Vorentscheid: Darauf kommt es beim Kandidaten-Workshop an
Wer die 20 potenziellen Kandidaten für den deutschen ESC-Vorentscheid 2018 sind, die sich in Köln zum Workshop versammeln, wird an dieser Stelle noch nicht verraten werden. Und das ist auch gut so. Die Ausgewählten sollen sich die nächsten Tage völlig ohne Druck und öffentliche Diskussionen auf die Arbeit im Studio einlassen können.
Motto des Workshops: Sich einlassen
Die Tür zu einem der Probenräume ist Gott sei Dank nicht ganz schalldicht. Man hört schöne Töne und dazu den Gesang von einer Person, die es in den Trainingsworkshop geschafft hat. Vocal Coach Jeff Cascaro sitzt hinter seinem Elektroklavier, einem Fender Rhodes, und verkörpert nichts als Gelassenheit. "Lass uns zusammen spielen - und lass dich einfach auf die Töne ein." Nach diesem Konzept sollen alle 20 bis Sonntag an sich feilen. Tage, durch die sie von sehr freundlichen, aber auch sehr akkuraten Musikern wie dem Stefan-Raab-Bandleader Wolfgang Dalheimer (Heavytones) geführt werden.
Natürlich sein und wirken - das ist nicht leicht
Sie sollen, sie können, sie mögen bitte auf die natürlichste Art ihr eurovisionäres Potential ins Licht stellen - aber nicht gekünstelt. Dalheimer grummelt mehr nebenbei, als dass er wie ein autoritärer Maestro bellt: "Viele denken, so ein Casting, so eine Bewerbung lebe davon, dass man stark und laut singen kann. Darauf kommt es aber nicht an. Was wir hervorkitzeln wollen ist das, was in einer Person steckt, musikalisch und damit auch körperlich." Das Verfahren mit den 20 letzten Personen, die beim ESC-Vorentscheid dabei zu sein hoffen, ist an prominentem Ort angesiedelt: Ein nüchterner Gewerbehof im Kölner Stadtteil Braunsfeld. Ein wirklich nicht besonders feines Viertel jenseits der Innenstadt, aber was heißt das schon? Vor sechseinhalb Jahren standen hier die letzten Kandidatinnen für "Unser Star für Oslo" vor den Mikros, darunter natürlich auch Lena, die spätere Siegerin beim ESC in Oslo. Über einer Tür hängt ein Schild mit der Aufschrift "The Satellite" - das kann ja ein gutes Omen sein.
Jetzt können sich die ersten zwei Kandidaten dem Team von "Lodge of Levity“, zu deutsch: Hort der Leichtigkeit, vorstellen. Doch die Mitarbeiter sind, das machen sowohl Jens Bujahr, Chef der Firma, als auch der Produktionsleiter Carsten Lehmann klar, keine Juroren. Niemand, auch nicht die Düsseldorfer Choreografin Nici Grandison, gibt Zensuren, bestraft oder belobigt in die nächste Runde.
Wichtiges Kriterium: Präsenz
Grandison, die schon am Ausdruck der Kandidaten von "X Factor", "Got to dance" oder "The Voice of Germany" gefeilt hat, achtet hier besonders auf die körperliche Präsenz. Die spielt natürlich im Hinblick auf den ESC in Lissabon im Mai und vorher beim deutschen Vorentscheid eine mächtige Rolle: Was nützt das beste Lied, die feinste Tonlage, wenn es auf der Bühne wie verschüttete Milch aussieht? Sie betont es, als müsste sie ihre Botschaft besonders deutlich markieren: "Wir gucken und geben Tipps. Aber hauptsächlich fragen wir." Gesagt, getan. Die Kandidatenperson singt zunächst ein langsames Lied und erklärt, offenbar noch den portugiesischen Sieger Salvador Sobral von diesem Jahr im Kopf: "Eine Ballade für den ESC, das kommt bestimmt gut an." Grandison bittet auch um ein schnelleres Lied und fragt am Ende: "Wie fühlst du dich? Wie siehst du dich selbst auf der Bühne", und rät sehr, sehr sanft: "Mach vielleicht deine Arme etwas weiter auf - werde groß dabei."
Werkstattatmosphäre statt kühles Hochglanzstudio
Wolfgang Dalheimer lässt sich von einer Person ein selbst komponiertes Lied vorsingen, während er im Schneidersitz auf dem auf dem Hocker seines Flügels Platz nimmt: Wenn das kein Zeichen von entspannter Werkstattatmosphäre ist! Und dann fragt er: "Würdest du dir dein Haar auf blond umfärben?" Die Antwort: "Nee, nicht so mein Ding!" Informationen, die am Ende wichtig sein können: Diese Person möchte jedenfalls bleiben, wie sie ist und sich keinem Diktat etwa einer Plattenfirma unterwerfen. Es ist, so Produktionsleiter Lehmann, mehr ein Workshop, kein fieses Casting, bei dem alle irgendwie Angst haben, in der nächsten Sekunde aus dem Haus komplimentiert zu werden. Hier geht es gemächlich und, so scheint es, noch ohne Lampenfieber zu.
Jens Bujar, der schon in Sachen "DSDS" und an anderen Castingformaten gearbeitet hat sagt: "Wir gucken uns alles an und interviewen die Personen. Unsere Aufgabe ist es, gleiche Filme der Arbeit dieser Kandidaten zu drehen." Nüchterne Beobachtungen über das, was die Künstler von sich gezeigt haben und welche Potenziale in ihnen zu vermuten sind: gesanglich, performativ und als Person schlechthin. Das ist die Aufgabe von Bujar und seinem Team. Anhand dieser Filme werden dann jene fünf Acts ausgewählt, die in den Vorentscheid kommen.
Alles nicht bierernst nehmen und doch alles ernst nehmen
"Lena", sagt Wolfgang Dalheimer, "hat ja bis zum Schluss alles wie eine große Party genommen." Und erzählt fast nebenbei, dass die spätere ESC-Siegerin nach dem ersten Casting mit dem eingeschickten Material nicht im A-Ordner, sondern im B-Ordner war. Da sei sie dann doch noch "gefunden" worden, weil bei der zweiten Durchsicht das erkannt wurde, worauf es beim ESC am Ende immer ankomme: Besonderheit. Wer nicht unter ferner sangen verenden will, muss etwas bieten - und das ist mit den Worten Gesang und Inbrunst so gar nicht beschrieben.
Der erste Workshop-Tag klingt aus. Die Teilnehmer sehen zufrieden aus, nicht gestresst. Ob unter diesen der eine Mensch mit Magie, mit diesem gewissen Etwas war? Das "Lodge of Levity"-Team wird seine Befunde formulieren - und die Juroren werden dann die fünf von ihnen auswählen, die in der Vornentscheid-Show antreten. Bis Sonntag geht es weiter, es wird, das darf verraten werden, sehr spannend.