Vorentscheide: Die Suche nach dem Top-Song geht weiter
Offenbar war die anhaltende Demütigung durch Festlandseuropa selbst mit britischem Humor nicht mehr länger zu ertragen: Nach Jahren katastrophaler Platzierungen erklärte die BBC ihre Vorentscheidung zur Angelegenheit von nationaler Bedeutung und suchte unter dem pathetischen Titel "Your country needs you" den idealen Künstler, um den von Musical-Papst Sir Andrew Lloyd-Webber und Grammy-Preisträgerin Diane Warren geschriebenen Titel in Moskau würdig zum Sieg zu führen. Die Wahl fiel schließlich auf die 21-jährige Jade Ewen, die ein wenig so singt wie Whitney Houston und mit "My Time" eine hübsche, wenn auch wenig spektakuläre Musical-Ballade vorstellen wird. Ob das tatsächlich zum Sieg reicht, wird sich zeigen.
Waldo for Mr. President
Beinahe wäre Finnland zum vierten Mal in Folge von düsteren Heavy-Klängen vertreten worden, doch in der letzten Abstimmung nach drei Halbfinal- und einer Trostrunde behielten Waldos People die Oberhand. Das Projekt von Sänger Marko Reijonen (alias Waldo) feierte in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre (damals noch ohne People) zahlreiche Hitparadenerfolge in ganz Europa. Nach neun Jahren Pause hat die fünfköpfige Formation nun ein neues Album aufgenommen und mit "Lose Control" einen Beitrag hingelegt, den Dr. Alban nicht besser hätte produzieren können. Dabei hat der 41-Jährige das Musikmachen eigentlich gar nicht mehr nötig: Unter der Marke Waldos Clothing führt er zwei gutgehende Bekleidungsgeschäfte.
Achtung: Boy-Zone!
Entgegen dem allgemeinen ESC-Trend scheint man sich in Dänemark auf die Entsendung männlicher Einzelinterpreten spezialisiert zu haben. In diesem Jahr konnte der 33-jährige Niels Brinck die zahlreichen Abstimmungsduelle der Finalsendung für sich entscheiden, die an die Stelle der Halbfinalrunden des Vorjahrs gerückt waren. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit war Brinck vor allem als Komponist für andere Kollegen tätig. Als Sänger bekannt wurde er durch die Musik zu einer Krimiserie. Wer beim Hören von "Believe Again" übrigens den Eindruck hat, er würde ein Lied der irischen Gruppe Boyzone hören, irrt nicht ganz: Geschrieben wurde das Lied nämlich unter anderem von Ronan Keating.
Hopp oder Toppers
Dass die Toppers für die Niederlande an den Start gehen würden, war im vergangenen September sogar ein Thema für die Hauptnachrichtensendungen, schließlich vereint das Trio mit René Froger, Gordon und Jeroen van der Boem (der im November Gerard Joling ablöste) gleich drei der erfolgreichsten niederländischen Sänger der letzten 20 Jahre. Was für Außenstehende auf den ersten Blick an die Flippers erinnert, ist für die Niederländer die letzte große Hoffnung, sich endlich wieder für ein ESC-Finale qualifizieren zu können. Das Publikum entschied sich mit großer Mehrheit für den modernsten der sechs Beiträge und überstimmte damit die Jury, die auf balladigere Klänge gesetzt hatte. Mit "Shine" dürfte die Altherren-Boygroup in Moskau zumindest nicht gänzlich chancenlos sein.
Balkan-Beats aus Bukarest
Wie schon im Vorjahr demonstrierte die rumänische Vorentscheidung, wie die Stimmen von Fachjury und Televoting gleichberechtigt in einer Wertung zusammengeführt werden können. Hatte sich das Publikum im vergangenen Jahr noch gegen die Jury durchgesetzt, entschieden diesmal die Punkte der Juroren, wer im Mai nach Moskau fahren darf. Die Wahl fiel auf die 23-jährige Elena Gheorge, die in einer Casting-Show auf sich aufmerksam machte und mittlerweile auf flotte Dance-Rhythmen abonniert ist, die sie mit Elementen der heimischen Folklore verschmilzt. Auch "The Balkan Girls" ist ein solch ohrwurmträchtiges Werk mit mitreißenden Bläsersätzen, die nicht nur den Zuschauern der benachbarten Staaten den einen oder anderen Punkt wert sein dürften.
Slowenische Symphonie
Andrej Babic entwickelt sich neben Thomas G:son zum heißesten Anwärter auf die Nachfolge von Ralph Siegel - zumindest was die Zahl seiner Einreichungen bei nationalen Vorentscheidungen angeht. Zum zweiten Mal nach 2007 konnte der Kroate dieses Jahr das slowenische EMA-Festival für sich entscheiden, und wie schon "Cvet i juga" ist auch "Love Symphony" ein klassisch inspiriertes Stück. Quartissimo nennen sich die vier jungen Männer, die zum Teil bei den slowenischen Philharmonikern spielen. Unterstützt werden sie von der kroatischen Sängerin Martina Majerle, deren kraftvolle Stimme in diesem ursprünglich rein instrumentalen Lied mangels prägnanter Melodie kaum zur Geltung kommt. Das hätte Ralph besser gekonnt.