Portugal sprengt Genre-Grenzen mit Conan Osíris
Es ist bereits bei den ersten Sekunden seines Auftritts im portugiesischen Vorentscheid klar: Das hier wird einer der meist diskutierten Auftritte beim ESC in Tel Aviv. Zwei Männer, beide in langen mit plüschigen weißen Federn besetzten Anzügen, stehen auf der Bühne. Der Sänger, Conan Osíris, trägt Goldapplikationen im Gesicht, am Handgelenk, an den Fingern, außerdem große Ohrringe und Turnschuhe. Er singt die ersten sanften Töne des Songs "Telemóveis", dann folgt ein Ruf: "Hey!" - und er beginnt stampfend zu tanzen. Der eigentliche Tänzer João Reis Moreira schaut sich das Ganze teilnahmslos auf einer Treppe sitzend an, zur zweiten Strophe beginnt er, mitzutanzen. Er tippelt auf Zehenspitzen, wirft sich mehrfach auf den Boden. Es ist ein Auftritt, wie man ihn wohl noch nicht gesehen hat. Auf der Bühne passiert viel, im Song noch mehr: "Telemóveis" ist eine atemberaubende Fusion aus Fado, Techno und arabischen Einflüssen, die Conan Osíris mit Modern-Dance-Elementen und der archaisch anmutenden Maske eindrucksvoll unterstreicht.
Conan Osiris: Ein ägyptischer Anime
Conan Osíris heißt eigentlich Tiago Miranda und kommt am 5. Januar 1989 in Lissabon zur Welt. Ebenfalls an einem 5. Januar wird der berühmte japanische Regisseur Hayao Miyazaki geboren, von dessen Anime "Zukunftsjunge Conan" sich Tiago den späteren Künstlernamen leiht. Als Schüler beginnt er mit 16 Jahren auf dem Computer seines Stiefvaters zu komponieren, die Texte dazu entstehen in der Schule in Agualva-Cacém in der Nähe Lissabons. Er studiert Grafikdesign in Castelo Branco und trifft dort auf Rúben de Sá Osório, der bis heute Conans Stylist ist. Von ihm erhält er auch den Namen "Osíris". Osiris ist der ägyptische Gott des Jenseits, Herrscher der Unterwelt.
Komponist im Sexshop
2012 beginnt Conan Osíris im ältesten Sexshop Portugals in Lissabon zu arbeiten. Sechs Jahre bleibt er, fühlt sich dort wohl und sagt, er verbringe in dem Laden "den größten Teil seines Lebens". Auch sein erstes Album "Silk" komponiert er dort, es enthält unter anderem instrumentale Stücke, die er für Modenschauen in Portugal geschrieben hat. Seine Musik zeichnet sich durch einen wilden Mix unterschiedlichster Einflüsse aus. Im Jahr 2018 gibt Conan Osíris sein TV-Debüt in einer Late-Night-Sendung von Filomena Cautela, Moderatorin des ESC 2018 in Lissabon.
Ebenfalls im Jahr 2018 fragt ihn der portugiesische Sender RTP an, ein Lied für den Vorentscheid, das Festival da Canção zu komponieren. Er entscheidet sich dazu, "Telemóveis" ("Handys") auch selbst zu singen. Im Halbfinale sehen die Juroren ihn noch nicht ganz vorne, doch es reicht fürs Finale in Portimão an der Algarve, bei dem er von den Regionaljurys und dem Publikum die Höchstpunktzahl bekommt. Sein Lied lässt viel Spielraum für Interpretation. Eine ist, dass in seinem Song das Handy eine Metapher dafür ist, mit Toten zu kommunizieren. Eine andere, dass er generell über den Verlust zwischenmenschlicher Kommunikation singt.
Festival da Canção: Osiris schon im Vorfeld Favorit
Seit drei Jahren lädt das portugiesische Fernsehen gezielt Autoren ein, Beiträge für das Festival da Canção zu schreiben. Die bisherige Ausbeute: ein erster Platz mit Salvador Sobral und ein letzter Platz mit Cláudia Pascoal. Kein Anhaltspunkt also, ob das Verfahren beim ESC dauerhaft Erfolg verspricht. Die Qualität der Beiträge hat es auf jeden Fall deutlich angehoben - und die durch die Öffentlichkeit im Vorfeld ausgewählten Wildcards sind nicht einmal in die Nähe der Medaillenränge gekommen. Schon vor dem ESC steht Conan Osíris im Fokus, denn sein Titel hat schon kurz nach Veröffentlichung die Millionenmarke bei den YouTube-Views geknackt. Doch in Tel Aviv läuft es nicht so gut: Im Halbfinale ist für den Beitrag aus Portugal Schluss.