Zweites ESC-Halbfinale: Eine Feier der Vielfalt
Jodelklänge aus Rumänien, ein Mann mit zwei Stimmen und ein 17-Jähriger, der seinen älteren Konkurrenten zeigt, wie man einen souveränen Auftritt hinlegt: Neben den typischen Song-Contest-Balladen bringen die Teilnehmer des zweiten Halbfinales viel Ungewöhnliches auf die Bühne. Getreu dem Motto des diesjährigen Eurovision Song Contest - "Celebrate Diversity" - sind es an diesem Showabend vor allem die außergewöhnlichen Beiträge, die mit einem Finalticket belohnt werden. Zehn Kandidaten schaffen die Halbfinalhürde, für acht Teilnehmerländer ist die ESC-Reise beendet. Damit stehen die Finalisten für das Finale des Eurovision Song Contest 2017 am 13. Mai in Kiew fest.
Landessprache punktet
Zwei Länder trauen sich, mit Songs in Landessprache anzutreten, für beide zahlt sich der Mut aus. Der Ungar Joci Pápai liefert mit seinem "Origo" (Ursprung) einen gelungenen Mix aus klassischer Gipsy-Music mit modernen Rap- und Pop-Elementen. Von den Zuschauern bekommt er für diesen Auftritt viel Applaus. Beim weißrussischen Beitrag kann das Publikum dank eingängiger Hookline "Hey! Hey! Hay-yay-yay-a-ho!" mitsingen. Obwohl die meisten Zuschauer den Text kaum verstehen dürften, verbreiten Naviband mit dem folkloristischen Song "Historyja majho žyccia" oder auch "Story Of My Life" in der Halle gute Laune.
Der mutigste Beitrag des Abends kommt aus Rumänien: eine jodelnde Sängerin und ihr rappender Partner. Dazu werden Konfettikanonen gezündet. Der Auftritt von Ilinca feat. Alex Florea erinnert an Kinderfernsehen - es ist bunt, es ist überraschend, es ist laut. 2016 durfte das Land wegen Schulden bei der European Broadcasting Union nicht starten, mit "Yodel It!" gehören die rumänischen Teilnehmer dieses Jahr mit Sicherheit zu den größten Stimmungskanonen. Auf eine etwas andere Weise sticht der Kroate Jacques Houdek mit seinem Titel "My Friend" aus der Kandidatenriege heraus. Gekonnt wechselt er zwischen Pop- und Opernstimme. Das klingt gewöhnungsbedürftig, ist Jury und Zuschauern aber einen Finalplatz wert.
Kitsch und Boygroupcharme
Tief in die Kitsch-Kiste greift Nathan Trent. Der Österreicher trägt sein fröhliches "Running On Air" vor einer rosa Wolken-Kulisse auf einem großen, verspiegelten Mond stehend vor. Trotzdem wirkt der Auftritt nicht schnulzig. In die Kategorie "Mädchenschwarm" gehört auch Imri Ziv aus Israel, der mit seinem Pop-Dance-Titel "I Feel Alive" Boygroupcharme auf die Bühne bringt. Und noch ein weiterer männlicher Einzelkämpfer sichert sich einen Platz im Finale: Bulgariens ESC-Küken Kristian Kostov kann stimmlich nicht nur mit seinen älteren Konkurrenten mithalten, der 17-Jährige steckt einige von ihnen mit seiner Ballade "Beautiful Mess" sogar gesanglich locker in die Tasche.
Skandinavische Freude
Nachdem Schweden bereits im ersten Halbfinale den Finaleinzug schaffte, ziehen zwei weitere skandinavische Länder nach. Für Norwegen können Jowst, der DJ mit der Maske, und sein Sänger Aleksander Walmann überzeugen. "Grab The Moment" klingt modern, ist tanzbar und bleibt hängen. Und auch Dänemark ist weiter. Anja Nissen, eine Australierin mit dänischen Wurzeln, liefert mit der Ballade "Where I Am" einen fast schon klischeehaften ESC-Auftritt: feuerrotes Kleid, lange blonde Haare und dramatische Gesten. Ein Stück weiter südlich dürfen auch die Niederlande weiter vom Sieg träumen. Die drei Schwestern von O'G3NE harmonieren stimmlich perfekt und erinnern mit ihrem Titel "Lights And Shadows" an das US-amerikanische Frauentrio Wilson Phillips.
ESC-Reise beendet
Acht Teilnehmerländer scheitern an der Halbfinalhürde, darunter auch die Schweiz. Dabei ist der Auftritt ein Hingucker: Ein bisschen Bonbon, ein bisschen Bibo - in einem gelben Tüllkleid steigt Timebelle-Sängerin Miruna Manescu zu dem Song "Apollo" eine Wendeltreppe hoch. Mit ihrem durchsichtigen Kleid will anscheinend auch die Serbin Tijana Bogićević auffallen. Das bleibt zwar auch im Gedächtnis, ebenso wie ihr Tänzer, der mit nacktem Oberkörper ausdrucksvoll über die Bühne rollt. Doch ihr Song "In Too Deep" scheint zu wenig Erinnerungswert zu haben. Geplatzt ist der ESC-Traum außerdem für die Maltesin Claudia Faniello, die das Publikum mit der behäbigen Ballade "Breathlessly" leider nicht sprachlos machen kann.
Baby-Outing und Balztänze
Nicht ganz so traurig über das Aus dürfte Jana Burčeska sein. Der Auftritt der Mazedonierin wird zur Nebensache - erst lüftet sie ihr Baby-Geheimnis, dann macht ihr Freund ihr einen Heiratsantrag. Muttergefühle weckt auch der Ire Brendan Murray, so hoch, ja fast mädchenhaft, klingt seine Stimme. Stimmlich etwas zu dramatisch kommt die litauische Band Fusedmarc rüber. Dass ihr Beitrag nach Modern Talking klingt, bringt Koit Toome und Laura kein Glück. In ihrem Song greifen die Esten die Liebesgeschichte von Romeo und Julia auf - doch auch für sie endet die Geschichte tragisch: Das Duo scheidet aus. Auch den Balztanz von Valentina Monetta mit Jimmie Wilson scheint sich das Publikum nicht noch einmal ansehen zu wollen. Valentinas vierte ESC-Teilnahme endet vorzeitig. Diese acht ausgeschiedenen Kandidaten können das Finale am Samstag nur aus der Zuschauerperspektive miterleben.