Flo Rida und Finnland wecken Europa auf
"Open Up" heißt es auch im zweiten Halbfinale - für zehn der 17 Kandidaten öffnet sich die Tür in der Ahoy Arena ganz weit für das große Finale am Samstagabend. Sieben Künstlerinnen und Künstler müssen frühzeitig Koffer packen, die Heimreise antreten - und mit dem Kapitel ESC abschließen. Letzte Ausfahrt Rotterdam, sozusagen. Adieu Niederlande.
San Marino hat Flo Rida, Finnland rote Mittelfinger
Für ihren Finaltraum öffnen manche Halbfinalisten eine Wundertüte wie Senhit aus San Marino: Lange ist unklar, ob Flo Rida sie - wie im Video - zum Elektro-Pop-Song "Adrenalina" begleitet. Aber siehe da! Plötzlich tritt der US-Rapper ein, in die ESC-Party, und rappt über Körper, Berührung, Hitze. Oh là là. Das Adrenalin lassen auch Blind Channel aus Finnland steigen, mit ihren kraftvollen "Hoo! Hoo!"-Rufen. Die headbangenden, hüpfenden Jungs mit lackierten Fingernägeln, rot angemalten Mittelfingern und dem Wort "Join" in den Handflächen ziehen das Publikum mit der Rocknummer "Dark Side" für drei Minuten auf die dunkle Seite des Lebens. Kiitos Suomi! Danke Finnland! Für diesen Wachmacher. Beide Auftritte dürfen wir im Finale noch einmal erleben.
Schweiz und Bulgarien: Authentisch und berührend
Sicher ins Finale ziehen die im Vorfeld hoch gehandelten Favoriten. Gjon's Tears aus der Schweiz fühlt, was er singt - und sorgt mit seiner Falsettstimme an diesem Abend für einen Gänsehaut-Moment. Zu "Tout l'univers" schwankt er über den Boden, der unter ihm aufzugehen scheint. Mal schließt er die Augen, mal lächelt er. So erlebt er das Auf und Ab des Lebens. Das Universum sei einfach so groß, bis über den Tod hinaus, beschreibt der 22-Jährige seinen Song. Für seine Geschichte braucht es kein aufwendiges Bühnenbild und keinen Background-Chor. Er trägt den Auftritt ganz allein. Eins der schönsten Bühnenbilder hat Bulgarien arrangiert. Sängerin Victoria sitzt auf einem riesigen, sich drehenden Felsen unterm Sternenhimmel. Sie betrachtet ein Foto, das sie als Kind mit ihrem Vater zeigt. Dieser ist an ALS erkrankt. "Growing Up Is Getting Old" ist ein Song über Dämonen, Ängste und das Älterwerden. Ihre Stimme klingt zart und zerbrechlich. Ein Auftritt, der in Erinnerung bleibt.
Daði og Gagnamagnið: Nicht da und doch in aller Munde
In diesem zweiten, etwas schwächeren Halbfinale werden sie vermisst und herbeigesehnt: Daði og Gagnamagnið. Die sympathischen Isländer tanzen den lässigsten Hüftschwung im Contest und sind die absoluten Publikumslieblinge - das ist an diesem Abend zu spüren. Doch wegen eines positiven Corona-Tests von Band-Mitglied Jóhann Sigurður Jóhannsson gibt es nur eine Live-on-Tape-Einspielung von der zweiten Probe zum Song "10 Years". Auf der LED-Wand erscheint der Schriftzug "You're so Fascinating". Dem bleibt nichts hinzufügen: abwesend und doch mehr als da, Island einfach faszinierend und im Finale.
The Black Mamba aus Portugal überraschen mit Retro-Look
Eine Erfolgsgeschichte schreiben an diesem Abend auch The Black Mamba aus Portugal. Mit "Love Is On My Side" gehen die Südeuropäer erstmals mit einem vollständig auf Englisch gesungenen Beitrag an den Start. Sänger Pedro Tatanka singt sehr eindrucksvoll vom Leben einer osteuropäischen Prostituierten, die auch die Liebe erlebt hat. Die Performance beginnt in Schwarz-Weiß im 4:3-Format und wird schließlich immer farbiger, von Blau- über Pink- bis zu Goldtönen. Dabei läuft eine Frau vorbei an Häusersilhouetten durch die Straßen von Amsterdam. Eine sehr stimmige Choreografie, die für die Vielfalt des ESC - und zu Recht im Finale - steht.
Balkanländer wirbeln sich mit viel Wind ins Finale
Den Windmaschinen sei Dank: Mit wehenden Haaren und der soliden Pop-Nummer "Loco Loco" wirbeln sich Sanja, Ksenija und Ivana von Hurricane aus Serbien ins Finale. Auch das Nachbarland Albanien setzt auf diesen guten, alten Effekt. Obwohl Anxhela Peristeri der Wind ordentlich ins Gesicht bläst, kommt sie mit "Karma" weiter. Bei Moldau hat Filipp Kirkorow als Produzent seine Finger im Spiel, Sängerin Natalia Gordienko darf den Song "Sugar" noch einmal zuckersüß präsentieren. Stefania ist eine der jüngsten Teilnehmerinnen im Feld, doch ihr "Last Dance" ist nicht der letzte Tanz in Rotterdam. Und sie hat den Vorteil eines Heimspiels: Sie ist gebürtige Niederländerin, startet für Griechenland und legt am Samstagabend noch eine flotte Sohle für Hellas aufs Parkett.
Trauer bei unseren Nachbarn Dänemark und Österreich
Das Duo Fyr & Flamme aus Dänemark hat die Zuschauer auf einen fröhlichen Flashback in die 80er mitgenommen. Jesper und Laurits leben und performen diese Musikepoche so überzeugend, und sie sind sympathisch - einfach zwei Jungs zum Liebhaben. Doch das nützt ihnen alles nichts: Mit ihrem Song "Øve os på hinanden" verpassen unsere Nachbarn das Finale. Die Übersetzung des Titels bedeutet übrigens "Uns aneinander üben", jetzt heißt es für die beiden "Uns aneinander trösten". Untröstlich dürften auch unsere südlichen Nachbarn sein. Wie schon 2019 in Tel Aviv erreicht Österreich nicht das Finale. Vincent Bueno verdrückt zu seinem persönlichen Song "Amen" zwar am Ende ein paar Tränen. Das scheint die ESC-Fans aber wenig berührt zu haben.
Polen, Estland und Lettland fahren nach Hause
Ausgeschieden ist außerdem Polen: Nach einem schwachen, aus der Zeit gefallenen Auftritt zu "The Ride", fährt Rafał nach Hause. Auch für den Sexiest Man Estlands, Uku Suviste ist nach dem Halbfinale Schluss. Sein Song "The Lucky One" kann nicht überzeugen. Die Tür zum Finale bleibt außerdem für Benny Cristo aus der Tschechischen Republik, Tornike Kipiani aus Georgien und für die Lettin Samanta Tīna verschlossen. Alle drei haben den Schlüssel zum Herzen des Publikums offenbar nicht gefunden.