Sirene mit Hai-Phobie für Spanien beim ESC
Für viele Künstler bedeutet die Teilnahme am Eurovision Song Contest einen Meilenstein in der Karriere. Für Ruth Lorenzo aus dem beschaulichen Murcia in Südostspanien war es auch eine Therapie der eigenen Ängste.
Vor dem spanischen Vorentscheid hatte die Musikerin versprochen, sollte sie mit ihrer Eigenkomposition "Dancing In the Rain" nach Kopenhagen fahren, würde sie mit Haien schwimmen - vor denen sie eigentlich panische Angst hat. Damit meinte sie nicht die anderen Musiker im "ESC-Haifischbecken", sondern die echten Raubtiere. Im März musste die Sängerin ihr Versprechen einlösen - und hat den Tauchgang im Madrider Zoo zu den Haien unbeschadet überstanden.
Beim Vorentscheid singt sich Ruth Lorenzo mit "Dancing In The Rain" - einer Gemeinschaftsarbeit mit Jim Irvin und Julian Emery - die Seele aus dem Leib. Dafür belohnen sie die Televoter, die ihr den hauchdünnen, aber elementaren Vorsprung vor der Konkurrentin Brequette verschaffen. "Was ich? Ich glaube es nicht! Das ist für meine geliebte Mutter, für alle Eurofans, und für mein geliebtes Murcia!", ruft die 31-Jährige überrascht angesichts des Sieges. In ihrem taillierten silbergrauen Kleid mit den schwarzen Locken wirkt ihr Auftritt wie der einer aufs Land versetzten Sirene.
Mit zwölf in die USA gezogen
In Kopenhagen kann sie nun ihre Seelenverwandte besuchen, die kleine Meerjungfrau. "Arielle war schon immer mein Lieblingsfilm", erzählt die Spanierin. Zahllose Male habe sie sich als Kind den Soundtrack dazu angehört. Als sie zum ersten Mal das Musical "Annie" hört, weiß sie, dass sie gerne auf Englisch singen würde. Dazu hat sie mit zwölf Jahren die Gelegenheit, denn ihre Familie zieht für einige Jahre in die USA, wo Ruth ersten Musikunterricht bekommt und bald auch Hauptrollen in Musicals wie "Phantom der Oper" ergattert.
Erfolgreich bei britischer Talent-Show
Mit 16 kehrt sie zurück in die Heimat und gründet eine Rockband, tourt durch Spanien. Davon leben kann sie nicht, daher versucht sie ihr Glück woanders. Dieses Mal setzt sie über den Ärmelkanal und bewirbt sich in Großbritannien bei der Castingshow "X-Factor". Und siehe da: 2008 wird ihr Jahr. Sie schafft nicht nur den Sprung in die Live-Shows der fünften Staffel. Die Powerfrau erhält Runde um Runde öffentlich Unterstützung von Promis wie Judi Dench, Johnny Depp und sogar vom britischen Premier Gordon Brown. Ihr Auftritt mit "Purple Rain" von Prince wird auf YouTube so oft geklickt, dass der Popmusiker das Video sperren lässt.
Fünf Jahre verbringt sie in der neuen Heimat - Jahre, in denen sie sich oft einsam fühlt. Und genau in dieser Phase der Verzweiflung schreibt sie in London "Dancing In The Rain", ein Song über das Weitermachen in schwierigen Zeiten.
Fast ESC-Teilnahme für Irland
Die Ironie des Schicksals will, dass Lorenzo zunächst in Großbritannien bekannt wird und auch gerne diese Wahlheimat beim ESC vertreten hätte. Das Angebot kommt jedoch nie, stattdessen fragt Irland an, ob Ruth Lust und Zeit hätte, das beim Grand Prix so erfolgreiche Land zu repräsentieren. Ein Blick in die Geschichte zeigt, wer 2008 in Belgrad stattdessen teilnimmt und mit Karacho gegen die Halbfinalhürde "flattert": der irische Truthahn Dustin The Turkey.
Nun bietet also Ruths ursprüngliche Heimat die Gelegenheit, die Iberen beim ESC-Finale zu vertreten. Bis dahin arbeitet sie fleißig weiter am ersten eigenen Album und tritt bei ESC-Terminen wie dem Amsterdamer Event Eurovision in Concert auf.
Fürs Finale nimmt sie sich vor: "Ich möchte ganz Europa Hoffnung und Licht vermitteln. Ich möchte mich stimmlich verbessern, eine tolle Figur vorzeigen, das beste Kleid anhaben und das schönste Bühnenbild." Und die "Sirene" gibt ein weiteres Versprechen Richtung Meerestiere ab, sollte sie die ESC-Krone zum ersten Mal seit Jahrzehnten nach Spanien tragen: "Falls ich in Kopenhagen siege, verspreche ich, dass ich mit Delfinen schwimmen will", so Lorenzo. Das wird sie nicht müssen, aber sie kann sich über einen guten zehnten Platz freuen.