Für Niederlande steht Duncan Laurence mit "Arcade"  auf der ESC-Bühne. © eurovision.tv Foto: Thomas Hanses

Öffentlicher Vorentscheid oder interne Auswahl?

Stand: 26.02.2024 13:33 Uhr

Den perfekten Song für den Eurovision Song Contest auszuwählen stellt die teilnehmenden Länder Jahr für Jahr vor große Herausforderungen. Interne Auswahl oder öffentlicher Vorentscheid. Was ist besser?

von Jan Borree

Es ist Ende Februar und damit die Zeit, die durch nationale Vorentscheide geprägt ist. In ganz Europa finden derzeit Wettbewerbe statt, in denen meist Zuschauer und Jurys gleichermaßen ihre Acts für den ESC wählen. Etablierte Festivals wie das "Sanremo" in Italien, immer professioneller werdende Vorentscheide wie das "UMK" in Finnland, aber auch neue Formate wie "Das deutsche Finale 2024" hierzulande. Sie alle eint dasselbe Ziel: den bestmöglichen Act des Landes auf die große Bühne nach Malmö zu schicken. Im Gegensatz dazu wählen manche Nationen aber auch Song und Künstler intern. Seit 2021 sucht beispielsweise die BBC in Großbritannien ihren Act intern aus, Griechenland seit 2018 und Zypern sogar schon seit 2016.

Wie die Sender ihre Acts wählen

Welche Möglichkeiten haben die Länder überhaupt bei der Songauswahl? Die Europäische Rundfunkunion (EBU) gibt die vollständige Verantwortung dafür an die zuständigen Sendeanstalten ab. Sie schreibt, dass jedes Land von seiner jeweiligen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt vertreten wird und diese alleine entscheidet, wer ihr Land beim ESC repräsentiert. Dennoch weist die EBU auf gängige Auswahlformate hin und "ermutigt die Rundfunkanstalten nachdrücklich, das Publikum an der Auswahl eines Teilnehmers miteinzubeziehen".

Die konkreten Auswahlprozeduren ändern sich dabei nicht nur von Land zu Land, sondern auch innerhalb eines Landes von Jahr zu Jahr. Mal stimmt nur die Jury ab, mal nur das Publikum. Mal hat das ausländische Publikum mehr Stimmanteile, mal das eigene. Mal werden die vergebenen Punkte drastische auf kleinere Summen runtergekürzt, mal prozentual berechnet und mal auch einfach nur die konkrete Anruferzahl als "Währung" genommen. Vorentscheid ist nicht gleich Vorentscheid.

ESC-Siege intern ausgewählter Künstler samt Song

Conchita Wurst singt auf der großen ESC-Bühne. © NDR/Rolf Klatt Foto: Rolf Klatt
Der ÖRF nominierte Conchita Wurst intern als ihren Act für den ESC 2014.

Trotzdem hilft die grobe Unterteilung von Vorentscheid und interner Auswahl dabei, einen Blick auf die unterschiedlichen Erfolgschancen der Formate zu werfen. In den letzten zehn Jahren gewannen lediglich zwei Künstler, die zuvor durch ihren Sender intern ausgewählt wurden: Conchita Wurst für Österreich beim ESC 2014 und Duncan Laurence für die Niederlande beim ESC 2019. Das entspricht nur 18 Prozent der Gewinner in diesem Zeitraum. 82 Prozent der ESC-Gewinner in den letzten zehn Jahren mussten sich alle zuvor einer Art öffentlicher Vorausscheidung stellen. Die Untiefen der ESC-Geschichte zeigen ein ähnliches Bild: Von den letzten 70 Gewinnern präsentierten sich 55, also 78 Prozent, zuvor in einer Art von Vorentscheid. Davon wurde siebenmal lediglich der passende Song für einen bereits feststehenden Künstler in einem Vorentscheid gesucht und zweimal - genau umgekehrt - der passende Sänger zum bereits intern ausgewählten Song ermittelt. Nur 15 Mal wurde der spätere ESC-Siegersong durch eine interne Auswahl von sowohl Lied als auch Künstler ausgewählt.

Vorentscheide für den ESC dominieren

Olly Alexander, Großbritanniens ESC-Act 2024. © EBU/BBC Foto: EBU/BBC
Seit 2020 wählt Großbritannien seinen ESC-Act intern aus. So auch dieses Jahr: Olly Alexander tritt für UK an.

Vielleicht mag es auch daran liegen, dass pro ESC-Jahrgang insgesamt weniger Songs intern bestimmt werden, als durch einen Vorentscheid. 2023 waren es beispielsweise zwölf von 37 Beiträgen. Das entspricht 32 Prozent. Dieses Jahr - das ist bereits bekannt - werden es 14 von 37 Beiträgen sein, also 37 Prozent. Und genau in diesem Rahmen pendeln sich die intern ausgewählten Songs in den letzten zehn Jahren ein: Zwischen 30 und 40 Prozent der Songs pro Jahr wurden nicht durch einen Vorentscheid gewählt. Insgesamt schicken also weniger Länder pro Jahr einen Beitrag, der intern gewählt wurde und es gewannen ebenfalls weniger intern ausgewählte Songs den ESC.

Dennoch: Daraus zu schließen, dass ein Vorentscheid zwangsläufig die bessere Wahl wäre, ist falsch. Ein Vorentscheid ist natürlich auch kein geheimes Erfolgskonzept. Dafür versuchen sich zu viele Nationen an derlei Auswahlverfahren und scheitern daraufhin dennoch beim ESC. Auch Deutschland kann ein Lied davon singen. Entscheidend für den Erfolg beim größten Musikwettbewerb der Welt ist Konstanz, Qualität und das Format eines jeweiligen Vorentscheids.

Auch intern ausgewählte Songs können überzeugen

Noa Kirel auf der Bühne in Liverpool. © EBU Foto: Corinne Cumming
Intern ausgewählt und trotzdem erfolgreich: Noa Kirel für Israel 2023.

Auch abseits eines ESC-Sieges können intern ausgewählte Acts weit vorne landen. Vergangenes Jahr wählte Israel beispielsweise Noa Kirel intern aus. Platz drei war fast schon eine Enttäuschung für die ambitionierte Sängerin - nicht wenige hatten ihr auch den Sieg zugetraut. Zur Wahrheit der 2023 intern ausgewählten Acts gehört aber auch: Nur Voyager aus Australien schafften es noch unter die besten zehn Beiträge. Die anderen intern ausgewählten Beiträge aus Zypern, Armenien, Österreich und Frankreich belegten lediglich Plätze im Mittelfeld. Die Schweiz, Slowenien und Großbritannien landeten auf Platz 20, 21 und 25. Die Bilanz der betreffenden Nationen - durchwachsen.

Manche Länder setzen vermehrt auf eine interne Wahl

Schweiz Luca Hänni "She Got Me" © imago_Images Foto: ITAR TASS
Die Schweiz wählt ihren Act seit 2019 intern aus. Das zahlte sich zunächst voll und ganz aus: Luca Hänni erreichte 2019 den vierten Platz.

Ein Jahr kann nicht stellvertretend für Erfolg oder Misserfolg eines bestimmten Auswahlverfahrens stehen. Es lohnt sich daher vielmehr auf das Abschneiden von Nationen zu blicken, die seit einiger Zeit fast ausschließlich auf eine interne Nominierung setzen. Da wäre zum einen die Schweiz. Nachdem das Land sich mit einem im Vorentscheid gewählten Act von 2015 bis 2018 nicht mehr fürs Grand Final qualifizieren konnten, ging man zur internen Auswahl über. Das hat 2019 und 2021 auch direkt hervorragend funktioniert: Luca Hännis "She Got Me" landete auf Platz vier, "Tout l’univers" von Gjon’s Tears sogar auf dem dritten Platz. Mittlerweile ist das glückliche Händchen etwas verpufft: 2022 landete die Schweiz mit Marius Bears "Boys Do Cry" auf Rang 17, 2023 schnitt Remo Forrers "Watergun" mit Platz 20 sogar noch etwas schlechter ab.

Nach bescheidenen Jahren versuchte sich auch Großbritannien an einer internen Vorauswahl. 2021 ging das noch gehörig schief: James Newmans "Embers" erhielt null Punkte. 2022 waren es für Sam Ryder dann dergleichen 466 mehr und damit Platz zwei. Schaut man auf Österreich und Zypern, die seit einiger Zeit ebenfalls vermehrt auf eine interne Auswahl setzen, lassen sich Parallelen zu Großbritannien ziehen: Österreichs Bilanz der letzten fünf Jahre ist durchwachsen. Trotzdem sprang in diesem Zeitraum für Cesár Sampson ein Platz unter den besten drei Beiträgen heraus. Noch besser lief es für Eleni Foureira und ihrem zweiten Platz für Zypern. Ähnlich wie bei den Kriterien eines guten Vorentscheids zeigt sich auch hier: Entscheidend für den Erfolg beim ESC sind Qualität und Konstanz - früher oder später zahlt es sich aus.

Fans wollen Vorentscheide

Loreen nach ihrem Sieg im schwedischen Vorentscheid 2023. © SVT Foto: Alma Bengtsson
Bevor Loreen den ESC gewann, entschied sie erst den schwedischen Vorentscheid, das "Melodifestivalen", für sich.

Ginge es nach den Fans, müsste jedes Land einen Vorentscheid durchführen. Ein über mehrere Wochen andauernder Vorentscheid lässt die ESC-Herzen schließlich höher schlagen. Außerdem macht auch gerade das Spekulieren, Mitfiebern und Favorisieren bei nationalen Vorentscheidungen mindestens genauso viel Spaß wie später beim großen ESC. Eine interne Auswahl läuft hingegen meist auf einen einzigen Tag hin. Klar, auch das hat was. Das Prozedere ist für Fans nur leider schneller vorbei. Das eine Verfahren muss dabei hingegen nicht zwingend besser als das andere sein. Weder beim Song, noch beim Ergebnis.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 02.03.2024 | 19:05 Uhr

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