Georgien schickt Indierocker statt Solo-Ladys
Indierock beim Eurovision Song Contest! Verzerrte Gitarren, Rückkopplung - und dazu eine rein männlich besetzte Formation: 2016 schickte Georgien überraschenderweise Nika Kocharov und seine Band, die Young Georgian Lolitaz, zum ESC. Das gab‘s noch nicht von Seiten der Kaukasusrepublik. Denn die setzte seit ihrer ersten ESC-Teilnahme 2007 meist aufs gleiche Erfolgsrezept: weibliche Solo-Acts, die auch stets verlässlich auf den Rängen neun bis zwölf landeten. Getrübt wurde Georgiens gute Bilanz bislang nur durch zwei Acts, die von diesem Konzept abwichen: 2014 gingen das Musikerkollektiv The Shin & Mariko und ihr herrlich schräger Ethnojazz schon im Halbfinale unter, und das liebliche Duett Sophie & Nodi landete 2013 "nur" auf Platz 15.
Freundliche Indierocker mit Dreitagebärten
Seien wir also ehrlich: Georgiens ESC-Historie ist eine, bei der Männer bislang eher störten. Vor diesem Hintergrund war es umso mutiger, vier freundliche Indieschrammelrockjungs mit Dreitagebärten nach Stockholm zu schicken, wie es der georgische Rundfunk GPB tat, der den Kandidaten wie üblich intern bestimmte. Jedoch: Es kommt ja auf den Song an! Und bei dem hatte, neben einer Expertenjury, auch das Publikum Mitspracherecht. Via Televoting konnte es aus fünf Kompositionen wählen. And the winner was "Midnight Gold", ein gitarrenlastiger, gut produzierter Indiesong mit einem kleinen Clou: dem Rave-Part gegen Ende des Stücks, der sogar noch etwas härter daherkommt als man es Anfang der Neunziger in Manchester vormachte.
Erfolgskomponist G:son an Bord
Der kantige, aber durchaus gelungene Beitrag ist das gewesen, was dabei rauskommt, wenn beim Komponieren ein gestandener georgischer Alternative-Musiker - Kote Kalandadze - auf einen der renommiertesten ESC-Songschreiber trifft: Thomas G:Son, umtriebiger Pop-Komponist aus dem eher verschlafenen schwedischen Städtchen Skövde, ist seit Jahren eine feste Größe auf dem ESC-Parkett. 2012 in Baku gewann Loreen mit seinem Song "Euphoria", Und europaweit arbeitet G:Son jedes Jahr mit diversen ESC-Kandidaten zusammen - auch mit georgischen: Er schrieb die Songs für Sophie & Nodi 2013 und für Nina Sublatti im vergangenen Jahr. Nun also eine Indieband.
Georgische Indie-Veteranen
Und diese Band ist nicht irgendeine in Georgien. In vielen Jahren Bühnenpräsenz haben Nika Kocharov & Young Georgian Lolitaz ihren sehr eigenen Stil aus Alternative- und melodischem Indierock, New Wave und Electro-Spielereien entwickelt und drei Alben veröffentlicht. Von Beginn an dabei sind Frontmann Nika Kocharov und Gitarrist Levan Shanshiashvili. Aktuell gehören noch Bassist Giorgi Marr - schottische Wurzeln, britischer Musikgeschmack - sowie Drummer Dimitri Oganesian - Perfektionist und gelernter Designer - zur Band.
Der Bandname entstand Nika zufolge ganz zu Beginn ihrer Karriere als Parodie auf erotische Websites. "Ehrlich gesagt", so Nika Jahre später, "hätte ich gewusst, dass es die Band so lange geben würde, hätte ich einen anderen Namen gesucht".
Es begann mit einer Beatles-Coverband
Nikas Talent kommt übrigens nicht von ungefähr: Sein Vater Valeri ist ein populärer Musiker in Georgien, in den Sechzigern traten er und seine Band Blitz in der Sowjetunion höchst erfolgreich als "Beatles-Ersatz" auf. Anfang der Neunziger durfte Nika seinen Vater zum ersten Mal live auf der Bühne zu "A Hard Day's Night" begleiten - bei einer Promotour in Liverpool. Seit diesem denkwürdigen Tag, an dem er auch seine erste Gitarre geschenkt bekam, gilt Nikas Liebe der Musik. Vielleicht ist dieser Funke auch im zweiten Halbfinale in Stockholm übergesprungen. Die Herren durften jedenfalls im Finale weiterrocken. Und dort schafften die Jungs aus der Hauptstadt Tiflis trotz guter Performance einen 20. Platz.