Nach Raketenangriffen: ESC-Fans in Tel Aviv gefährdet?
Schon skurril: Israel erlebt den schlimmsten Gewaltausbruch seit dem Gaza-Krieg vor fünf Jahren und beim Eurovision Song Contest in Tel Aviv bekommt man kaum etwas davon mit. Und das liegt nicht allein an den Moderatoren der Pressekonferenzen, die alle Fragen nach der Sicherheitslage in Israel systematisch abbügeln. "Was? Das wusste ich noch gar nicht. Das habe ich während der Proben heute nicht mitbekommen", wird zum Beispiel die Sängerin Nevena Božović vom Blog eurovisionen.eu zitiert. Und auch ich hatte vom schweren Raketenbeschuss vor Ort nichts mitbekommen. Selbst als ich am Samstagabend in einem Shuttlebus Nachrichtenbilder von Explosionen sah, brachte ich sie nicht mit einer konkreten Bedrohung in Verbindung.
Gewaltausbruch beim ESC in Tel Aviv nicht spürbar
Erst als mich am nächsten Morgen besorgte Nachrichten in den sozialen Netzwerken und über WhatsApp erreichten, erfuhr ich von den schweren Auseinandersetzungen. Verwandte und Freunde hatten Angst, dass mir in Israel etwas zustoßen könnte. Ich habe seltsamerweise keine Angst. Im Gegenteil, ich fühle mich in Tel Aviv sogar ausgesprochen sicher. Nicht weil so viele Sicherheitskräfte in der Gegend herumstehen würden, sondern weil - während sich viele in Deutschland Sorgen machen - in Tel Aviv das ganz normale Leben weitergeht. Eine Frauengruppe macht Yoga im Park, junge Leute sitzen in Straßencafés und trinken Bier, Busfahrer fluchen über den Feierabendverkehr. Willkommen in Israel!
Leben mit der Gefahr von Angriffen und Anschlägen
Tatsächlich gehört die Bedrohung durch Raketen, Bomben und Attentäter für die Menschen hier zum Alltag. So schreibt ein User der WhatsApp-Gruppe "Tlvision - Like A Local", die ESC-Touristen bei Fragen und Problemen weiterhilft: "Es klingt vielleicht zynisch, aber so sieht unser Leben mit der terroristischen Bedrohung aus. Gleichzeitig fühlen wir uns so sicher wie an keinem anderen Ort der Welt, denn wir haben so viel Erfahrung damit, wir vertrauen unseren Streitkräften und wir verfügen über die beste Technologie, um uns zu schützen." Auch Wiwiblogger William Lee Adams erklärte in einem Interview: "Ich vertraue der israelischen Armee, der Raketenschutzschirm ist sicher." Mithilfe des Raketenabwehrsystems "Iron Dome" konnten in den vergangenen Tagen zahllose Angriffe abgewehrt werden.
Schutzmaßnahmen nach Waffenruhe aufgehoben
Die 25-jährige Noa Lavie aus Tel Aviv sieht das Ganze etwas kritischer: "Als Israelin versetzt mich die Situation nicht in Angst, aber objektiv gesehen ist jetzt nicht wirklich der ideale Zeitpunkt, um nach Tel Aviv zu reisen. Es ist diesmal bedrohlicher als sonst, denn vier Israelis sind bei den Angriffen gestorben. Meine Familie lebt im Süden des Landes und kann den Schutzbunker nicht verlassen." Mittlerweile ist zwar wieder Waffenruhe eingekehrt und das Militär hat die Schutzmaßnahmen aufgehoben, aber das eigentliche Problem ist damit längst nicht gelöst, wie Roy Yellin vom Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories, B'Tselem, erklärt: "Die Leute in Gaza verfolgen den ESC und möchten die Welt daran erinnern, dass sie in einer humanitären Notlage sind, während in Tel Aviv alle Party machen und sich amüsieren."
Müssen sich ESC-Besucher um Sicherheit sorgen?
Dass dieses Thema bei einem derart medienwirksamen Ereignis wie dem Eurovision Song Contest eine Rolle spielt, dürfte niemanden verwundern. Israel möchte den Wettbewerb nutzen, um sich als perfekter touristischer Gastgeber zu präsentieren. Die radikal-islamische Hamas will den Israelis die Suppe versalzen und das Event nutzen, um auf die palästinensische Sache hinzuweisen. Es ist davon auszugehen, dass die Gewalteskalation dazu dienen sollte, kurz vor dem ESC Zugeständnisse von der israelischen Regierung zu erpressen. Denn eines ist klar: Die Hamas wird nicht so dumm sein, die Weltöffentlichkeit gegen sich aufzubringen, indem sie europäische ESC-Touristen in Gefahr bringt.