Schreiber: S!sters absolut glaubwürdige Sängerinnen für Deutschland
Es scheint zum Eurovision Song Contest zu gehören wie die Töne zur Musik: Nach dem Vorentscheid entbrennt die Diskussion um den Sieger-Act und den Song, den Deutschland in den Wettbewerb schickt. Auch nach "Unser Lied für Israel" gab und gibt es neben glücklichen Siegerinnen und ihren Fans auch kritische Fragen zum Gewinner-Duo S!sters und ihrem Song "Sister". Thomas Schreiber, ARD Unterhaltungskoordinator und in Deutschland verantwortlich für den ESC, beantwortet unsere Fragen.
Was sagen Sie zu der teilweise recht emotionalen Kritik am deutschen Siegersong "Sister"?
Thomas Schreiber: "Sister" entstand unter dem Eindruck des ESC in Lissabon in einem Song Writing Camp der SUISA (Schweizer Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik) im Juni 2018 - dort wurden gezielt Lieder für die Schweiz komponiert und getextet (siehe dazu auch einen Artikel auf SUISAblog).
Der Produzent von "Sister" (Thomas Stengaard, auch Songwriter bei Michael Schulte, aber auch bei "Wear Your Love" von Aly Ryan) hat uns den Song dann in Deutschland im NDR Song Writing Camp vorgestellt. Die Kollegen fanden den Song großartig. Das Schweizer Fernsehen wurde offiziell gefragt, ob es für sie in Ordnung ist, wenn der Song als Teil unserer Concept-Songs in Deutschland in die Bewertungen durch die Jurys geschickt wird.
"Sister" ist von der wunderbaren Laurell Barker mitgeschrieben worden, die auch an dem englischen ESC-Beitrag "Bigger Than Us" von Michael Rice mitgeschrieben hat, der die diesjährige Vorentscheidung "You decide" der Kollegen von der BBC klar gewonnen hat.
Na ja, das ist doch ein ganz belangloses Lied über Rumgezicke zwischen Mädchen ....
Schreiber: Das sehe ich anders: Die Idee von "Sister" ist gedacht als ein Beitrag zur "MeToo"-Debatte. "Sister" wurde als Song mit einer klaren Botschaft für starke, emanzipierte Frauen konzipiert und deshalb passt er hervorragend in unsere Idee der "Concept Songs" hinein, also Lieder, die - wie beispielsweise "Toy" von Netta - auch eine Botschaft vermitteln möchten.
Erklären Sie das bitte mit den Concept Songs.
Schreiber: Wir bekommen jedes Jahr mehrere hundert Songs zugeschickt, teilweise sind das einzelne Einreichungen, manchmal kommt ein Stapel mit bis zu 40 Kompositionen. Und wir wollten immer daran anknüpfen, dass der Eurovision Song Contest ja zuerst ein Komponistenwettbewerb ist.
Und was hat das mit den Concept Songs zu tun?
Schreiber: In der Vergangenheit haben wir keinen Weg gefunden, Lieder und Interpreten zusammenzubringen. Unmittelbar nach Lissabon haben wir nicht nur Teilnehmer für den Vorentscheid aufgefordert, sich zu bewerben, wir haben auch ausdrücklich um Kompositionen gebeten und angekündigt, dass wir die besten von unseren Jury bewerten lassen, und genau das ist geschehen (darüber hatten wir bei den beiden Fantreffen und in Pressemeldungen informiert). Das heißt, es gab einen mehrstufigen Auswahlprozess, an dessen Ende zehn Songs, die noch keine Interpreten hatten, in Layoutfassungen den Jurys vorgestellt wurden. "Sister" hat dabei exzellent abgeschnitten.
Unsere anderen sechs Kandidaten waren immer darüber informiert, dass über den Weg der Concepts eventuell ein bis zwei weitere Acts in die Sendung kommen würden. Die S!sters wurden von ihnen sehr herzlich aufgenommen. Übrigens war bei uns in diesem Jahr auch ein herausragend gut bewertetes Lied dabei, für das wir aufgrund des ungewöhnlichen Gesangsparts keinen Mann gefunden haben, der es technisch beherrscht und der zu dem Lied hundertprozentig passt ... vielleicht klappt das ja 2020.
Wie haben Sie Carlotta Truman und Laurita gefunden?
Schreiber: Wir wussten nur, dieses Lied braucht Vollblutsängerinnen, denn "Sister" ist gesanglich ausgesprochen anspruchsvoll. Deshalb haben wir erst mal bei denen geschaut, die wir schon kannten, das heißt bei den Frauen, die sich für den Vorentscheid beworben hatten. Carlotta und Laurita waren beide in unserer Datenbank der bereits bewerteten Künstler des Schulte-Jahrgangs und aus diesem Jahr.
Heißt das, sie waren im Auswahlprozess?
Schreiber: Ja, Carlotta war dieses Jahr zusammen mit ihrer Band Carlotta & The Truman-Show bei der Eurovisions-Jury auf Platz 53 von knapp 1.000 Vorschlägen gekommen. Allerdings hatten wir uns im Rahmen der Ausschreibung unserer Concept-Songs bereits einen dicken Merker hinter Carlotta gesetzt, weil sie uns mit ihrer jugendlichen Lebendigkeit in Verbindung mit einer extrem kräftigen Stimme sehr beeindruckt hatte.
Laurita kennen wir ebenfalls bestens: Sie landete im "Schulte-Jahrgang" zusammen mit ihrer Schwester Jenniffer und einer weiteren Sängerin mit ihrem Trio Diamonds auf dem großartigen Platz zwei in der Vorbewertung (also sogar noch vor Michael Schulte auf dem dritten Platz). Nach dem Ausstieg von Lauritas Schwester haben wir das Projekt Diamonds nicht weiter verfolgt - aber die hohe Bewertung hatten wir im Hinterkopf. Wolfgang Dalheimer, unser musikalischer Leiter, hat dann mit verschiedenen Sängerinnen im Studio gearbeitet, bis er uns die beste Konstellation für den Song "Sister" präsentieren konnte, die wir dann wiederum auch den Jurys vorgestellt haben.
Sind Sie damit zufrieden?
Schreiber: Absolut - Carlotta und Laurita leben für die Musik, für beide gibt es nichts Wichtigeres. Sie leben, atmen, fühlen Musik und sind ganz unverstellt. Beide haben mich sowohl im persönlichen Gespräch wie auch auf der Bühne sehr beeindruckt, und dass sowohl die 20-köpfige Expertenjury als auch die Fernsehzuschauer ihnen jeweils 12 Punkte gab, heißt für mich, dass Carlotta und Laurita absolut glaubwürdige Sängerinnen für Deutschland sind.