Salvador Sobral: Ein undankbarer Sieger
Anfang März war Salvador Sobral in Schweden zu Besuch. Er machte dort Station für sein neues Album, das erste seit seinem Eurovisionssieg im Mai 2017 in Kiew, Titel: "Paris, Lisboa". Dokumentiert ist diese Stippvisite unter anderem durch eine Aufzeichnung von gut acht Minuten, die bezeugen, dass der portugiesische Künstler in der sehr populären Talkshow Fredrik Skavlans im schwedischen Fernsehen Rede und Antwort stand.
Für den ESC ging er "auf den Strich"
Und wie er das tut: charmant, munter und fidel. Der einst schwer erkrankte Mann war sehr gut drauf - gut so! Was Sobral keineswegs maulfaul zu Protokoll gab, war indes verstörend: Der ESC sei sein Akt von Prostitution gewesen. Das heißt, er ging auf den Strich, wollte, um im Bild zu bleiben, das Geld - aber war nicht mit dem Herzen dabei. Nun ist hier kein Platz, um den Beruf der Sexarbeitenden zu moralisieren, aber Sobral, das ist deutlich zu hören (1:10) meint dies eben schwer abträglich. Beim Eurovision Song Contest gehe es nicht um Musik, um das Edle, Wahre und Schöne, sondern um Show, um technische Spielereien - also um Effekthascherei.
Robin Bengtsson wehrte sich
Außerdem gab er bekannt, dass er schon während der ESC-Tage in der ukrainischen Hauptstadt das Gefühl nicht losgeworden sei, am falschen Ort zu sein. All die Partys und Clubs seien einfach nichts für ihn. Davon abgesehen, dass er damals gar keine Partys besuchte: Tatsächlich hat der Sänger, der mit der von seiner Schwester Luísa geschriebenen Ballade "Amar pelos dois" haushoch gewinnen konnte, schon unmittelbar nach seinem Sieg Abfälliges über seine Festivalrivalen geäußert, als er meinte, mit ihm, Sobral, habe die Musik gewonnen, nicht ein "Feuerwerk".
Robin Bengtsson, der mit einem anderen ästhetischen Konzept, mehr poporientiert unter dem Titel "I Can’t Go On" an den Start gegangen war, fühlte sich zurecht mit der Kritik gemeint. Aber der immerhin Fünfte in Kiew wehrte sich indes per Instagram Post klug gegen Salvador Sobral: "Herzlichen Glückwunsch zu deinem Sieg, ich mag dein Lied und die Art und Weise, wie du singst, aber deine Rede nach dem Gewinn des ESC war eines echten Siegers unwürdig."
Insofern: Sobrals Sichtweise hatte damals schon ein Geschmäckle. Ein Sieger, der die hinter ihm Platzierten disst - das war unschicklich, das hatte keine Größe, vielmehr zeugte es vom engen und hartherzigen Kunstverständnis des Portugiesen.
Kein stilistischer Ausrutscher
Mögen ihm diese Äußerungen nachgesehen werden, so dachte man - ein stilistischer Ausrutscher eines vom Pop-Business überforderten jungen Mannes aus einem Land, das bislang allenfalls eine kleine bis mittelgroße Flöte im globalen Entertainment zu spielen wusste: Man glaubte sich in Portugal ja immer am Rande, dafür aber künstlerisch wertvoll verortet.
Aber Salvador Sobral hatte bis zur portugiesischen Vorentscheidung 2017 ja keine tapfere Zeit jenseits des TV-Entertainments verbracht, vielmehr hatte er, wenn auch erfolglos, an einer Pop-Castingshow teilgenommen. Der ESC schließlich war sein Sprungbrett in höhere und kommerziell tragfähigere Gefilde. Man darf mit Recht spekulieren: Ohne den ESC-Sieg hätte es niemals eine Einladung in eine wichtige Talkshow zu Promotionzwecke in Schweden geben - dafür ist Portugals Kunstgeschehen in Skandinavien dann doch zu abseitig.
Darüber hinaus missachtet Sobral mit solchen Äußerungen die schlichte Erkenntnis, dass seine tatsächlich ungewöhnliche Performance in Kiew eben auch keine Schöpfung des Naturhaften und Authentischen war, sondern eben auch Show: Inszenierung pur. In jenem Jahr wollten das Publikum und die Jurys eine solche Darbietung, im Jahr darauf eine schräge, eher temporeiche Nummer von Netta, die er übrigens unhöflicherweise während der Tage von Lissabon auch mal kurz disste. Er sagte: "Youtube hat mir ihren Song empfohlen, also habe ich draufgeklickt und dann kam diese schreckliche Musik."
Seine Darbietung war auch inszeniert
Ohne das Televoting, ohne die Jurys hätte Salvador Sobral nicht gewinnen können, er hatte sich dem Format unterworfen - ein Festival, bei dem knapp vier Dutzend Lieder miteinander konkurrieren, knallhart um Punkte und Platzierungen. Es nun im Nachhinein zu diffamieren, zeugt von einer schlechten Einschätzung der Spielregeln. Sein Motto schien gewesen zu sein: "Wasch mir den Pelz - aber mach mich nicht nass". Oder anders gesagt: Nimm das Millionenforum ESC mit - aber bleib bei deiner Verachtung.
Sobral ist nicht besser und nicht schlechter als Musiker wie andere - etwa Netta oder Robin Bengtsson. Sein Lied, seine Personality lagen an einem Abend dem Eurovisionspublikum am sympathischsten im Gemüt. Er schädigt mit seinen jüngsten Äußerungen in gewisser Weise sich selbst am meisten - indem er seinen ESC-Triumph von Kiew verrät.