Showbericht: Berührender Holländer, cooler Italiener
Es ist 1.00 Uhr, als ein erlösendes Lächeln über Duncan Laurence' Gesicht geht. Der Niederländer steht als Sieger des 64. Eurovision Song Contest in Tel Aviv mit 492 Punkten fest. Der 25-Jährige gewinnt den Abstimmungskrimi gegen Mahmood aus Italien (465 Punkte). "Yes, yes", ruft Duncan Laurence, als er die begehrte ESC-Trophäe auf der Bühne entgegennimmt. Er widmet diesen Sieg der Musik. Denn darum geht es in erster Linie bei diesem Musikwettbewerb. Schön, dass er daran erinnert. Als er anschließend seinen Siegersong "Arcade" noch einmal performt, fordert er das Publikum auf mitzusingen. Zum Schluss löst sich jegliche verbliebene Anspannung - ein paar Tränen fließen über Duncans Gesicht, doch die Freude überwiegt. Es ist, als ob er sein Glück noch nicht richtig fassen kann.
Duncan Laurence wird Favoritenrolle gerecht
So sehr Duncan Laurence den Jubel in der Menge genießt, seine Geschichte beginnt an diesem Abend als einsamer Mann am Klavier. Ganz dunkel ist es im Internationalen Kongresszentrum, als er "Arcade" anstimmt. Dann leuchtet ihn ein schmaler Lichtkegel aus. Der Fokus ist nur auf ihn und seinen Gesang gerichtet. Es klingt intensiv, berührend und authentisch, wenn der 25-Jährige vom Verlust eines geliebten Menschen singt, der jung gestorben ist und deshalb die große Liebe nicht mehr erleben kann. "Small town boy in a big arcade, I got addicted to a losing game." Aus dem "small town boy" Duncan ist an diesem Abend ein Großer geworden. Denn er ist seiner Favoritenrolle bravourös gerecht geworden.
Keiner singt lässiger als Mahmood
Auch Mahmood singt und rappt an diesem Abend mit "Soldi" ein sehr persönliches Lied über seinen Vater, der sich nicht für sein Kind interessiert und nur Geld von ihm haben will. Dazu passt perfekt die Einblendung auf der Videoleinwand: "Money can't buy our love". Projektionen des übergroßen Mahmood, eines Kaleidoskops aus Händen und hinabschwebende Geldscheine machen die Inszenierung rund. Auch stimmlich überzeugt der 26-Jährige aus Mailand - keiner singt "aha" so cool wie Mahmood.
Norwegen entpuppt sich als Publikumsliebling
Insgesamt ist die Show in Tel Aviv gespickt mit guten Künstlern. Dazu gehört auch der Russe Sergey Lazarev, der nach 2016 wieder Platz drei macht. Ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann, auch wenn der ehrgeizige 36-Jährige mit der dramatischen Ballade "Scream" diesmal den Sieg angepeilt hatte. Ebenso legt Luca Hänni aus der Schweiz einen famosen Auftritt zu "She Got Me" aufs Parkett. Perfekt singt und tanzt der 24-Jährige im Eleni-Foureira-Style auf einer der bisher größten ESC-Bühne.
Dahinter reihen sich die Skandinavier ein: KEiiNO aus Norwegen katapultieren sich dank 291 Televoter-Punkten mit ihrer Eurohymne "Spirit In The Sky" noch auf Platz fünf. Projektionen von Rentieren und samischen Schriftzeichen sind schön anzuschauen. Lange Zeit scheint ein Sieg von John Lundvik aus Schweden möglich. Mit seinem Up-Tempo-Song "Too Late For Love" und unterstützt von seinen vier stimmgewaltigen Gospel-Ladys, die er liebevoll "Mamas" nennt, liegt er nach der Vergabe der Jurypunkte noch vorne. Nach den Stimmen der Zuschauer fällt der Sänger mit der samtigen Stimme auf Platz sechs zurück.
Tamara Todevska macht ein kleines Land stolz
Ein gutes Ergebnis erzielt auch Chingiz aus Aserbaidschan als Siebter. Der 28-Jährige lässt von zwei Robotern ein Herz auf seinen Körper projizieren. Aber es ist nicht nur die Inszenierung zu "Truth", die gefällt. Auch gesanglich gehört Chingiz zu den Besten des Abends. Genauso wie Tamara Todevska - eine der größten Überraschungen. Sie tritt für das gerade mal zwei Millionen Einwohner zählende Land Nordmazedonien an. Ihre Ballade "Proud" widmet sie allen Töchtern. Auf Platz acht kann die zweifache Mutter zu Recht stolz sein, wie auch der südosteuropäische Kleinstaat.
Schwesterlicher Auftritt von den S!sters
Für Deutschland ist es kein leichter Abend. Die S!sters legen einen guten Auftritt hin, zum Song "Sister" laufen sie aufeinander zu, suchen die Nähe zum Publikum, und stehen schließlich Rücken an Rücken - ganz nach beieinander, schwesterlich eben. Sie können sich aufeinander verlassen, deshalb ist die Freude groß nach einem gelungenen Auftritt, an dessen Ende ein 24. Platz steht.
Musikalisch ist an diesem Abend für jeden etwas dabei - von Gospel, Chanson, Country, Rap, Oper, Balladen aller Art und Industrial-Pop. Den bieten Hatari aus Island. Die antikapitalistische Band sticht aus mancherlei musikalischer Beliebigkeit heraus. Die Beiträge aus Weißrussland oder San Marino wirken doch wie etwas aus der Zeit gefallen.
Madonna als Botschafterin für Musik
Außer Konkurrenz tritt an diesem Abend Madonna auf. Erst zwei Tage vor dem Finale war klar, dass die Diva zwei Songs präsentiert, "Like A Prayer" und "Future". Ihr Auftritt ist allerdings alles andere als glücklich, Madonna trifft beim Singen nicht alle Töne, ihre Stimme wirkt oft dünn. Wichtiger jedoch als ihre Performance ist ihre Botschaft an die 26 Künstler: "Music makes the people come together." Genau das ist der Sinn des ESC. Und sie sagt weiter: "Egal was passiert, ihr seid alle Gewinner." Nur Duncan Laurence ist es an diesem Abend ein bisschen mehr.