Wird der ESC 2019 politisch instrumentalisiert?
Dass der Eurovision Song Contest zum Gegenstand einer politischen Karikatur wird, geschieht eher selten. Dass dies im Anschluss Empörung auslöst - wie bei der Karikatur von Dieter Hanitzsch in der "Süddeutschen Zeitung" - ist beispiellos.
Das kritische Bildchen zeigt den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu verkleidet als die diesjährige ESC-Gewinnerin Netta, in der Hand hält er eine Bombe mit Davidstern, darüber ist in einer Sprechblase "Nächstes Jahr in Jerusalem" zu lesen. Auf den ersten Blick ist das eine bitterböse Zuspitzung der israelischen Reaktion auf die jüngsten Proteste in Gaza, auf den zweiten Blick jedoch vergleichbar mit der antisemitischen Bildsprache, wie sie einst in nationalsozialistischen Hetzbildern Verwendung fand. Die "Süddeutsche" entschuldigte sich und kündigte die Zusammenarbeit mit Hanitzsch auf. Der Zeichner sieht darin eine "Überreaktion" und wies den Vorwurf des Antisemitismus zurück. Der Deutsche Presserat erklärte unterdessen, dass die umstrittene Karikatur nicht gegen den Pressekodex verstoße. "Die Gesichtszüge des israelischen Premierministers sind zwar überzeichnet, im Rahmen der Meinungsfreiheit ist dies aber zulässig", entschied das Gremium der freiwilligen Selbstkontrolle der Presse.
Am Thema vorbei empört
Wo Kritik aufhört und Antisemitismus anfängt, lässt sich für den unbedarften Betrachter einer solchen Zeichnung nicht immer leicht nachvollziehen - zumal in Karikaturen mit einer sehr reduzierten, plakativen Bildsprache gearbeitet werden muss. Dazu kommt, dass auf Kritik an Israel beziehungsweise der israelischen Politik schon fast reflexhaft - wenn auch oft berechtigt - mit dem Vorwurf des Antisemitismus gekontert wird. Das ist verständlich, aber nicht wirklich zielführend, denn während man sich über den (vermeintlichen) Antisemitismus empört, gerät vieles, das eigentlich diskussionswürdig wäre, völlig aus dem Blickfeld. Dabei gibt es gerade im Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest 2019 in Israel einiges, das es zu hinterfragen gilt.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Gefahr
Zum Beispiel, warum der öffentlich-rechtliche israelische Fernsehsender IPC nach Auflösung der Israeli Broadcasting Authority (IBA) noch immer nur über eine einstweilige Mitgliedschaft in der Europäischen Rundfunkunion (EBU) verfügt. Dazu muss man wissen, dass die IBA 1948 nach dem Vorbild der britischen BBC gegründet worden war - gebührenfinanziert und politisch unabhängig - und die Auflösung des zugegebenermaßen schwerfälligen und kostenintensiven Apparats auf Betreiben Benjamin Netanjahus sogar vom Präsidenten der nationalreligiösen Partei Bayit Yehudi, Naftali Bennett, als Angriff auf Pressefreiheit und Demokratie gebrandmarkt wurde. Die Abwicklung des öffentlich-rechtlichen Senders erfolgte dann in einer dramatischen Hauruck-Aktion am 14. Mai 2017. ESC-Fans erinnern sich noch gut an die Abschiedsworte von Jurysprecher Ofer Nachshon aus Jerusalem. Der Eurovision Song Contest aus Kiew war die letzte Sendung, die von der IBA ausgestrahlt wurde.
Aus IBA wird IBC
Anstelle der traditionsreichen IBA nahm im Anschluss die neu gegründete Israeli Public Broadcasting Corporation (IBC) den Sendebetrieb auf - unter dem Markennamen "Kan", was so viel bedeutet wie "hier". Der neue Sender wird, anders als sein Vorgänger, nicht mehr aus Fernsehgebühren finanziert, sondern aus dem Staatshaushalt. Viel interessanter ist jedoch, dass er aus einem politischen Kompromiss resultiert, der die Auslagerung der Nachrichtenprogramme in eine eigene Organisation vorsieht. Das heißt, dass "Kan" keine eigenen Nachrichtensendungen mehr produzieren soll. Ursprünglich sollte der neue Sender ganz auf tagesaktuelle Informationsprogramme verzichten, was Kritiker als Versuch Netanjahus deuteten, missliebige Berichterstattung im Staatsfernsehen zu verhindern.
Die Zwickmühle der EBU
Der Haken an diesem Konstrukt ist allerdings, dass ein Sender ohne eigene Nachrichtenredaktion nicht die Kriterien für eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Rundfunkunion erfüllt, die in den Statuten der Rundfunkorganisation festgelegt sind. Nachdem das israelische Oberste Gericht im Mai 2017 eine einstweilige Verfügung erlassen hatte, dass die Nachrichtenredaktion vorläufig nicht aus der IBC ausgegliedert werden dürfe, sitzen die Verantwortlichen bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts auf glühenden Kohlen, denn sollten die Richter dem Wunsch der Regierung folgen und die Ausgliederung für rechtmäßig erklären, hieße dies im Umkehrschluss, dass der für die ESC-Ausrichtung vorgesehene Sender nicht Vollmitglied der EBU sein kann - ein Damoklesschwert für die Genfer Organisation und ESC-Gastgeber Israel.
Keine politische Instrumentalisierung
Andererseits verfügt die EBU damit womöglich über eine mächtige Waffe, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Israel - und den Eurovision Song Contest - vor einer allzu massiven Einflussnahme durch die Politik zu bewahren. Denn so lässt sich die Hanitzsch-Karikatur nämlich auch deuten: Der ESC-Sieg wird von der israelischen Regierung propagandistisch vereinnahmt. Schon jetzt versuchen einzelne Minister, den Wettbewerb im kommenden Jahr politisch zu vereinnahmen, was eurovision.tv dazu veranlasste, die Fans per Twitter davor zu warnen, Spekulationen über Austragungsort und ‑datum des ESC 2019 als Grundlage für etwaige Flug- und Hotelbuchungen zu nehmen. Will heißen: Das letzte Wort über den Eurovision Song Contest in Jerusalem ist noch lange nicht gesprochen.