ESC in der Ukraine: "Eine Frage des Prestiges"
Paul Hrosul, geboren und aufgewachsen in Czernowitz in der Ukraine, lebt in Bonn und studiert Politikwissenschaften. Seit vielen Jahren ist er als Berichterstatter und Fan dem ESC verbunden, im europäischen Fanklub OGAE ist er der Vorsitzende des ukrainischen Zweigs. Der 23-Jährige war 2016 in Stockholm Mitglied des Medienteams von Siegerin Jamala. Im Interview spricht er über die Vorbereitungen der Ukraine auf den ESC 2017.
eurovision.de: Paul Hrosul, was ist bloß in der Ukraine los, dass trotz einiger Ankündigungen die Gastgeberstadt des nächstjährigen ESC noch nicht feststeht?
Paul Hrosul: Ich könnte sagen: typisch Ukraine. Es hätte mich, der nun in Deutschland lebt und Deutscher geworden ist, sehr gewundert, wenn es alles pünktlich und professionell verlaufen wäre. Aber hinter den Kulissen geht es hart zur Sache, da bin ich sicher.
Können Sie uns die Dinge hinter den Kulissen erläutern?
Hrosul: Genaueres weiß ich natürlich nicht. Es sind, soweit ich Einblick habe, Dinge, bei denen es auf alle Fälle um viel Geld geht. 2005, als der ESC erstmals in der Ukraine war, fand er ein Jahr nach der Orangenen Revolution statt. Das Geld, das für den ESC damals aufgewendet wurde, verschwand einfach in dunklen Kanälen. Aber nach Jamalas Sieg war sehr klar, dass die Ukraine es beim zweiten Mal transparenter halten würde.
Und nun stellen wir als europäisches Publikum fest: Es hatte eine öffentliche Konkurrenz von sechs Städten gegeben - aber nichts folgte daraus, kein Austausch von Argumenten für oder wider eine Stadt.
Hrosul: Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko beklagte sich auch schon in einem Interview: Das Verfahren sei nicht durchsichtig, deshalb könne man auch nicht werben.
Als es in Deutschland um den ESC 2011 ging, siegte Düsseldorf gegen Berlin, Hamburg und Hannover. Das war auch kein Verfahren in aller Öffentlichkeit, bei dem die Hauptstadt Nordrhein-Westfalens den Zuschlag erhielt.
Hrosul: Deutschland ist dezentral, in der Ukraine, das muss man einfach wissen, ist alles zentralisiert, wie in Frankreich. Auf Kiew ist alles ausgerichtet. Andere Städte, etwa Lviv, hatten keine Chancen - die wollten den ESC nicht durch private Sponsoren finanzieren, sondern vollständig durch Steuermittel. Das schied aus, weil dieses Geld aus staatlichen Kassen einfach nicht vorhanden ist oder für andere Zwecke benötigt wird. Was Klitschko aber auch sagte, war, dass die Halle, in der der ESC vor elf Jahren stattfand, für den Zeitraum des ESC schon gebucht ist. Das geht da gar nicht.
Immerhin gäbe es ja Odessa, oder?
Hrosul: Ja, und ich hörte, dass Dnipro [1926 bis 2016 Dnipropetrowsk - Anm. d. Redaktion], neben Kiew und Odessa noch im Rennen, nicht mehr hoch gehandelt wird. Odessa jedoch hat vielleicht, so sagen Ukrainer, ein Sicherheitsproblem. Immerhin lebt dort eine gewichtige russischsprachige Minderheit, dort ist man nicht gut auf Kiew zu sprechen. Prinzipiell wäre es natürlich schön, wenn der ESC - wie in Deutschland oder 2013 in Malmö - nicht in der Haupstadt eines Landes ausgerichtet würde. Europa kann doch so viele Städte kennenlernen. Odessa hat Hotels, einen Flughafen, bestimmt eine prima Infrastruktur, aber das russische Element wäre stark.
Ist der ESC in der Ukraine sicher?
Hrosul: Natürlich. Für alle, die zu Gast sein werden, auch für die russische Delegation. Aus Moskau wird gesagt, die Ukraine sei nicht sicher. Aber man glaubt am besten russischen Medien nicht. Sie wollen nicht, dass der ESC in der Ukraine ein Erfolg wird. Aber meine frühere Heimat wird es schaffen - allein schon, weil an diesem Projekt soviel Prestige hängt. Die Ukraine möchte unbedingt den ESC ausrichten, und sie werden es auch schaffen. Es soll signalisieren: Wir gehören nicht zum postsowjetischen Block, sondern zu Europa.
Wird es denn auch für schwule und lesbische Fans in der Ukraine, in welcher Stadt auch immer und anders als in Moskau 2009, ein sicherer ESC?
Hrosul: Das würde ich sagen, ja. In Odessa gibt es kein LGBTI-Lokal, in Kiew einige. Aber außerhalb der Metropolen wird es für alle, die sich zu dieser Community zählen, sehr schwierig. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.