Partykracher, Balladen und Balkanpop in London
Der Eurovision Song Contest 2015 wird bekanntlich in Wien ausgetragen. Im Vorfeld der größten Musikshow der Welt war jedoch London bislang die diesjährige zentrale Anlaufstelle für ESC-Aficionados - und das mehrfach. Es begann mit der offiziellen EBU-Jubiläumsshow "Eurovision‘s Greatest Hits", die von der BBC im populären Apollo in Hammersmith aufgezeichnet wurde.
In der vorletzten Aprilwoche war London dann Host City von gleich zwei weiteren ESC-Events. Zum einen einer EBU-Konferenz, zum anderen dem von Fans organisierten ESC-Fest "London Eurovision Party 2015" (LEP). Zu letzterer lud eine Clique großartiger britischer ESC-Fans rund um Roy Bennett, Russell Davies und Kabir Naidoo ins poshe Café de Paris im Londoner Westend ein.
Das Engagement der Fans nimmt zu
Der Aufschwung der von Fans organisierten ESC-Preview- oder Promo-Events ist in den letzten Jahren beachtlich. Eurovision in Concert in Amsterdam (EiC) ist die anerkannte Benchmark, doch auch andere "Jahrgangstreffen", zum Beispiel in Riga oder Moskau, werden von Jahr zu Jahr größer. Und vor allem London! Was kaum jemand weiß: Die "London Eurovision Party" ist sogar ein Jahr älter als das ESC-Treffen in Amsterdam. Die Veranstaltung in London war in den frühen Jahren jedoch eher Party als Konzert und hat den Schwerpunkt zu Beginn auch nicht exklusiv auf den aktuellen Jahrgang gelegt, sondern einen bunten Mix aus (oft britischen) Künstlern aus verschiedenen ESC-Jahrzehnten und einigen aktuellen Acts offeriert.
Seit 2014 kommen mehr internationale ESC-Künstler
Der Popularitätsschub, der Fans aus ganz Europa inzwischen auch nach London zieht, kam im vergangenen Jahr. Da nahm das Line-up an aktuellen Künstlern deutlich zu und Conchita lieferte einen atemberaubend coolen und umjubelten Auftritt ab. Die Clips davon, die die Fans ins Netz stellten, erzielten ungeahnte Rekord-Klickzahlen. Denn anders als bei EiC tragen die Künstler in London nicht nur ihren aktuellen Song vor, sondern haben die Chance, ein Set aus mehreren Liedern zu präsentieren. So auch Conchita, die aus Dankbarkeit für dieses Highlight ein Jahr später nach London zurückkehrte. ("Das lasse ich mir nicht nehmen," sagte sie mir.)
Hinzu kommt, dass das legendäre Café de Paris, in dem schon ungezählte Londoner Kultpartys stattfanden, den Künstlern eine gleichzeitig elegante und intime Konzert-Atmosphäre bietet. Geschätzt 500 Gäste waren bei der diesjährigen ESC-Party im komplett ausverkauften Club dabei, Acts und ihre Entourage inklusive.
Måns Zelmerlöw bestätigt Favoritenstatus
Es verursacht schon Gänsehaut, wenn ein Partyprofi wie Måns Zelmerlöw seine drei Melodifestivalen-Beiträge hintereinander raushaut und der ganze Laden ausgelassen und euphorisiert mitfeiert und mitsingt und dies alles in fast familiärer Atmosphäre. Zwischen der etwa zwölf Quadratmeter großen Bühne und den Fans gibt es nicht mal eine Absperrung. Man feiert einfach gemeinsam den ESC.
16 Acts des diesjährigen Jahrgangs hat das LEP-Team versammelt. Ferner - einer guten Tradition folgend - eine Reihe von Special Guests. Neben Conchita performten unter anderem Fan-Favoriten wie Sarbel (Griechenland 2007, lebt jetzt in London) und Kurt Calleja (Malta 2012), der das längste und am stärksten Dancefloor-getränkte Set des Abends bot (u.a. mit einem Großraumdisco-Cover von Sakis "Shake It"). So wundert es nicht, dass die Show alles in allem über vier Stunden dauerte, aber keine Minute davon war langweilig.
Und weil die Acts etwas mehr Raum bekommen, sich zu präsentieren, erlebt man auch ungeahnte Facetten und überraschende Höhepunkte. Uns haben ganz besonders Knez aus Montenegro und Marta Jandová und Václav Bárta aus der Tschechischen Republik gefallen. Der sehr sympathische Knez bot neben seiner (typischen) Željko-Joksimović-Ballade "Adio" eine fantastische, mitreißende Balkandisco-Nummer namens "Bella Signorina", auf dessen Revival im Euroclub in Wien wir uns heute schon freuen. Und Marta und Václav sangen neben ihrer Powerballade "Hope Never Dies" jeweils noch solo einen britischen Pop-Klassiker. Marta hatte sich Adeles "Rolling In The Deep" ausgesucht und Václav "Roxanne" von Police. Stimmlich kraftvoll, emotional, intensiv und packend - ein Grund mehr, darauf zu setzen und zu hoffen, dass Tschechien in Wien erstmals das Finale erreicht. Das dürfte schon reichen, das sehr entspannte und freundliche Duo zu Volkshelden zu machen.
Alle drei Acts aus den deutschsprachigen Ländern dabei
Speziell schön an London war auch, dass hier die "DACH-Kombi" vollständig vertreten war, also erstmals alle drei Acts aus den deutschsprachigen Ländern in einem Konzert aufeinander trafen (auch wenn alle drei englischsprachige Songs zum ESC schicken). So genoss Ann Sophie sichtlich das Kennenlernen weiterer Teilnehmer des 60. ESC in Wien. Gerade dank solcher Events werden diese eher zu kollegial-freundschaftlichen Verbündeten, als zu Wettbewerbern. Für Ann Sophie war die Reise nach London wie eine Zeitreise: Sie ist in London geboren und hat ihre ersten vier Lebensjahre dort verbracht. Auch Ann Sophie präsentierte im Café de Paris nicht nur "Black Smoke", sondern auch ihren Wildcard-Siegertitel "Jump The Gun". Einmal mehr hat man gemerkt, dass hier wirklich zwei gleichberechtigt starke Songs zur Auswahl standen. Beide Titel wurden von den Fans im Café de Paris mit viel Applaus gefeiert. "Building Bridges" in der schönsten Form.