Thomas Schreiber: "Ich freue mich auf Jerusalem"
Nach dem ESC ist vor dem ESC: ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber zieht ein Resümee des Eurovision Song Contest in Lissabon und der erfolgreichen Teilnahme des deutschen Kandidaten Michael Schulte. Außerdem gibt er einen Ausblick auf den nächsten Vorentscheid. Das diesjährige Erfolgsrezept soll auch 2019 bei der Suche nach dem deutschen Act für Israel im Fokus stehen.
Herr Schreiber, Michael Schulte sagte nach Lissabon, er freue sich wahnsinnig über seinen vierten Platz - zumal er ihn nicht erwartet habe. Sind Sie auch so zufrieden?
Thomas Schreiber: Unser Ziel war die linke Tabellenhälfte, also unter den besten 13 zu landen, vielleicht sogar in den Top 10. Insgesamt empfinde ich Erleichterung. Wir waren mit Michael Schulte ein "Dark Horse" im Rennen, ein Außenseiter, dem man etwas zutraut.
Viele Fans und Journalisten fanden Schultes Lied gut, glaubten aber nach den schlechten deutschen Platzierungen der vergangenen Jahre nicht, so gut anzukommen.
Schreiber: Jetzt ist es einfach schlicht und ergreifend schön, dass es so ausgegangen ist.
Ist es bei Ihnen nicht auch ein Fall von persönlicher Zufriedenheit, weil es ja bis Lissabon hieß, die guten deutschen Plätze gehen alle aufs Konto von Stefan Raab?
Schreiber: Schmäh wird es immer geben. Lissabon war seit Lenas Sieg 2010 in Oslo das beste deutsche ESC-Ergebnis. Aber klar: Natürlich halte ich meinen Kopf hin, wenn es nicht gut läuft. Nun freut es mich für Michael Schulte, aber mich freut das Lissabonner Ergebnis auch für das kreative Team um Michael Schultes Inszenierung und für die Kollegen und Kolleginnen des NDR Teams.
Das klingt doch eine Spur zu cool.
Schreiber: Ich sage es mal anders: Es ist schön, mit einem Lächeln, nicht mit einem bedröppelten Gesicht nach Hause zu kommen. Zumal dieser ESC musikalisch eine gute Qualität mit guten Auftritten bot. Aber nach dem ESC ist vor dem ESC. Und das heißt: Wir wollen auch nächstes Jahr eine Top-10-Platzierung. Wir wissen, dass das ein schwer zu erreichendes Ziel ist. Deshalb gehen wir mit Demut an diese Aufgabe.
Wussten Sie bei Michael Schulte von Anfang an, dass er sich auch von der ESC-Maschinerie nicht irre machen lassen würde?
Schreiber: Ja, das ahnten wir immer. Dass er eine Rampensau ist, ein Künstler mit unheimlich viel Live-Erfahrung. Doch man sieht erst bei den Proben, ob alle Ideen, vom Gesang bis zur Inszenierung, zusammenpassen, ob das Konzept gut aufgeht. Dass Michael Schulte diese Proben-Maschinerie, durch die jeder Künstler beim ESC hindurch muss, nicht nur keine Angst macht, sondern er in ihr wächst, das sahen wir erst in Lissabon. Er hat sogar beim Grand Final verkraftet, dass der Mann, der der Britin SuRie das Mikro aus der Hand riss, vor seinen Augen sich ziemlich heftig wehrend abgeführt wurde - seinem Auftritt merkte man diesen Vorfall nicht an.
Sie als ARD-Verantwortlicher für den ESC hatten in Michael Schulte immer Vertrauen?
Schreiber: Ja. Er wusste zwar nicht in jedem Detail, auf was er sich einlassen würde, aber grundsätzlich war ihm das alles klar. Er kannte den ESC und wusste dass es ein Marathonlauf werden würde - über viele Monate auf einen Endtag hin die Spannung aufzubauen und zu bewahren.
Worauf kam es für Sie an?
Schreiber: Dass man sich fokussiert. Dass die Ideen, die man hat - für die Bühne etwa - auch realisiert werden können und funktionieren. Vor gut drei Jahren hat uns Andreas Kümmerts Verzicht auf den ESC unmittelbar nach dem Sieg beim Vorentscheid extrem geschadet. Das war ein negativer Boost. Den positiven erlebten wir jetzt mit Michael Schulte. Uns hat motiviert, dass schon in Berlin bei der Vorentscheidung Ende Februar viele Juroren aus dem Ausland sagten, "You Let Me Walk Alone" sei eine gute Nummer. Einen Marathon kann man aber nur gewinnen, wenn man seine Kräfte einteilt und auf den letzten Kilometern vor dem Ziel allen davonlaufen kann.
War es nicht ein Glücksfall zu sehen, dass es auch ohne die großen Plattenfirmen geht?
Schreiber: Das war kein Glücksfall, es war das Ziel. Der ESC ist für uns als NDR und Das Erste nicht Mittel zum Zweck, also eine Promotionsfläche, sondern das Ziel. Das unterscheidet uns ein Stück weit von den Plattenfirmen. Wir wollten die Idee des Komponistenwettbewerbs stärker in den Fokus rücken. So war das Feedback der Komponisten und Musikverleger: dass wir den richtigen Weg gehen.
Was ist denn der richtige Weg in diesem Sinne?
Schreiber: In unserer Wahrnehmung dreht sich inzwischen so viel um Celebritys und Bühnenpräsenz. Komponisten und Texter werden kaum gesehen, aber sie wollen gesehen werden. Und das zu recht: Es geht nicht ohne sie. Der Prozess der Kandidatenfindung, den wir in den Monaten vor dem deutschen Vorentscheid hatten, drehte sich im wesentlichen um die Lieder für den ESC - das ist der inhaltliche Fortschritt, den wir gemacht haben und der auch für das kommende Jahr extrem wichtig bleibt.
Nach dem ESC ist vor dem ESC 2019: Wie steht es mit den Vorbereitungen?
Schreiber: Wir haben bereits begonnen, Michael Schulte hat ja selbst zur Bewerbung für den nächsten ESC aufgerufen. Unser neues Verfahren der Auswahl aus den beiden Jurys aus Fernsehzuschauern und Fachleuten hat sich bewährt. Einen Termin für den deutschen Vorentscheid gibt es natürlich nicht, zumal das Datum des internationalen ESC noch nicht feststeht.
In manchen Foren wird debattiert, ob der ESC überhaupt in Israel stattfinden dürfe.
Schreiber: Ich kenne diese Debatte nicht, aber selbstverständlich geht es nächstes Jahr nach Israel. Ich freue mich auf Jerusalem.
Das Interview führte Jan Feddersen.