ESC ist kein Wettbewerb für etablierte Stars
Eurovisionsverächter sagen Jahr für Jahr: Ach, beim ESC gibt es ja gar keine Stars. Aber das war und ist falsch. Grundsätzlich jedoch gilt: Etablierte, womöglich international erfolgreiche Künstler meiden den Eurovision Song Contest. Und das ist nur zu verständlich: Beim ESC ist die Möglichkeit, nicht gut abzuschneiden - das heißt, nicht mindestens den dritten Platz zu belegen - ziemlich groß. Ein Star, der schlecht abschneidet, hat mit einer ESC-Teilnahme unter ferner liefen faktisch seine Karriere ruiniert. In Deutschland war das so mit der Münchner Freiheit 1993, die nach dem Ausflug ins irische Millstreet keinen Blumenpott mehr ernten konnten.
Gleichwohl gibt es verschiedene Möglichkeiten, doch mit dem Flair eines Stars zum ESC zu gehen. Es gibt die Alten und Arrivierten, solche, die wirklich fett im Geschäft waren und nichts mehr zu verlieren haben. Etwa Bonnie Tyler 2013 in Malmö oder Engelbert Humperdinck 2012 in Baku. Ihre schlechten Platzierungen konnten und können ihnen keinen Schaden anhaben: too big to fail - sozusagen.
Chance für Stars, die den Zenit überschritten haben
Anders sieht es bei Stars aus, die den Zenit ihrer Karriere überschritten und eine Auffrischung in mindestens europäischer Hinsicht brauchen. Dazu zählen die britische Band Blue im Jahr 2011 oder Patricia Kaas, die für Frankreich 2009 in Moskau an den Start ging und mit ihrem ungewöhnlichen Lied immerhin den achten Platz belegte. Ähnliches gilt für die spanische Combo Las Ketchup, aber die waren beim ESC 2006 in Athen nicht so in Form, dass ihnen ein dritter Frühling beschert wurde. Ihr 23. Platz belegte das eindrücklich.
Manche können sich - schaut man etwa nach Deutschland zu den einheimischen Stars - durch eine ESC-Performance wieder ins Rampenlicht schieben und die eigene, schon leicht verblasste Künstlerlaufbahn beleben: Katja Ebsteins zweiter Platz mit "Theater" im Jahr 1980 war so ein Fall. Ein Gegenbeispiel waren jedoch 1976 die Les Humphries Singers, die fünf Jahre Megastars in Deutschland waren, aber beim ESC jedoch keinen Wind mehr in die Segel bekamen - "Sing Sang Song" bekam kaum Punkte.
Dann gibt es die internationalen Stars, die weitere Anschubhilfe brauchen und dafür den ESC nutzen wollen: t.A.T.u. aus Russland waren heiße Chartfeger, drohten wieder in der Versenkung zu verschwinden, was letztlich auch passierte, aber dazwischen schafften sie 2003 noch beim ESC in Riga einen schönen dritten Platz.
Früher verhielt sich das Verhältnis der Stars zum ESC noch ein wenig anders. Das Internet gab es noch nicht, also entsprechend viel geringere Verbreitungsmöglichkeiten von Popmusik. Der ESC war die ideale Show, um sich europäisch bekannt zu machen: Nana Mouskouri wurde auch international ein Star durch den ESC, auch Esther Ofarim hat ihre Chance genutzt, ebenso Julio Iglesias 1970 in Amsterdam. Später - im Jahr 1974 - waren es Abba, die den Eurovisionsauftritt nutzten, um über das eigene Land hinaus bekannt zu werden. Die Kanadierin Céline Dion tat es ihnen 1988 in Dublin gleich.
Als englische Texte noch ein Wettbewerbsvorteil waren
Auch britische Künstler pilgerten zum ESC, um sich berühmt zu machen oder die eigene Berühmtheit zu steigern. Englisch zu singen, war nur ihnen möglich und den Iren. Außerdem hatten sie in der Regel das beste Songmaterial, da konnte nichts schiefgehen. Sandie Shaw war ein internationaler Star, ehe sie 1967 den ESC in Wien gewann, Cliff Richard war sogar ein Megastar, ehe er 1968 in der Londoner Royal Albert Hall davon ausging, mit "Congratulations" fast automatisch zu gewinnen, aber dann doch knapp hinter Massiel und ihrem "La La La" nur den zweiten Rang belegte.