Stand: 03.04.2014 10:25 Uhr

Abba: Freundliche Invasion zweier Paare

Die schwedische Popgruppe ABBA 1976 © Picture-Alliance / Photoshot
Die vier Musiker von Abba aus Schweden hatten einen kongenialen Manager.

Viele Sängerinnen und Sänger kamen zum ESC mit einem Plan, den sich ihre Manager ausgedacht hatten. Udo Jürgens hatte von 1964 bis 1966 seinen Hans R. Beierlein. Auch Vicky Leandros hatte ihr Team hinter sich, das sehr genau wusste, dass ein Grand Prix Eurovision de la Chanson keineswegs nur ein Reigen von mehr oder weniger schönen Liedern ist. Die Profis wissen genau, dass auf der Bühne alles stimmen muss: die textile Auswahl, die Orchestrierung, die (einstudierten, wie zufällig wirkenden) Gesten - und dass vor dem Abend aller Abende auch die Medien eingebunden sein müssen. Keiner konnte das so, wie der Schwede Stikkan Anderson, Manager von Abba.

Er war zufrieden, dass in Brighton andere Beiträge favorisiert waren. Aus dem Vereinigten Königreich Olivia Newton-John, aus Italien die Siegerin von Kopenhagen 1964, Gigliola Cinquetti, die für Luxemburg startende Engländerin Ireen Sheer (Ralph Siegels erster ESC-Act), die im Jahr zuvor mit "Goodbye Mama" einen starken Hit in Deutschland und der Schweiz hatte) und vor allem das niederländische Duo Mouth & McNeal, die in Westeuropa mit "How Do You Do?" zwei Jahre zuvor mit einem Smashhit berühmt wurden. Hoch gehandelt waren insofern all jene Namen, die schon bekannt waren.

Abbas Manager fädelte die richtigen Kontakte ein

Aber Abba? Aus Schweden kamen damals keine Bands, sondern aparte Sängerinnen mit gewissem Fröhlichkeitsappeal. Aber eine Gruppe aus zwei Frauen und zwei Männern? Manager Anderson fädelte Kontakte zur britischen Jugendpresse ein, hielt einen guten Draht zur "Bravo", der hierzulande wichtigsten Jugendillustrierten. Anderson war es, der die - aus der Perspektive klassischer ESC-Fans - schrillen Klamotten aussuchte. Im Nachhinein hieß es stets, die Abbas in Brighton hätten peinlich ausgesehen, wie laufender Stoffsperrmüll auf Schuhen, der eine Lizenz zum Artistendasein bräuchte. In Wahrheit war dies die Sicht von Konservativen. Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid sahen so aus, wie es unter Jugendlichen cool war. Bunt, kreischend farbig, lebendig - das einzige Accessoire, das noch hätte eingewoben werden können, wären Teile eines griechischen Flokatis gewesen: Sonst war ästhetisch alles richtig.

Das Lied "Waterloo" selbst, das den Vorzug vor langsameren Nummern erhalten hatte, enthielt viel von dem, was stilistisch gängig war: Jive, eine Prise Motown, ein Hauch von schwedischer Volksliedharmonie. Es war eine perfekte Mixtur, um bei einem ESC vollständig baden zu gehen oder zu triumphieren. Anderson, der Manager, inszenierte das Lied wie eine napoleonhafte Fantasie: Der Dirigent Sven-Olof Walldoff schritt in einem Kostüm des französischen Feldherrn ans Pult, um die Schlacht zu inszenieren. Gut war vielleicht, dass Abba mit der Startnummer acht nach Jugoslawien auftraten und vor Ireen Sheer - die Schweden fielen zwischen diesen Nummern auf.

Der ESC als notwendiges Nadelöhr 

Agnetha Fältskog und Benny Andersson sagten viele Jahre danach, sie hätten Stikkan Anderson voll vertraut. Sicher aber waren sie sich nicht, ob das Kalkül der begrenzten ästhetischen Provokation aufgehen würde. Aber die Chance wollten sie nutzen. Eine andere, um als schwedische Musiker außerhalb ihres Landes Gehör zu finden, hatten sie nicht. Der ESC - das war auch ein notwendiges Nadelöhr, um auf dem internationalen Popmarkt mitzuspielen. Der Beifall im Konzertsaal "The Dome" von Brighton fiel gut aus, nicht überschwänglich, immerhin sehr freundlich. Da brachte eine Band mal etwas Schwung in den Abend.

"Abba" gewinnt Grand Prix d' Eurovision 1974 in Brighton © A0001 UPI Foto: A0001 UPI
Die zwei Paare brachten Schwung in den Abend.

Bei der Abstimmung - nicht in dem System von heute, vielmehr hatte jedes Land zehn Stimmen, die es auf die Acts verteilen konnte - gingen Abba mit der ersten Wertung aus Finnland an die Spitze. Fünf Zähler aus Helsinki, das Publikum applaudierte. Ein Schock war allerdings, dass das Mutterland des Pop, the United Kingdom, den Schweden nichts zugutehielt, dafür aber der Italienerin Gigliola Cinquetti gleich fünf Punkte gab. Umgekehrt gab die Schweiz Abba fünf Punkte, Italien aber gar keinen. Aus Frankfurt am Main, vom Hessischen Rundfunk, erhielten die späteren Sieger drei Zähler. Am Ende hatten Abba gewonnen, mit 24 Punkten - vor Italien (18), den Niederlanden (15), sowie drei vierten Plätzen (14), die Olivia Newton-John, Ireen Sheer und Romuald für Monaco (mit der Hymne schlechthin: "Celui qui reste et celui qui s'en va").

Abba hätten mit vertontem Telefonbuch gesiegt

Es gibt die Auffassung, dass Abba auch mit dem deutschen Lied "Die Sommermelodie" (von Cindy & Bert) gewonnen hätten oder mit einer Vertonung des Telefonbuchs von Wien oder einer Gebrauchsanweisung für eine Polaroidkamera. Prämiert wurde bei ihnen diese gewisse Frische, diese Distanz zum Schwermütigen (auch wenn so gut wie alles von Abba später einen Hauch Melancholie in sich trug, selbst die gut gelaunten Stücke).

Gigliola Cinquetti beim Grand Prix d'Eurovision 1964 mit dem Texter Mario Panzeri und dem Dirigent Gianfranco Monaldi (links). © picture alliance / brandstaetter images/Votava
Die Italienerin Gigliola Cinquetti rechnete fest mit einem erneuten Sieg mit ihrem Beitrag "Sí".

Der 6. Mai 1974 hatte dem ESC wieder das Image verpasst, dass bei diesem Festival nicht nur Ältliches, am Geschmack der Jugendlichen vorbei gehende Lieder, zur Aufführung kommt. Abba - das war eine freundliche Invasion zweier Paare, die im Übrigen auch in der Pophistorie einen eigenen Akzent setzten: Pop hörte sich jetzt wie ein Familienprogramm an. Aber 24 Punkte für die Sieger, sechs Zähler dahinter die Nächste, die Italienerin - das war kein haushoher Sieg. Die Cinquetti, die fest damit gerechnet hatte, mit ihrem in der Tat fast überirdisch schönen Lied "Sí" zum zweiten Mal den ESC gewinnen zu können, mäkelte hinterher. Keine gute Verliererin. Sie war der Meinung, sie hätte bestimmt gewonnen, wenn ihr Land nicht gerade außenpolitischen Ärger mit Jugoslawien gehabt hätte und wenn Frankreich mit dabei gewesen wäre. Dani aus Paris kam nicht zum Auftritt, weil in Frankreich Staatspräsident Georges Pompidou gestorben war.

Man hielt Abba in den Tagen und Wochen danach für ein typisches One-Hit-Wonder. Diese Schweden - das kannte man doch - hatten einen Hit, aber für mehr würde es nicht reichen. Der Rest ist bekannt, eine Fülle von Literatur ist dazu verfasst worden. Diese Band, die ihr "Waterloo" ins eurovisionäre Feld führte, sollte zum wichtigsten Poplieferanten ihrer Zeit werden, gleichrangig mit den damals nicht mehr aktiven Beatles.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 06.04.1974 | 21:00 Uhr