Stand: 11.03.2015 11:00 Uhr

"Black Smoke": Titel mit guten Chancen

ESC-Kandidatin Ann Sophie singt in ein Mikrofon, während goldenes Konfetti auf sie herunter regnet. © NDR Foto: Rolf Klatt
Ann Sophie wird Deutschland im ESC-Finale in Wien mit "Black Smoke" vertreten.

Die ESC-Community debattiert immer noch hartnäckig, wie es denn nun um die Show vom vorigen Donnerstag wirklich bestellt war. Derweil hat sich Andreas Kümmert selbst via Facebook zu Wort gemeldet und signalisiert, dass er miese Kommentare gelesen habe, diese ihm aber einerlei seien. Viel spannender ist tatsächlich jetzt darüber zu spekulieren, wie es um die Chancen von Ann Sophie im Grand Final von Wien am 23. Mai bestellt ist. Denn: Außerhalb unserer Landesgrenzen ist der zurückgetretene Sieger ein No Name - und bleibt es auch. Die deutsche Vertreterin ist die Gewinnerin des Wildcard-Konzerts: Ann Sophie mit dem Titel "Black Smoke".

Um die, wie man so sagt, Kirche mal im Dorf zu lassen: Die innerdeutsche Aufgeregtheit spielt international gar keine Rolle. Unwahrscheinlich ist selbst, dass die vier Dutzend Kommentatoren in Wien während der Finalübertragung darauf eingehen werden. Haben sie gar keine Zeit für - würde man in Hamburg sagen. Nein, so viel Erfahrung darf ich aus all meinen ESC-Jahren beitragen: Irgendwelche Geschichtlein aus den Herkunftsländern der jeweiligen Interpreten sind, wenn das Spiel mit der Eurovisionshymne "angepfiffen" wurde, nicht von Belang.

"Black Smoke": Erholung im Meer der Balladen

Das ist gut für Ann Sophie. Und ich selbst finde das auch in Ordnung. Man muss, ja, man sollte mit den Tatsachen des Lebens ins Reine kommen. Und eine davon lautet für mich: "Black Smoke" wird in Wien beim 60. ESC gute Chancen haben, ein Resultat in den Top Ten zu erzielen. Und zwar - für mich - aus einem simplen Grund: Ihr Lied unterscheidet sich erheblich von der Fülle von Balladen und Mid-Tempo-Nummern, die wir bisher kennengelernt haben. In der Sendung DAS! im NDR-Fernsehen habe ich meine Prognose zu formulieren versucht: In einem Meer von Balladen ist "Black Smoke" die pure Erholung. Es ist ein Lied, zumal durch die beeindruckende Kunst der Performerin, das sich schon im Tempo abhebt. Man hat mit dem schwarzen Rauch nicht mehr das Gefühl, einem schleppend-eurovisionären Begräbnis beizuwohnen.

Insofern sind Texte, die von Wettbüros berichten, welche Ann Sophie in den "bets" auf Talfahrt sehen, von journalistischer Wässrigkeit, das es nur so ein Fremdschämen ist. Im "Hamburger Abendblatt" stand etwa zu lesen: "Bei den Buchmachern wird die Soulmusikerin aktuell nur im Mittelfeld gelistet, Tendenz fallend. Allein von Sonntag auf Montag rutschte Ann Sophie im 40 Teilnehmer großen Feld von Rang 14 auf 18, weit hinter den favorisierten Beiträgen aus Italien, Estland und Finnland." Und das auch noch unter der Überschrift: "Ann Sophie wird bei den Buchmachern durchgereicht".

Nichts dran an prognostiziertem Kurssturz

Mich ärgern solche Schlagzeilen, weil sie nur an der "Eigentlich-ist-ja-Andreas-Kümmert-ein-Opfer-der-Scheinwerfer-Industrie"-Erzählung der Medien interessiert sind: Um der deutschen Vertreterin beim ESC die Legitimität ihres Einsatzes in Wien abzusprechen, wird behauptet, die Wettbüros hätten mit Missvergnügen reagiert, bald drohe sogar ein Kurssturz. Wenn man bedenkt, dass an den wenigen Wetten, die zu platzieren möglich sind, erfahrungsgemäß nur ESC-Fans, also empörungs- und erregungsbereite Leute teilnehmen, wird aus dieser Wettgeschichte in den Medien im Grunde ein rufschädigendes Projekt.

Für das Resultat des ESC jedoch sind die Befindlichkeiten von ESC-Fans gleichwohl von minderem Rang: Das Publikum setzt sich zu 98 Prozent aus Zufallszuschauern zusammen: Die entscheiden nach Lust und Laune, nicht nach länglichen Vorgeschichten. Und die Jurys werden das popmusikalische Potenzial im Blick behalten. Auch hier muss sich der Titel "Black Smoke" nicht verstecken, im Gegenteil.

Kein heißer Favorit in Sicht

Alexander Rybak springt mit seiner Geige auf die ESC Bühne. © Picture Alliance/dpa Foto: Jörg Carstensen
Alexander Rybak war 2009 klarer Favorit und hat den ESC in Moskau mit "Fairytale" haushoch gewonnen.

Noch aber wissen wir nicht, wie das Tableau von Wien sortiert, wie es live aussehen und wie die Atmosphäre am Abend ausfallen wird. Was ich aber momentan weiß ist, dass bislang noch kein Titel veröffentlicht wurde, der es so erdrutschartig, fast automatisch zum Sieg schaffen könnte wie die 2009 von Alexander Rybak oder 2012 von Loreen. Das in den ESC-Foren spürbare Geraune ist fein und sympathisch, aber dient nur dem Prinzip "Wir warten auf die Bescherung und machen uns so unsere Gedanken".

Ich jedenfalls glaube nicht an die eher langweilende Geschichte von Elina Born und Stig Rästa aus Estland, auch nicht an die drei Tenöre aus Italien oder die bouzoukifreie Kreischballade von Maria Elena Kiriakou aus Griechenland. Frankreich mit Lisa Angell gefällt mir, aber Balladen im Marie-Myriam-Style sind seit 1977 aus der Mode. Vielleicht hat noch der Zypriote Giannis Karagiannis eine gute Chance, nach vorne zu kommen, denn er singt klar und strukturiert - und wirkt auch nicht so überladen wie die Lieder aus der Schweiz, Slowenien, Tschechien oder Polen. Pertti Kurikan Nimipäivät aus Finnland allerdings sollte man nicht unterschätzen. Die Band mit den gewissen Handicaps macht tüchtig Krawall - ein Plus in diesem lahmenden Feld. An Lordi hat auch niemand geglaubt. Einerlei: "Black Smoke" wird in die Höhe gehen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 23.05.2015 | 21:00 Uhr

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