppe CoCo, landete "Le Royaume-Uni", "The United Kingdom" nicht unter den Top Ten des ESC. Stattdessen: Top 3-Ränge in Hülle und Fülle. Sandie Shaw (1967), Lulu (1969), Brotherhood of Man (1976), Bucks Fizz (1981) und Katrina & The Waves (1997) siegten - andere, etwa Cliff Richard (1968), Matt Monro (1964), Kathy Kirby (1965), Mary Hopkin (1970) und die New Seekers (1972) landeten auf dem zweiten Rang neben noch einigen anderen. Man hat gar nicht so viel Platz, um den ESC-Ruhm Großbritanniens und Nordirlands zu würdigen.

Die Krise läuft schon länger

Katrina and the Waves vertreten Grossbritannien 1997 beim Grand Prix. © dpa / Photoshot
Seit Katrina & The Waves 1997 haben die Briten den Song Contest nicht mehr gewonnen.

Die Krise begann nach dem Sieg von Katrina & The Waves 1997. Englisch war schon immer die Sprache des modernen Entertainments - und seit 2000 müssen die ESC-Länder nicht mehr in ihren Landessprachen singen. (Ausnahme: In den siebziger Jahren gab es auch Jahre der freien Sprachwahl, siehe "Waterloo" von Abba.) Plötzlich war das Englische nicht mehr automatisch verbunden mit dem Flair des Internationalen und des Globalen. So lausig manche Acts, die nicht aus Irland oder Großbritannien kamen, mit ihrem Schulenglisch klangen - die einfachen Botschaften des Pop konnten jetzt auch andere auf Englisch auf die Bühne tragen.

Wichtiger aber noch: Die großen UK-Erfolge in den sechziger und siebziger Jahren hatten auch damit zu tun, dass viele etablierte Stars mitmachten - weil sie jenseits ihrer Insel den kontinentalen Markt nicht vernachlässigen wollten. Obendrein hatte ein wirklich witziger Mann wie Terry Wogan das Zepter des Kommentators in der Hand. Anders als Peter Urban, der eher durch feine Ironie in seinen Statements auffällt, neigte der Brite zum Madigmachen, zum Ätzenden und Abfälligen. Der ESC hat zwischen Dover und den Shetland-Inseln einen Ruf wie eine ästhetische Sondermüll-Versammlung, das muss man leider sagen.

In der Folge veranstaltete der BBC zwar öfter Vorentscheidungen, hin und wieder nominierte der Sender auch Kandidaten (wie voriges Jahr die Sängerin Molly Smitten-Downes), aber insgesamt machten aktuelle Stars nicht mehr mit - abgesehen von Blue im Jahre 2011, aber die kann man als Ausnahme betrachten. Die Bilanz in Plätzen und Punkten weist für das Vereinigte Königreich insofern Trauriges aus. Drei allerletzte Ränge bei den vergangenen zwölf ESCs (Jemini 2003, Andy Abraham 2008, Josh Dubovie 2010), aber bis auf Blue und Jade Ewen 2009 alle Acts ganz weit hinten. Dass diese debakulöse Geschichte der jüngsten Zeit nicht gerade dazu beiträgt, wieder echte Hoffnungsträger zu gewinnen, versteht sich von allein.

Die 60. ESC-Geburtstagsfeier als Retrospektakel - als Begräbnisfeier?

Um das Dramatische zu illustrieren: Künstlerinnen wie Amy Winehouse, gälte in Großbritannien noch die gleiche Wertschätzung für den ESC wie in den Sixties oder Seventies, wären bei einem ESC an den Start gegangen. Wer das für absurd hält, hat keine Vorstellung von der Prominenz von Sandie Shaw oder Matt Monro oder Cliff Richard, die sie einst hatten.

Cliff Richard beim Grand Prix 1968  Foto: UPI
In den sechziger und siebziger Jahren hatte der ESC im Mutterland des Pop noch einen exzellenten Ruf. Stars wie Cliff Richard gaben sich gerne die Ehre.

Der ESC ist in Großbritannien offenbar nur als Retro-Spektakel zu haben - das spiegelt sich auch in der Show am 31. März zum 60. ESC-Geburtstag. Als Nostalgieshow, als Revue des überwiegend Gestrigen und Vorgestrigen. Das aber ist keine Neubeatmung des ESC - sondern seine Begräbnisfeier.

Für das Lied von Electro Velvet ist der Komponist David Mindel mitverantwortlich, der schon 1974 und 1982 mitmachte - und mit seinen Songideen in den Vorentscheidungen hängen blieb. "Still In Love With You" ist nun der Titel, den Alex Larke, 35, und Bianca Nicholas, 26, singen. Ein quietschendes, nervös stimmendes Irgendetwas. Wie schade für dieses legendäre ESC-Land, aber es hat es selbst so gewollt.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 23.05.2015 | 21:00 Uhr

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Großbritannien (UK)