Underdog im Rampenlicht
Der Norweger Carl Espen ist eigentlich Schreiner und Türsteher. Doch wenn er die Ballade "Silent Storm" singt, ist es, als hätte er nie etwas anderes getan. Ihm gelang Rang acht.
Die Geschichte von Carl Espen Thorbjørnsen könnte die eines Einzelkämpfers sein - die des Underdogs, der plötzlich im Rampenlicht steht: Eben noch Schreiner und Türsteher im norwegischen Bergen, jetzt beim Eurovision Song Contest auf der Showbühne. Dabei ist es eigentlich die Geschichte von zwei Menschen.
Rückblick: An einem Abend im Jahr 1998 nimmt Carl Espen bei einem Musikwettbewerb auf seiner Heimatinsel Osterøy teil. Im Publikum: seine Cousine Josefin Winther. Carl ist 16, Josefin zwölf - und mächtig stolz, als er gewinnt. Doch wie das Leben spielt: Sie selbst ist es, die später Musikerin wird, zwei erfolgreiche Alben veröffentlicht. Carl dagegen geht zum Militär, muss ins Kosovo. Danach wird er Handwerker, arbeitet mit Holz und Glas und nachts auch als Türsteher in einem Rockclub in Bergen. Jahrelang. Dass seine kleine Cousine immer kompromisslos ihrem Traum folgt, imponiert Carl. Sie wird "Norwegens PJ Harvey" genannt - er selbst lebt seine große Liebe für die Musik nicht aus.
Die Cousine des Wikingers
Bis Josefin, die inzwischen in London lebt, ihm im Sommer 2013 ein Lied schreibt: "Silent Storm", eine fragile, aber kraftvolle Ballade, eine mit Klavier und Celli und viel Seele. Josefin findet: Die Leute sollen endlich Carls Stimme hören! Und Carl weiß sofort: Das ist sein Song. Fortan sind der leise Wikinger und die toughe Künstlerin mit dem kurz rasierten Schopf auch musikalisch ein Dreamteam. Als Managerin engagieren sie Josefins Lebensgefährtin.
Carl bewirbt sich beim norwegischen ESC-Vorentscheid Melodi Grand Prix. Als der bärtige, tätowierte Hüne dort tatsächlich im Jeanshemd und mit klobigen Schuhen auf der Bühne steht und mit zerbrechlich wirkender Stimme seinen "Silent Storm" singt, erntet er einen Sturm der Begeisterung. Ist es der Kontrast aus hart und zart? Ist es der Song oder die Story? Die Norweger jedenfalls sind verliebt.
Angekommen im Hier und Jetzt
Auch in Kopenhagen wird der No-Name hoch gehandelt. Der Blick in die norwegische ESC-Geschichte zeigt: Ausgeschlossen ist das nicht. 1995 siegte das New-Age-Duo Secret Garden mit dem getragenen "Nocturne", das zudem unglaublich düster war und nur 24 gesungene Wörter enthielt. Doch die anderen norwegischen Gewinner - die Bobbysocks (1985) und Alexander Rybak (2009) - triumphierten mit deutlich schmissigeren Stücken.
Carl Espen, der Underdog, hat ohne große Schörkel in Kopenhagen einfach auf der Bühne gestanden und war mit sich im Reinen. Er hat sein Innerstes nach außen gekehrt - und den tollen achten Rang damit erreicht.