ESC-Film von Will Ferrell: "Mehr als ein Wettsingen"
Schauspieler Will Ferrell ist seit 1999 Fan des Eurovision Song Contest. Seit Jahren plant er einen Film über den Musikwettbewerb. Drei Mal besuchte er den ESC vor Ort: 2014, 2018 und zuletzt 2019. Beim Streaminganbieter Netflix ist seit dem 26. Juni "The Story Of Fire Saga" zu sehen. Will Ferrell spielt darin die Hauptrolle des Amateur-Sängers Lars Erickssong. Achtung: Spoiler-Alarm!
Island im Jahr 1974. In der 2.000-Einwohner-Gemeinde Húsavík sieht der kleine Lars Erickssong den Auftritt von ABBA beim ESC in Brighton. Eigentlich ist er noch immer geschockt vom frühen Tod seiner Mutter, trotzdem fängt er plötzlich an, wild vor dem Fernseher zu tanzen. Sein Vater Erick (Pierce Brosnan, "James Bond") kann schon damals nichts mit dem Gesinge anfangen, doch Lars ist von diesem Zeitpunkt an besessen von dem Gedanken, den ESC zu gewinnen.
Doch Jahre später wohnt Lars noch immer bei seinem Vater, verteilt Knöllchen an Falschparker in Húsavík und singt mit Sigrit (Rachel McAdams, "Wie ein einziger Tag") als Duo Fire Saga allenfalls im kleinen örtlichen Pub. Während sie vor allem aus Liebe zu Lars und zur Musik singt, bemerkt er von ihren Gefühlen nichts. Durch einen Zufall werden sie Teilnehmer am isländischen Vorentscheid. Ihr Auftritt gerät allerdings zum Fiasko: Sie gewinnen zunächst nicht, sind nach einer Explosion bei der Aftershow-Party allerdings die einzigen überlebenden Teilnehmer. So werden sie zu Islands Vertreter für den - fiktiven - Eurovision Song Contest 2020 in Edinburgh gekürt.
Der Eurovision Song Contest als Zerreißprobe für Fire Saga
Spätestens hier beginnt der ESC-Wahnsinn. Lars und Sigrit reisen vom Fischerdorf in die schillernde ESC-Welt. Ihr erster Gang auf die ESC-Bühne ist für die beiden ein magischer Moment. Doch Lars will siegen. Er ändert die Musik ihres Wettbewerbssongs "Double Trouble", ein engagiertes Kreativteam stellt ihnen Backgroundtänzer auf die Bühne und Lars performt in einem riesigen, schwebenden Hamsterrad. Sigrit fühlt sich nicht wohl und die Harmonie bei Fire Saga beginnt zu bröckeln. Schuld daran sind auch die Kandidaten aus Russland, Alexander Lemtov (Dan Stevens, "Downton Abbey"), und Griechenland, Mita Xenakis (Melissanthi Mahut, "Assassin's Creed"), die versuchen, Lars und Sigrit auseinanderzubringen. Am Ende steht die Frage: Werden aus den Underdogs aus Island doch noch Helden in Europa?
"The Story Of Fire Saga" huldigt dem Song Contest
ESC-Fans weltweit hatten vor dem Filmstart von "The Story Of Fire Saga" eine große Angst: Wird dieser US-amerikanische Film den ESC-Geist treffen oder wird er sich über den Wettbewerb lustig machen? Tatsächlich gibt die Komödie allerdings ihr Bestes, um den ESC in den zwei Stunden Laufzeit als großes, glamouröses Event zu verkaufen. Der ESC ist ein Ziel, auf das es sich lohnt, hinzuarbeiten - der Film macht ihn eben nicht lächerlich.
Ex-ESC-Supervisor Jon Ola Sand im Abspann genannt
Als Executive Producer wird allerdings auch Ex-ESC-Supervisor Jon Ola Sand im Abspann genannt. Der Film entstand in Zusammenarbeit mit der Europäischen Rundfunkunion (EBU). Gedreht wurde auf Island und in Großbritannien sowie beim ESC 2019 in Tel Aviv, etwa für Aufnahmen der Bühne und des Publikums. Die vermeintliche ESC-Arena in Edinburgh ist von innen exakt der Messehalle in Tel Aviv nachempfunden. Der Soundtrack zum Film umfasst zwölf eigens komponierte Songs. Darunter finden sich nicht nur "Double Trouble" und der bereits im Vorfeld veröffentlichte Song "Volcano Man" von Fire Saga, sondern auch viele Songs ihrer ESC-Konkurrenten. Sogar Schwedens wohl bekanntester ESC-Komponist Thomas G:son ("Euphoria") hat sich daran beteiligt und den Song der Griechin Mita für den Film beigesteuert.
ESC-Auftritte überzeichnet, aber nicht komplett unrealistisch
Natürlich überzeichnet der Film den Eurovision Song Contest und dessen Auftritte, etwas anderes war aber auch nicht zu erwarten. Und in gewisser Weise ist das auch Aufgabe einer Komödie. Der ESC-Fan wird viele Elemente wiedererkennen: Die weißrussischen Bandmitglieder sind in Lordi-Manier als Monster verkleidet. Die Griechin singt in einem Raumanzug, wie man ihn sonst aus Moldau oder Montenegro kennt. Das Hamsterrad von Lars ist natürlich von Maria Yaremchuks "Tick-Tock" aus Kopenhagen 2014 geliehen - dazu gibt es typisch aufgedrehte Moderatoren. Der schwedische Rapper im Jahr eins nach John Lundvik heißt Johnny John John - auch das ein Bonbon für ESC-Fans.
Der echte John Lundvik taucht - wie so einige andere ESC-Kandidaten auch - mit einem Cameo-Auftritt auf. Wer noch dabei ist, soll noch nicht verraten werden. Allerdings haben ja schon einige ESC-Stars den Song "Volcano Man" gecovert - nicht ganz ohne Grund. Typisch für einen Will-Ferrell-Film setzt auch "The Story Of Fire Saga" vielleicht etwas zu oft auf Humor unterhalb der Gürtellinie, dafür kommen plumpe Slapstik-Elemente vergleichsweise selten vor.
Will Ferrells Film setzt viel ESC-Kenntnis voraus
Man muss dem Film anrechnen, dass er versucht, den ESC und den Weg dorthin möglichst korrekt darzustellen. Mit "Perfect Harmony" gibt es sogar ein Motto und der isländische Vorentscheid heißt, ganz wie in echt, "Söngvakeppnin". Nur das Logo und der Austragungsort sind im Film anders. Es gibt kleine Seitenhiebe, sowohl auf Europa als auch auch die USA. Die Eigenheiten des ESC werden dem möglicherweise unwissenden US-amerikanischen Publikum außerdem nicht detailliert erklärt. Es wird vorausgesetzt, dass bekannt ist, was der Eurovision Song Contest ist, etwa, dass es Vorentscheide gibt, welche Länder teilnehmen und dass Halbfinalshows existieren. Nur, dass das Siegerland den nächsten Contest austrägt, wird erklärt, weil diese Info auch für die Handlung des Films nicht ganz unerheblich ist.
ESC-Kennern wird aber auffallen, dass zumindest der Ablauf des Halbfinales nichts mit dem Original zu tun hat. Hier wird in verschiedene Länder geschaltet, um Jurypunkte einzusammeln. Beim richtigen ESC gibt es diese Schalten erst im Finale. Außerdem stehen in der Realität fürs Finale qualifizierte Big-Five-Länder und der Gastgeber auf dem Scoreboard. Dazu gibt es noch einen Logikfehler: Mit Finnland fehlt dort ein Land, dessen Auftritt vorher zu sehen war.
Alexander Lemtov: Der Russe als herausragende Figur
Neben Rachel McAdams' gefühlvoller und immer sympathischer Performance als Sigrit sticht vor allem Alexander Lemtov hervor. Dan Stevens, der den russischen Kandidaten spielt, schafft es, ihn nicht wie eine Cartoonfigur wirken zu lassen. Keiner der Filmcharaktere wirkt wie ein Abziehbild - und so ist auch Lemtov eine vielschichtige Figur und nicht einfach nur der russische Bösewicht. Zwar will er Sigrit wegen ihres Talents für sich gewinnen, aber nicht, um ihre ESC-Chancen zu zerstören. Vielmehr ist er davon überzeugt, dass sie mit Lars an ihrer Seite ohnehin keine Chance hat. Zusammen mit ihr will er noch erfolgreicher werden. Nachdem Fire Saga fürs ESC-Finale wieder zusammenfinden und performen, hat er aber Tränen in den Augen und freut sich für sie. Spätestens hier wird der Film politisch und auch Lemtovs Homosexualität angedeutet: "Mütterchen Russland" würde seinem persönlichen Glück im Weg stehen, sagt er zu Mita, während er kurz zuvor noch meinte: "Kein Russe ist schwul".
Der Eurovision Song Contest gibt Außerseitern eine Bühne
"The Story Of Fire Saga" ist also ein Film, der die Außenseitergeschichte von Lars und Sigrit vor dem Hintergrund des Eurovision Song Contest erzählt. Für den Film konnten selbst für Nebenrollen Stars gewonnen werden. So spielt Pierce Brosnan schließlich nur Lars Vater Erick und Sängerin Demi Lovato hat als vermeintliche Siegerin des isländischen Vorentscheids auch nur einen kurzen Auftritt. ESC-Fans werden viele Künstler und Leute wiedererkennen, die mit dem Wettbewerb verbunden sind. Auch wenn es etwas vertan ist, dass die Cameos der Künstler alle geballt kommen. BBC-Kommentator Graham Norton spielt sich selbst und auch William Lee Adams vom Fanblog "Wiwibloggs" gibt einen Kommentator. Regisseur David Dobkin ("Die Hochzeits-Crasher") habe vorher nie etwas vom ESC gehört, doch sobald er ihn entdeckt habe, sei er "süchtig" gewesen, sagt er. Und Lars Erickssong hält auf der großen Bühne ein Plädoyer für den Wettbewerb: "Der Eurovision Song Contest bedeutet einfach alles für mich. Er ist mein Leben." Und: "Wie ihr wisst, ist Eurovision weitaus mehr als ein Wettsingen." Man kann nur hoffen, dass auch Nicht-ESC-Fans nach diesem Film neben all dem Schrägen und Bunten vor allem das hängen bleibt.