Sandra Reemer: "Die Musik hat mich gerettet"
Wir treffen Sandra Reemer in Berlin, wo sie Stargast beim Eurovision Weekend ist. Die Sängerin wurde 1950 im indonesischen Bandung, einer früheren Kolonie der Niederlande, geboren und kam als Kind nach Holland. Zusammen mit Andres schaffte sie es 1972 beim ESC in Edinburgh auf den vierten Platz, knapp hinter Mary Roos und ihrem "Nur die Liebe lässt uns leben". Im Interview mit Jan Feddersen blickt Sandra Reemer auf frühere ESC-Zeiten und auch auf Aufrtitte in Deutschland zurück.
Es wird oft davon gesprochen, dass beim ESC alle Künstler zusammenkommen und Party feiern. Wie war das damals?
Sandra Reemer: Sagen wir: Wir hatten uns 1972 eine Woche lang bei kühlem Wetter kennenlernen können. Alle, wirklich alle waren freundlich und lustig - nur Vicky Leandros war nicht dabei, sie litt während der ganzen Probenwoche, sagte sie mir später einmal, unter Bauchweh.
Sie waren ja durch den Auftritt beim Eurovision Song Contest auch in der ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck öfter zu Gast. Und wie war es in West-Berlin?
Sandra Reemer: Oh, ich liebte es. Gleich, mit welchem Titel, ob "Tschinderassa", "Mama Mia", "Ich will dich für immer" oder mit unserem ersten Titel, "Was soll ich tun" …
… in dessen niederländischer Originalversion Sie und Andres beim ESC 1972 in Edinburgh den vierten Platz belegten.
Sandra Reemer: Ja, mit einem einzigen Punkt hinter Mary Roos und ihrem "Nur die Liebe lässt uns leben".
Das erinnern Sie noch genau?
Sandra Reemer: Ja, weil es nur ein einziger Punkt war. Punktgleichstand wäre schöner gewesen.
1972 war für Sie als ESC-Vertreterin der Niederlande bestimmt bedeutend?
Sandra Reemer: Uneingeschränkt: ja. Ich hatte als junges Mädchen schon vom Song Contest geträumt. Ich kam sehr jung aus Indonesien in die Niederlande. Für mich, die anders aussah als die niederländischen Mädchen, die sonst in meinem Land lebten, war es nicht so leicht. Und ich hatte so Heimweh, als ich meine erste Heimat verließ. Aber die Musik hat mich in gewisser Weise gerettet. 1972 war es unsere große Chance und wir haben sie genutzt.
Welches Verhältnis hatten Sie damals zum ESC?
Sandra Reemer: Ich habe diese Show geliebt - Musik, die Brücken baut und Grenzen überwindet. 1964 habe ich ja den Siegestitel von Gigliola Cinquetti auf Niederländisch gesungen, aber der wirklich erste ESC-Titel, den ich coverte, war "Al die là" von Betty Curtis, 1961. Aber ich wusste lange nicht, dass sie diesen Titel auch beim Contest gesungen hat. 1972 war wichtig für mich, für Andres und mich gemeinsam. Wir waren über Nacht sehr, sehr populär. Und nicht nur das: Bei Euch in Deutschland wurden wir auch bekannt, überhaupt in so vielen Ländern, in denen der Wettbewerb geguckt wird.
Immerhin hat man Sie noch zweimal mit Fahrkarten zum ESC betraut.
Sandra Reemer: Und was habe ich mich darüber gefreut, das muss ich sagen. 1976 in Den Haag mit "The Party’s Over Now" und drei Jahre später mit "Colorado" in Jerusalem. Alle drei Auftritte waren schön: meine Seventies!
Hat Ihnen der Eurovision Song Contest genutzt - oder hätten Sie sich als Künstlerin auch ohne ihn durchsetzen können?
Sandra Reemer: Das glaube ich nicht. Musik war mein Leben, meine Rettung. Wir haben in meiner damals neuen Heimat bestimmt einiges dafür getan, dass die Diskriminierung von Einwanderern aus Indonesien weniger werden konnte. Aber generell: Ohne den Contest wäre ich nicht nach Berlin eingeladen worden von Eurovisionsfans. Mein Herz wird immer offen bleiben!