Ein ESC-Solidaritätslied für Flüchtlinge?
Jeder ist momentan von den Bildern von Flüchtlingen berührt. Viele - auch in der ESC-Community - helfen als Ehrenamtliche, die nach Europa gelangten Menschen zu unterstützen. Im kulturellen Bereich gibt es etliche Solidaritätsaufrufe. Mein Kollege Jens Uthoff hat hierzu einen schönen Beitrag verfasst. Es sind die üblichen Verdächtigen, die ihr Wort und ihre Musik für gute Zwecke einsetzen, und dies zu bemerken ist nicht böse gemeint. Dabei sind Udo Lindenberg, Tocotronic oder Die Toten Hosen.
Aber die künstlerisch vielleicht am ehesten angemessene Idee erreichte mich gestern. Der 17-jährige Philipp Schwab aus Freiburg hat einen Vorschlag gemacht, der unsere Aufmerksamkeit verdient. Der angehende Abiturient ist ESC-Fan und war dieses Jahr in Wien erstmals akkreditiert. In einer Arbeit für das Fach Gemeinschaftskunde machte er sich vor einigen Monaten kluge Gedanken zum Thema europäische Identität mit der Fragestellung: "Kann durch die Auseinandersetzung mit den beiden europäisierenden Projekten 'Europäische Union' und 'Eurovision Song Contest' eine europäische Identität geschaffen werden?"
Ein ESC-Chor für Menschlichkeit
Die Beschäftigung mit den Thema Europa führte ihn letztlich auch zu seiner "Building Bridges"-Idee: "Mein Bedürfnis, die Menschen in der aktuellen Situation zu unterstützen, lässt mich nicht los. Die Erfahrungen, die ich beim Schreiben meiner Seminararbeit sammeln konnte, wie auch die persönlich erlebte Kraft beim diesjährigen Eurovision Song Contest haben in mir eine Idee ausgelöst.
Meine Vision ist es nun, nach dem Vorbild von 'We Are The World 25 For Haiti' ein Projekt mit den Teilnehmern des Eurovision Song Contest 2015 zu starten. Konkret besteht dieses Projekt darin, die Teilnehmer des 60. Eurovision Song Contest noch einmal zusammenzubringen, damit diese gemeinsam einen Song aufnehmen, eventuell zum Teil in deren Muttersprache, zum Teil auf Englisch. Wir könnten einen positiven Akzent setzen und einerseits die Herzen der Flüchtlinge berühren, gleichzeitig aber auch die Herzen der Menschen, die in den 'Ankunftsländern' Europas leben, und so zu Menschlichkeit, Respekt und Toleranz aufrufen. Im besten Fall wird dieses Projekt neben der menschlichen/sozialen Verantwortung auch einen wirtschaftlichen Beitrag dazu leisten können, die Flüchtlinge und die Staaten Europas finanziell zu unterstützen.“
Motto "A Million Voices"
Die Idee verdient Respekt, denn in der ESC-Community ist bislang noch niemand auf diesen eigentlich naheliegenden Gedanken gekommen. Und vielleicht ist es auch ein wenig idealistisch anzunehmen, alle Länder, die im Mai in Wien dabei waren, für eine solche Geste der Flüchtlingssolidarität gewinnen zu können. Zumal ja nicht alle Länder der Eurovision so willkommenheißend mit den neuen Bürgern und Bürgerinnen umgehen möchten wie momentan Österreich, Deutschland oder Schweden. Aber es wäre schon eine Debatte wert, ob und wie dieses Konzept mit Leben erfüllt werden könnte. Und sei es nur, dass einige Künstler und Künstlerinnen des 60. ESC zusammen ein Lied sängen - in Verbindung mit solchen aus anderen, älteren Jahrgängen.
Um nur mal zu spekulieren: Conchita Wurst könnte mitmachen, auch die Common Linnets, Polina Gagarina - zusammen mit Roman Lob, Lena, Elaiza, Pollapönk, Zlata Ognevich, Esma und Lozano, Genealogy, Voltaj und anderen. Also "A Million Voices" - um den russischen ESC-Titel von 2015 zu zitieren.
Was halten Sie von diesem Projekt? Soll man es den TV-Verantwortlichen in den ESC-Sendern antragen? Wäre dies ein guter Solidaritätsbeitrag? Der Impulsgeber Philipp Schwab hat wahrscheinlich recht: Gerade der ESC ist Jahr für Jahr so brückenbauend, dass es eine moralische wie ästhetische Pflicht sein müsste, aus dem Geist der Eurovision heraus eine solche Idee zu realisieren.
Was meinen Sie?