Stand: 24.05.2019 14:30 Uhr

Feddersen: Denkwürdiger ESC in Tel Aviv

Für Australien steht Kate Miller-Heidke mit "Zero Gravity" auf der ESC-Bühne. © eurovision-tv Foto: Thomas-Hanses
Schwebte über allen, aber nicht auf Platz eins: Kate Miller-Heidke aus Australien.

Spätestens am Freitag voriger Woche war Tel Aviv voll mit Eurovisions-Touristen. Und es gab natürlich nur ein Thema: Wer wird gewinnen? Und ganz oben - wehe, jemand hegte Zweifel - stand in der Wertschätzung vor dem Finalsamstag - Australien. Beziehungsweise: Kate Miller-Heidke, die mit opernhaftem Gezwitscher, und obendrein mit zwei anderen Frauen an stabhochsprungartigen Stangen durch den Raum schwebend, alle zu überzeugen schien. Die sei so besonders, so unique, hieß es. Dass ihr Lied "Zero Gravity" nicht gut genug war, wurde nicht geteilt. Dabei stimmte doch auch in Tel Aviv: Die Inszenierung ist wichtig, aber gewichtiger ist das Lied, das eingängig sein muss, glaubwürdig wirken und sympathisch vorgetragen sein muss. Ms Miller-Heidke lenkte zirzensisch von der nur etwas gehobenen Durchschnittlichkeit ihres Beitrags ab.

Knappes Rennen zwischen Niederlande und Italien

Es war ein knappes Rennen wie selten: Zwischen Duncan Laurence und Mahmood lag ein Abstand von etwas mehr als zwei Höchstwertungen von je zwölf Punkten. Der Italiener wurde durch die osteuropäischen Jurys schlecht bedient. Und wer darin eine, mindestens, Skepsis gegen einen Sänger erkennen möchte, der durch seinen Namen nicht klassisch-europäisch mit "Soldi" ins Rennen ging, liegt womöglich nicht ganz falsch. So wenig Punktabstand zwischen den Höchstplatzierten gab es zuletzt 2016. Es kämpften viele Acts um die Krone - das trug erheblich zur Spannung bei.

Juryliebling Lundvik fällt durch Televoting zurück

Die norwegische Gruppe KEiiNO mit ihrer Delegation im Greenroom. © eurovision.tv Foto: Thomas Hanses
Ginge es nur nach den Televotern hätten KEiiNO den Sieg nach Norwegen geholt.

Die Jurys und das Publikum beim Televoting lagen in einigen Fällen krass auseinander. Norwegens KEiiNO waren beim Publikum die Stärksten mit "Spirit In The Sky", aber bei den Jurys unter sehr ferner liefen. Der Schwede John Lundvik war Liebling der Jurys, fiel aber durch die Televoter noch auf den fünften Platz zurück. Aber, unter früheren ESC-Verhältnissen hätte Nordmazedoniens Tamara Todevska den ESC gewonnen, sie war mit ihrer dramatischen Ballade der Konsens der Jurys, ähnlich wie 1983 die chartmäßig unüberraschend erfolglose Corinne Hermès für Luxemburg. Aber das Televoting korrigierte sie noch auf Platz sieben herunter.

ESC-Pop ist länderübergreifend

Viele Menschen, die alle 41 Lieder das erste Mal und auf dem Screen erleben und weder den Namen des Acts noch den des Landes erfahren, werden diese Erfahrung gemacht haben: Kein Lied war mehr klassisch irgendeinem Land auf Anhieb zuzuordnen. "Arcade" klang so niederländisch wie es auch aserbaidschanisch hätte sein können. Wer sich mit den sogenannten Kulturgeschichten der Länder auskennt, wer die ESC-Lieder dieses Jahres oft hörte, wird sagen: Da gibt es sehr wohl Unterschiede. Mag sein, ja, wahrscheinlich wird es so sein, gründlich analysiert. Nur hört das niemand auf Anhieb heraus. Der ESC-Pop ist länderübergreifender geworden, und das ist auch gut so.

Auftritt der Interval-Acts hatte Klasse

Conchita Wurst, Måns Zelmerlöw, Gali Atari, Eleni Foureira und Verka Serduchka auf der ESC-Bühne- © picture alliance/TT NEWS AGENCY Foto: Henrik Montgomery
Stimmten gemeinsam einen Lobgesang an: Conchita Wurst, Måns Zelmerlöw, Gali Atarim Eleni Foureira und Verka Serduchka (v.l.n.r.).

Die Show - ich kann mich an keinen ESC erinnern, bei dem die Integration der klassischen ESC-Stars so freundlich gelang. Netta, die ja sowieso, aber auch Gali Atari, Ilanit und Izhar Cohen, bei der Verkündigung der israelischen Jurypunkte, natürlich auch die äußerlich erfrischte Dana International: Das hatte Schwung, das trug ein Bekenntnis zur Tradition des ESC in zeitgenössischem Look. Schließlich kamen auch noch Eleni Foureira, Verka Serduchka, Måns Zelmerlöw, Conchita Wurst - gemeinsam "Halleujah", den Siegertitel von 1979 anstimmend: Das hatte Anmut, das hatte Klasse.

Der ESC ist zur Programmmarke junger Zuschauer geworden. Es ist cool, diese queerste Familienshow im Zeichen von Diversity zu gucken.

Madonna war nicht größer als der ESC

Madonna währen ihres Auftritts mit dem Song "Future"  beim Eurovision Song Contest 2019 im Finale. © picture alliance / KAN / dpa Foto: Orit Pnini
Madonna traf bei ihrem ESC-Auftritt nicht alle Töne.

Madonna war nie mehr als eine Pausenfüllerin beim ESC. Sie hat so viele Verdienste um die queere Kultur in der Welt, dass sie nicht mehr daran zu messen sein kann, ob ihre Stimme noch die Kraft ihres Karrierebeginns in den 80er-Jahren hat. Sie war da, mehr kann man nicht sagen. Sie hat ihren Auftritt für das Netz nachbearbeitet. Na und? Sie konnte nicht größer als der ESC selbst sein. Schätzungsweise hat sie das auch immer gewusst.

Der Richtige hat gewonnen

Kaum in Tel Aviv angekommen, hörte ich: Der Niederländer, der ist langweilig, der sitzt einfach nur hinterm Klavier und tut nichts. Er singe nur und das auf ihn gerichtete gleißende Licht werde das Ding auch nicht in trockene Tücher bringen. Die Wetter ließen sich nicht beirren und hielten ihn auf Platz eins. Und so kam es: Er gewann als erster ESC-Solist ohne Tanzeinlage, pur hinterm Klavier, seit Udo Jürgens' Sieg 1966 mit "Merci Chérie". Es hat der Richtige den Jackpot geknackt.

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 18.05.2019 | 21:00 Uhr

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