Liverpool: Hexenkessel zwischen Krönung und Eurovision
Etwas ist anders in Liverpool - das spürt man sogar, wenn man zum allerersten Mal in die Stadt kommt. Eine unbestimmte Vorfreude hängt in der Luft, eine Ahnung von Festlichkeit und Partystimmung.
Am 6. Mai wird Charles III. offiziell zum König gekrönt und in den Auslagen der Geschäfte stapeln sich Souvenirs, Devotionalien und allerlei Krimskrams, um den einmaligen Anlass mit Krönungstischdecken, -pappbechern und -servietten gebührend zu feiern.
Doch halt: Es sind nicht alleine die bevorstehenden Krönungsfeierlichkeiten, auf die Liverpool hinfiebert. Tatsächlich wird das royale Ereignis von einem anderen Event richtiggehend erdrückt. Denn wenn Liverpool in diesen Tagen eines ist, dann vor allem Gastgeber des Eurovision Song Contests 2023.
Dem ESC entgehen? Unmöglich!
Selbst wer vom 50 Kilometer entfernten Manchester anreist, wird bereits am dortigen Flughafen darauf eingeschworen, dass am River Mersey in wenigen Tagen das größte Musikfest der Welt stattfindet.
Schon vor Beginn der Proben ist die ganze Stadt festlich dekoriert, das diesjährige Logo des Events prangt an allen Fassaden, Shopping-Malls haben sich mit den Flaggen der 37 Teilnehmerländer geschmückt, Schaufensterscheiben heißen die Besucher in den Auslagen herzlich willkommen. Dem Eurovision Song Contest in diesen Tagen zu entgehen, ist schlichtweg unmöglich! Und die Vorbereitungen für die erwarteten Gäste aus dem In- und Ausland sind vielerorts noch nicht einmal abgeschlossen.
Bescheidene Gastgeber aus Solidarität mit Ukraine
Liverpool freut sich auf den ESC, und doch teilt die Stadt in aller Bescheidenheit ihre Gastgeberrolle mit der Ukraine, der nach dem Sieg des Kalush Orchestra eigentlich die Ehre gebührt hätte, den Wettbewerb auszurichten. Blau und gelb leuchten Luftballonketten in den Restaurants und Hotels der Stadt, Schriftzüge weisen auf Angebote hin, die sich speziell an die ukrainischen Gäste richten, vor allem aber verbreiten überdimensionale Nachtigallen, die rund um das Royal Albert Dock aufgebaut wurden, ukrainisches Flair.
In den Sound of Liverpool zwischen Penny Lane und Strawberry Fields mischen sich nämlich im Rahmen des "Soloveiko-Songbird"-Kunstprojekts mystische Klänge aus verschiedenen Regionen der Ukraine, die auf Knopfdruck abgespielt werden können - woran vor allem die Kinder ihre Freude haben.
Von Karaoke bis Table-Quizzes - Partys for everybody
Überhaupt ist die City of Music Liverpool in diesen Tagen ein eurovisionärer Hexenkessel. Fans werden sich vor lauter Angeboten kaum zu retten wissen, denn neben den traditionellen Feier-Locations wie dem Euro-Club bieten zahllose Kneipen und Clubs Eurovision-Specials vom Karaoke-Singen bis zur Dragshow an - und hoffen mit eigenen Public Viewings, Table-Quizzes und Partys den eigenen Umsatz kräftig anzukurbeln. Selbst für Theater- und Opernfreunde gibt es Möglichkeiten, ihre Leidenschaft mit einem Hauch von ESC zu verbinden.
Und wer sich an der riesigen Shopping-Mall Liverpool One einfach nur in die Sonne setzen möchte, um ein Eis zu schlecken, bekommt dazu ein Gratis-Konzert am Klavier - den einen oder anderen ESC-Evergreen inklusive.
Umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen
Wer sich allerdings genauer umschaut, merkt rasch, dass das fröhliche Fest auch ein Hochrisikoevent ist. Rund um Pier Head, wo aktuell das Eurovision Village aufgebaut wird, lassen massive Absperrungen erahnen, welche umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Besucherinnen und Besucher getroffen werden.
Der ohnehin oft nur zäh fließende Liverpooler Straßenverkehr wird durch großräumige Absperrungen an neuralgischen Punkten weiter eingeschränkt. Und auf den Reklametafeln wird die Bevölkerung in regelmäßigen Abständen dazu aufgerufen, verdächtige Dinge und Personen der Polizei zu melden, denn es ist den Verantwortlichen sehr wohl bewusst, dass nicht alle an einem Erfolg der ukrainisch-britischen Party interessiert sind.
Liverpool präsentiert sich als stolzer Gastgeber
Darunter hat im Augenblick unter anderem die British Music Experience zu leiden, ein Museum, das der britischen Musikgeschichte gewidmet ist und wegen der Baumaßnahmen für das Eurovision Village aktuell nur schwer zu erreichen ist.
Besucher-Guide Paul Britton zeigt Verständnis: "Die Sicherheit wird sehr großgeschrieben, wie man das für ein solches Event auch erwartet." Er hat große Erwartungen an die Zahl der Besucher - ebenso wie Designerin Katherine Caldwell, die ihr kleines Geschäft am Royal Albert Dock mit liebevoll selbstgestalteten Figuren von Sam Ryder und Verka Serduchka dekoriert hat und angesichts des erwarteten Besucherandrangs auf prall gefüllte Lager blickt: "Wir haben für den ESC extra mit lokalen und europäischen Designern zusammengearbeitet, um den Besuchern etwas ganz Besonderes präsentieren zu können", strahlt sie. Sie ist bereit für den ESC und eine stolze Gastgeberin - wie ganz Liverpool.