Ann Sophies coole Reaktionen nach Wien
Es ist wahrlich nicht üblich beim ESC, dass nach dem Festival jene Sängerinnen und Sänger, die sehr schlecht abgeschnitten haben, in ihrer Heimat mit solidarischer Anteilnahme empfangen werden. In Ann Sophies Fall war und ist das anders. Im Netz, in den einschlägigen Foren des ESC, in Leserbriefen an Zeitungen lautet der Tenor der Kommentare nach dem Null-Punkte-Resultat für die Hamburgerin einmütig: Das war ungerecht, das hat sie nicht verdient nach ihrer prima Performance. Das ist gemein gewesen. Nur selten wurde zu bedenken gegeben, dass "Black Smoke" im Vergleich mit anderen Liedern nicht sehr konkurrenzfähig war - es habe dem Song das Moment von Magie gefehlt. Doch auch diese Kommentare kritisieren nicht die Sängerin. Im Gegenteil - ihr wird Respekt gezollt.
Ann Sophie selbst zeigte sich nun in der Öffentlichkeit angemessen aufgelegt. Zum Abend im Green Room, wo alle Künstler die Urteile der Länderwertungen über sich ergehen lassen, sagte sie: "Ich habe mir irgendwann gedacht, jetzt ist auch geiler, wenn man bei null Punkten bleibt (...) Auf Trostpunkte hatte ich auch keine Lust und Mitleidsumarmungen." Das ist nur zu verständlich: Wer an Ort und Stelle realisiert, wie es direkter nicht geht, dass die Rivalen alle Punkte erhalten, man selbst aber nichts vom Punkteregen abbekommt, muss in psychisch sehr stabiler Verfassung sein, um nicht mit einem Knacks nach Hause zu fahren.
Keinen Mitleidspunkt, bitte
Ann Sophie hat mit ihrer Aussage, geäußert bei der TV-Sendung "Markus Lanz", völlig Recht: Wenn schon ganz hinten, wenn es schon keine Punkte gibt, dann bitte auch nicht einen einzigen. Sie hat es offenbar nicht als Niederlage in eigener Sache genommen, was die eurovisionäre Welt von "Black Smoke" hielt: "Ich habe persönlich für mich das erreicht, was ich erreichen wollte. Ich konnte in diesen drei Minuten loslassen, ich habe es absolut genossen." Bei der Punktevergabe habe sie schnell gemerkt, dass es nicht ihr Abend werden würde: "So hatte ich ganz lange Vorlauf, um mich auf die aufkommenden Emotionen vorzubereiten."
Gut so, diese Haltung, die man als "Trotz alledem ..." oder "Jetzt erst recht" deuten könnte. Sie war ja stimmlich die beste Deutsche seit Joy Fleming 1975, sie hat ein Lied interpretiert, wie es für Radio-Pop-Wellen sehr tauglich ist - und das bleibt es auch nach Jahren, schätze ich.
Geschlagen nach Hause - und vergessen
Und das gilt tatsächlich nicht für jeden deutschen ESC-Song, der sich sehr weit hinten platziert hat. Zur Erinnerung: Stone & Stone 1995, Wind 1992, Gracia 2005, Corinna May 2002 - das sind alles Lieder und Interpreten, die unmittelbar nach dem ESC-Abend vergessen waren. Verlierer, die gemeinsam haben, ihre Sache jeweils nicht besonders gut gemacht zu haben. Das ist der Unterschied zu Ann Sophie. Ihr Lied mag in Wien nicht hinlänglich Aufmerksamkeit gesammelt zu haben - aber das lag nicht an der Performance der Hamburgerin, die war in gewisser Weise, dem Lied angemessen, ohne jeden Makel.
Man kann mit letzten Plätzen beim ESC noch ganz nach oben kommen. Jahn Teigen aus Norwegen (1978) hat das vorgemacht. Was seinem punktlosen Fiasko von Paris folgte, war eine starke Karriere in seiner Heimat. Und Joy Fleming zehrt bis heute von ihrem schlechten ESC-Resultat 1975 in Stockholm. Ohne diese Missachtung von "Ein Lied kann eine Brücke sein" wäre sie vermutlich eine sehr starke Stimme aus Mannheim geblieben. Das ESC-Abenteuer gibt ihr bis heute eine Aura der ungerecht Abgefertigten.
Hans R. Beierlein, der Manager von Udo Jürgens bei dessem ESC-Auftritten von 1964 bis 1966, sagte nach dem Sieg mit "Merci Chérie" zum Sänger: "Wenn du denkst, du hast jetzt einen Fuß in der Tür, dann irrst du. Höchstens eine kleine Zehe. Die Arbeit fängt nach dem ESC erst an." Der Münchener Medienpromoter würde dies auch im Hinblick auf Ann Sophie sagen. Eine CD der Hamburgerin ist frisch auf dem Markt. Na also: Nach einem ESC wird Beute gemacht - Ann Sophie hat das Zeug, aus null Punkten alles zu machen.