Großer Pathos-Pop aus Serbien
Wenn man sich bei Sanja Vučić auf eines einigen kann, dann, dass man sich auf diese Frau nicht einigen kann: Die einen finden sie fantastisch, exzellent, eine Wucht. Die anderen bekommen ein nervöses Augenzucken, sobald die Serbin anfängt zu singen - zumindest, wenn sie ihr dabei zusehen. Denn Sanja zuckt selbst sehr viel. Während sie den Song "Goodbye (Shelter)" singt, mit dem sie Serbien beim Eurovision Song Contest 2016 vertreten hat, sieht sie aus, wie eine Schauspielerin, die versucht, drei Rollen auf einmal zu spielen. Aber, wirft hier schon wieder jemand ein, das ist ja gerade das Besondere an ihr!
Pathos-Pop mit ernstem Anliegen
Außerdem: Der Song braucht tatsächlich eine ordentliche Schippe Pathos. Auf den ersten Blick geht es um die altbekannte emotionale Einbahnstraße: Sie kommt nicht von ihm los, obwohl er nicht gut für sie ist. Doch die Message ist viel ernster. "Es geht um eine Liebe, die irgendwann in Missbrauch umschlägt", erklärt Komponistin Ivana Peters, "in psychische wie physische Gewalt". Die Musikerin und Songschreiberin, die in Serbien mit ihren Bands Tap 011 und Negative sehr bekannt ist, wünsche sich eine Diskussion darüber und hoffe, betroffene Frauen könnten dadurch die nötige Stärke in sich selbst finden.
Das ist auch Sanjas Anliegen. Im Interview mit eurovision.tv wurde sie kürzlich gefragt, welchen ESC-Song sie gerne mal covern würde. Ihre Antwort war "Warrior", Georgiens Beitrag von 2015. Thematisch liegt das nahe: Nina Sublatti besingt darin den harten Kampf ihrer georgischen Geschlechtsgenossinnen um Gleichberechtigung.
In vielen Genres zu Hause
Musikalisch surft Sanja gleich auf mehreren Wellen: Die Songs ihrer Band ZAA, mit der sie seit 2012 durch den Balkan tourt, basieren auf Reggae, greifen aber immer auch auf andere Genres wie Jazz, Ska, Punk, Dub, Postrock zurück.
Aber auch mit einem Song wie "Goodbye (Shelter)" hat Sanja keine Schwierigkeiten, obgleich der ganz woanders verortet ist: im opulenten Pathos-Pop à la Adele, mit orchestraler Untermalung und ein paar Flötentönen, die daran erinnern, dass hier ein Balkanstaat vertreten wird. Über allem liegt Sanjas kraftvolle Stimme, die irgendwie überall zu Hause ist, und der man auch die Vorbilder Aretha Franklin und Beyoncé anhört. Alles in allem ist es nicht verwunderlich, dass der serbische TV-Sender RTS, der Sanja intern auswählte, auf diese Künstlerin setzt, obwohl die noch keinen großen Bekanntheitsgrad hat und nach eigenen Angaben eher "nicht kommerzielle Musik" macht.
Sprachtalent auf dem Sprung
Das 22-jährige Sprachtalent - Sanja spricht Arabisch, Spanisch, Italienisch, Englisch und ein bisschen Portugiesisch - für die Begegnungen mit den anderen Künstlern in Stockholm war sie also bestens gerüstet. Während Sanja im Finale zuckte, zückten nicht allzu viele Televoter das Handy - es reichte nur für den 18. Platz.