Peter Urban: "Wir hatten diesmal eine Menge Pech"
Måns Zelmerlöw hat für Schweden den ESC 2015 in Wien gewonnen, die deutsche Teilnehmerin Ann Sophie musste mit null Punkten nach Hause fahren. Peter Urban, die "Stimme des Eurovision Song Contest", hat den größten Musikwettbewerb der Welt für das deutsche Fernsehpublikum live kommentiert - wie so oft mit spitzer Zunge und Biss. Philipp Cavert sprach mit dem ESC-Experten auf NDR Kultur über das Ergebnis des Finales und die Hintergründe.
NDR Kultur: Deutschland hat beim ESC-Finale null Punkte gemacht - wie konnte das passieren?
Peter Urban: Erstmal war es ein großartiger Wettbewerb, ein toller 60. Eurovision Song Contest, eine große Show. Sehr, sehr gute und sehr moderne Songs, die auf sehr gute Plätze gekommen sind. Die ersten drei, die Großen, waren Schweden, die tolle Ballade aus Russland und Italien, das klassische Stück des Trios Il Volo.
Nun bekommt Deutschland null Punkte. Nun ist das jetzt wieder das Hauptthema. Das ist klar. Aber die Performance war gut, das sah gut aus, die Sängerin Ann Sophie hat gut gesungen. Ich weiß nicht, was der Grund war. Wir wissen das nicht. Die Österreicherhaben dasselbe Schicksal erlitten, haben auch null Punkte. Ich habe folgende Erklärung: In diesem Jahr haben zehn Länder fast alle Punkte abgesahnt, etwa 90 Prozent. Für den Rest - bis Platz 27, so viele haben am Finale teilgenommen - blieb nicht mehr viel übrig. Alles, was auf Platz 11 bis 27 in der Länderauswertung liegt, kriegte null Punkte. Und da hatten wir diesmal eine Menge Pech.
Genauso wie der Vorjahressieger Österreich - was natürlich auch bitter ist. Ging der Sieg an den besten Videoclip, wie viele meinen?
Urban: Da haben Sie recht. Ich finde auch, musikalisch hätte der Song nicht gewonnen. Nur durch die Kombination mit der wirklich unglaublich spektakulären Performance im Fernsehbild, aber auch auf der Bühne, hat dieser Titel gewonnen. Das ist vielleicht ein Manko, aber es ist eben die größte Fernseh-Musikshow der Welt.
Wozu raten Sie den Machern von 2016 aus deutscher Sicht?
Urban: Ich würde sagen: Das System muss nicht überdacht werden. Die deutschen Plattenfirmen, die auch Vorschläge für den Eurovision Song Contest machen, könnten vielleicht manchmal mutiger sein. Man muss vielleicht noch mehr an der Qualität der Songs arbeiten. Aber ehrlich gesagt: Wir haben uns für dieses Jahr auch nichts vorzuwerfen. Es war einfach ein Haufen Pech. Vielleicht auch die Ausgangsposition, dass Ann Sophie als Zweitplatzierte nach Wien gereist ist, nachdem Andreas Kümmert zurückgezogen hat. Diese Geschichte spielte natürlich auch für die anderen Länder eine Rolle. Der Ausschnitt ist in der ganzen Welt gelaufen, in Australien, in Island - ich habe das jetzt in Wien erfahren. Die haben das alle gezeigt und die wussten alle Bescheid. Und ich glaube, der Makel ist dann immer: Ach ja, sie ist der Ersatz.
Wollte man Deutschland vielleicht eins auswischen, weil es in den Augen vieler eine zu dominante wirtschaftliche Rolle in Europa einnimmt? Oder ging es ausschließlich um die Musik?
Urban: Da waren überhaupt keine politischen Gründe, da ging es rein um die Musik. Sonst hätten wir ja mit Lena auch keine Punkte kriegen können. Das wird immer schnell herangezogen. Russland ist auf den zweiten Platz gekommen und hat nun nicht so viele Freunde im Moment - aber es ging da um eine Ballade und eine großartige Sängerin. Nein, das sollten wir echt nicht befürchten, dass wir keine Freunde mehr in der Welt haben. Vielleicht hat der Song einfach das Herz, den Nerv, den Bauch, das Gefühl der Menschen nicht getroffen. Das kann so gewesen sein.
Ihr wievielter Song Contest war das eigentlich? Es gibt doch immer noch Überraschungen für Sie, oder?
Urban: Ja, es gibt immer noch Überraschungen. Das war der 18. Ich hatte alles dabei: den Sieg, dann zwei letzte Plätze, einer sogar mit null Punkten. Aber ich freue mich immer wieder, dass die Musik so vielfältig ist und dass der Eurovision Song Contest sich immer wieder ändert, sehr modern ist.