Vielleicht geschieht ein Wunder
Die Erwartungen an das Teilnehmerfeld im Wettbewerb um die deutsche Fahrkarte nach Stockholm sind, so ist mein Eindruck, nicht besonders hoch. Jeder, der sich halbwegs mit dem ESC und den deutschen Verhältnissen auskennt, weiß, dass große bis sehr große Namen nicht zu erwarten sind. Es ist kein Geheimnis, dass der Name Helene Fischer nicht gehandelt wird. Sie ist auf dem Zenit ihrer deutschen Karriere, der Terminkalender ist voll. Nein, das "German Sweet Darling" ist wohl nicht zu haben. Ich selbst kenne noch keinen einzigen Namen. Aber alle, die antreten, werden auch gewinnen wollen und insofern mit starkem Ehrgeiz nach Stockholm reisen.
Unverhofft kommt oft?
Wichtig ist doch der Appeal, dieses gewisse Etwas, das ESC-Kandidaten oft erst während der eurovisionären Probetage entwickeln. Vielleicht bin ich naiv, zumal in den vergangenen Jahren nur Künstler vorne gelegen haben, die auf jahrelange Erfahrung auf Bühnen zurückblicken konnten - und auf ebenso jahrelange Erfahrung im Fernsehen. Måns Zelmerlöw, Ruslana, Dima Bilan, Loreen oder Ell & Nikki - sie alle hatten mächtige Betreuungsapparate hinter sich, vor dem ESC und während der ESC-Tage. Bis ins allerletzte Detail blieben sie unter Beobachtung und Betreuung. Der ESC ist eben keine Zufallsveranstaltung mehr, jedenfalls nicht generell. Nebenbei: Bis in letzte Finessen durchkalkulierte ästhetische Entwürfe gab es beim ESC auch noch früher. Erinnert sei nur an die Performance von Nicole 1982 in Harrogate. Nichts, keine Sekunde an ihrer "Ein bisschen Frieden"-Vorstellung war spontan, das heißt, wurde aus einer künstlerische Eingebung heraus dargeboten.
Und doch: Außenseiter haben es immer wieder nach vorne geschafft. Marija Serifovic 2007 war eindeutig ein solcher Act, mit dem so richtig niemand vorher rechnete. Auch Katja Ebstein, um mal nicht immer nur über Sieger zu sprechen, war 1970 nicht besonders hoch im Kurs: Ihr "Wunder gibt es immer wieder" war am Ende Dritter, weil die deutsche Sängerin auf den Punkt topfit war - nur geschlagen von der haushohen Favoritin Mary Hopkin und der absoluten Außenseiterin Danaaus Irland.
2006 waren es Texas Lightning, über die außer eingefleischten Fans im Vorfeld auch keiner richtig Bescheid wusste. Sie durften dank ihres Sieges bei der deutschen Vorentscheidung, bei der sie arrivierte Stars wie Thomas Anders und Vicky Leandros aus dem Feld geschlagen hatten, nach Athen reisen. Und im Jahr darauf begründete Roger Cicero seine bislang ja immer noch sehr, sehr gute Karriere mit dem Sieg beim deutschen Vorentscheid: Ein Jazzer mit Swingband hatte es auf die Eurovisionsbühne gebracht, ohne dass seine Laufbahn hernach einen Knick erfuhr.
Siegen kann nur wer Lust hat
Und damit sind wir wieder beim deutschen Vorentscheid vom 25. Februar. Siegen kann dort nur, wer Lust aufs Performen hat, wem dies das Publikum auch ansieht - und wem außerdem das richtige Lied gegeben ist. Es kann ein Außenseiter sein, es muss niemand das Rennen machen, der oder die schon immer im Popbusiness irgendwie oben mitmachte. Es würde mich sogar freuen: ein Act, der überzeugt und nicht einmal perfekt sein muss. Nur gut genug, international auf Interesse zu stoßen und dies in der Währung reicher Punkteausbeute entlohnt zu bekommen. Denken wir doch an Lena, oder um es im Geiste von Wind, des deutschen ESC-Acts von 1992 ("Träume sind für alle da"), zu sagen: Man darf, man muss, man sollte - hoffen. In diesem Sinne: ein gutes neues Jahr allen ESC-Freunden und -Freundinnen.