Amir: "Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich gut bin"
Neben der Österreicherin Zoë gehört Amir aus Frankreich zu den besonders begehrten Interviewpartnern in Stockholm - auch weil er es schafft, zu jedem seiner Fans eine ganz persönliche Beziehung herzustellen. Wir haben den französischen Sieger von "The Voice" im Foyer des Hotels Quality Globen getroffen.
Amir, deine Freundlichkeit und Herzlichkeit begeistert die Fans. Wie schaffst du es, in dieser stressigen Zeit immer so fröhlich und gut gelaunt zu sein?
Amir: Ich weiß, das klingt jetzt naiv und vielleicht auch ein bisschen abgedroschen, aber ich freue mich des Lebens und ich mag Menschen. Und ich glaube, dass einem lauter gute Dinge passieren, wenn man mit einer positiven Einstellung durchs Leben geht. Im Augenblick habe ich zumindest keinen Grund zu klagen (lacht).
Du gibst sehr viel von dir und öffnest den Menschen dein Herz, dein neues Album heißt sogar "Au cœur de moi" (In meinem Herzen). Was sagt denn deine Frau Lital dazu, die den Platz in deinem Herzen mit den ganzen Fans teilen muss?
Amir: Sie versteht sehr gut, wie viel mir das Ganze bedeutet und freut sich mit mir, dass ich meinen Traum leben kann, denn wenn ich glücklich bin, sind wir auch als Paar glücklich. Natürlich hat sie ihren Platz in meinem Herzen, aber sie steht auch hinter mir. Es heißt ja, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine Frau steht, die ihn antreibt - oder auch ein Mann (lacht). Ich habe das Glück, so eine Frau zu haben, und auf dem Album gibt es auch ein Lied, das ihr gewidmet ist.
Mit acht Jahren bist du mit deiner Familie nach Israel ausgewandert. War es schwer, sich in dieser für dich neuen Welt zurechtzufinden?
Amir: Am Anfang hatte ich ein wenig Angst, weil ich nicht wusste, was da auf mich zukommt, eine neue Schule, neue Kameraden. Aber Israel ist ein sehr aufgeschlossenes Land, in dem man sich schnell zuhause fühlt, weil die Menschen im Alltag freundlich und fröhlich miteinander umgehen. Es war also ganz einfach, sich zu integrieren.
Im Augenblick lebst du aber wieder schwerpunktmäßig in Frankreich …
Amir: Meine Familie lebt in Israel und meine Frau ist auch die meiste Zeit dort. Frankreich ist für mich aber aktuell der wichtigste Anlaufpunkt, weil mir das Land ermöglicht hat, meinen Traum zu leben und als Sänger zu arbeiten. Für mich ist Israel der Ort, wo ich meine Familie besuche und wo ich von der Außenwelt unbeobachtet neue Kraft tanken kann, auch wenn ich in Israel mittlerweile kein Unbekannter mehr bin. Ich empfinde es als unheimlichen Reichtum, beide Kulturen in mir zu tragen und mich in beiden Ländern zu Hause zu fühlen.
Erste Gehversuche als Sänger hast du in der israelischen Castingshow "Nokhav Kolad" gemacht, aus der auch zahlreiche israelische Song-Contest-Teilnehmer wie Shiri Maimon, Harel Skaat oder Mei Feingold hervorgegangen sind. War die ESC-Teilnahme damals schon ein Traum von dir?
Amir: Nein, ich habe das erste Mal an eine ESC-Teilnahme gedacht, als ich mich vor ein paar Monaten mit dem Leiter der französischen Delegation, Edoardo Grassi, getroffen habe und er mir das Angebot machte, Frankreich zu vertreten. Erst da habe ich realisiert, welche Chance und vor allem welche Ehre eine solche Teilnahme für mich darstellen könnte. Ich habe dann spontan ja gesagt und seitdem haben sich die Dinge fast wie von selbst entwickelt, ohne große strategische Planung. Es macht mir einfach unheimlichen Spaß, und ich glaube, das merkt man auch.
Du hast deinen Militärdienst in Israel abgeleistet, obwohl du auf dem rechten Ohr von Geburt an taub bist. Wieso wurdest du nicht ausgemustert?
Amir: Der Militärdienst ist in Israel verpflichtend für alle, ich wurde wegen meines Handicaps aber nicht als Kampfsoldat eingesetzt, sondern in der Verwaltung. Ich habe drei Jahre lang am Schreibtisch gearbeitet und vor allem Ablage gemacht. Natürlich wurde mir auch Disziplin beigebracht, auch wenn das nicht immer so funktioniert hat - ich musste zweimal ins Militärgefängnis … (lacht). Aber als ich mit 21 aus dem Dienst entlassen wurde, war ich mir sehr viel klarer darüber, was ich mit meinem Leben anfangen wollte.
Warum warst du denn nicht in einem Lehaquot Tzvayot, einem der israelischen Militärensembles, in dem viele Stars wie Avi Toledano (Israel 1982) oder Yardena Arazi (Israel 1976 und 1988) ihre Karriere begonnen haben?
Amir: Ah, du kennst die Lehaquot Tzvayot? Ich bin überrascht … Nein, ich habe damals noch gar nicht gesungen. Ich habe erst mit 22 für "Nokhav Kolad" richtig mit dem Singen angefangen, davor war es nur ein Hobby, das ich zu Hause im stillen Kämmerlein ausübte, weil ich mir nicht sicher war, ob ich wirklich gut bin.
Du hast Zahnmedizin studiert. Hilft dir das, was du an der Uni gelernt hast, auch im Musikbusiness? Zum Beispiel, um besser mit Leuten umzugehen, die Haare auf den Zähnen haben …?
Amir: (lacht) Nun, das Studium hat mir auf jeden Fall beigebracht, empathisch zu sein, denn in den sechs Jahren lernt man, auf die Beschwerden und Nöte der Patienten einzugehen. Es ist eine Wissenschaft, die nicht nur technisch, sondern in ihrem Innersten sehr human ist. Ich habe gelernt, den Menschen besser zuzuhören, und weil alle Dinge, die wir erleben, uns in irgendeiner Weise prägen, sind mir diese Jahre heute auf jeden Fall von Nutzen.
Du hast dein erstes Album auf Hebräisch aufgenommen - in Zusammenarbeit mit Ofer Nissim, der auch die ersten Karriereschritte von Dana International begleitet hat. Jetzt kommt dein erstes französisches Album auf den Markt. Bedeutet das, dass du dem israelischen Markt den Rücken kehrst?
Amir: Ich habe die Titel für mein erstes Album geschrieben, als ich noch an der Uni war, und es war - wie soll ich sagen? - doch ein bisschen amateurhaft. Es wurde 2011 in Israel nur als digitaler Download veröffentlicht und war sozusagen als Steigbügel für den Eintritt ins Musikbusiness gedacht. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass es mit mir als Künstler nicht sehr viel zu tun hat, weil die Titel vor mittlerweile neun Jahren geschrieben wurden. Aber ich habe mir dadurch eine Fanbase geschaffen, die mich dorthin geführt hat, wo ich jetzt stehe, und der ich für ihre Unterstützung auch weiterhin unendlich dankbar bin.
Du hast - wie auch Jamie-Lee in Deutschland - "The Voice" gewonnen. Wie gut hat dich die Castingshow auf das Abenteuer ESC vorbereitet?
Amir: "The Voice" schenkt einem eine Menge Erfahrung in Sachen Live-Auftritt bei einem Wettbewerb, auch wenn sich das hier beim ESC auf einer viel höheren Ebene abspielt - schon weil es etwa 20 Mal so viele Zuschauer gibt. Der wichtigste Unterschied ist, dass wir hier in Stockholm nicht für uns selbst beziehungsweise für unsere bescheidene Karriere singen, sondern für unser Land. Der Druck ist also wesentlich höher, eine tadellose Leistung zu erbringen. Dazu kommt, dass das Maß an Professionalität, mit dem hier gearbeitet wird, absolut beeindruckend ist.
Gibt es etwas, das dich beim ESC wirklich überrascht hat?
Amir: Ja, die Begeisterung der Fans. Von Menschen unterstützt zu werden, für die der ESC eine solche Leidenschaft ist, ist ein echtes Erlebnis. Die Zuneigung, die mir hier entgegengebracht wird, motiviert mich unheimlich - gerade auf der Bühne.