Fab Four, Fußball und der Hafen - die ESC-Stadt Liverpool
Rund eine halbe Million Menschen leben in Liverpool, der drittgrößten Stadt Englands. Während des ESC 2023 werden Tausende Besucher die Stadt entdecken, die vor allem ein großes musikalisches Erbe hat.
Liverpool ist Partnerstadt des ukrainischen Odessa und hat die Ukraine auch in der eigenen ESC-Bewerbung sehr in den Fokus gerückt. Das dürfte ein entscheidendes Argument gewesen sein, den Eurovision Song Contest 2023, der nicht in der Ukraine stattfinden kann, in Liverpool auszutragen. Liverpool selbst blickt auf eine über 800-jährige Geschichte zurück. Doch bis ins 16. Jahrhundert hinein lebten nur wenige Hundert Einwohner in Liverpool, die Stadt am Ufer des Flusses Mersey hatte keine überregionale Relevanz.
Profit durch den Sklavenhandel bis ins 19. Jahrhundert
Mit zunehmendem Handel wurde die Stadt größer. Unrühmliche Grundlage für Liverpools Bedeutung als Handels- und Hafenstadt war der Sklavenhandel. Um 1800 wurden dort so viele versklavte Menschen verkauft wie nirgends sonst auf der Welt. In Liverpool starteten auch Auswandererschiffe nach Australien oder in die USA, genauso wie Exportschiffe. Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs die Population in Liverpool weiter besonders durch Iren, die in Folge der großen Hungersnot nach England flüchteten. Bis heute gibt es dort eine große irische Gemeinde.
Liverpool wächst und fällt mit dem Hafen
Dadurch, dass der Fluss Mersey in die Irische See und somit weiter zum Atlantik führt, konnte Liverpool mithilfe seines Hafens zu einer bedeutenden Stadt werden. 1715 wurde mit dem Bau der Hafendocks begonnen. Heute erstreckt sich der Hafen über insgesamt zwölf Kilometer. Im 19. Jahrhundert hatte die Stadt im Nordwesten Englands den zweitwichtigsten Hafen im britischen Kolonialreich. Doch mit dessen Ende war auch die Bedeutung von Liverpool dahin, denn die Stadt hatte bei der industriellen Entwicklung ausschließlich auf den Hafen gesetzt. Spätestens in den 1970er-Jahren nahm Liverpools Bedeutung als Hafenstadt ab. In den 1980er-Jahren schrieb das Gelände nur noch rote Zahlen und begann zu verfallen. Bis heute zählt Liverpool zu den ärmsten Städten des Vereinigten Königreichs.
Von 2004 bis 2021 gehörte der Hafen zum Weltkulturerbe der UNESCO. Doch wegen des noch immer andauernden Zerfalls und Bauprojekten wie eines neuen Fußballstadions für den FC Everton am Mersey-Ufer, wurde dem Hafen dieser Status aberkannt. In den Docks befinden sich mittlerweile auch mehrere kulturelle Stätten und Museen. Ohnehin hat Liverpool heute die zweitmeisten Museen, Galerien und Parks in Großbritannien - hinter London. Auch als Drehort ist die Stadt beliebt: Diverse Filme wie "Captain America: The First Avenger", "Jagd auf Roter Oktober" und "Harry Potter" wurden hier gedreht.
Die Beatles prägen die Musikwelt - und Liverpool
Eines der vielen Liverpooler Museen befindet sich in den Albert Docks und ist den berühmtesten Söhnen der Stadt gewidmet. Im Jahr 1960 gründeten die Musiker John Lennon, Paul McCartney und George Harrison die Beatles. Anfangs waren noch mehrere andere Musiker Teil der Band, ab 1962 war Ringo Starr festes viertes Mitglied. Ihr erstes Konzert unter dem Namen "The Beatles" spielte die Gruppe im August 1960 auf der Hamburger Reeperbahn, danach traten sie noch Hunderte Male in ihrer Heimatstadt Liverpool auf. Mit "I Want To Hold Your Hand" gelang ihnen 1963 der weltweite Durchbruch.
Bis heute sind die Beatles die erfolgreichste Band der Musikgeschichte. Sie haben eine ganze Reihe an Rekorden aufgestellt und die Musikindustrie - wie auch ihre Heimatstadt - nachhaltig geprägt. In Liverpool sieht man eine Statue der "Fab Four" am Pier Head, wo 2023 auch das Eurovision Village entstehen soll. Ein großes Modell einer "Yellow Submarine" steht direkt am Liverpooler Flughafen. Und nachdem die Straßenschilder der "Penny Lane" immer wieder gestohlen wurden, werden sie größtenteils nur noch aufgemalt.
Weltweit bekannt: Der "Cavern Club" und seine Stars
Doch nicht nur die Beatles tragen zu der Bedeutung Liverpools für die Musikgeschichte bei. 1957 öffnete der später legendäre Rock-'n'-Roll-Nachtclub "Cavern Club", der einem Pariser Jazzkeller nachempfunden wurde. Er gehört zu den berühmtesten Clubs der Welt. Nicht nur die Beatles traten hier auf, sondern auch etwa die Rolling Stones, Queen, Black Sabbath und Elton John. Aus Liverpool stammen zudem Musiker wie die New-Wave-Bands O.M.D. ("Maid Of Orleans"), Frankie Goes To Hollywood ("Relax"), und die Gruppe Lightning Seeds ("Three Lions / Football's Coming Home"). Liverpool ist UNESCO City of Music. Es gibt ein Sinfonieorchester und ein Festival, an dem jedes Jahr Songs der Beatles von diversen Künstlern interpretiert werden. In Liverpool entstand die Musikzeitschrift "Mersey Beat", die Namensgeber für den Sound aus dieser Gegend werden sollte. Eine der größten Figuren der damaligen Musikszene war der 1967 verstorbene Geschäftsmann Brian Epstein, der unter anderem Manager der Beatles und der Gruppe Gerry And The Pacemakers war.
Der FC Liverpool als Wiege der Fußball-Fankultur
Einer der Songs dieser Band eroberte von Liverpool aus die Fußballstadien in aller Welt: "You'll Never Walk Alone", ursprünglich ein 1945 erschienener Musicalsong, wurde in der Coverversion von Garry And The Pacemakers 1963 zum Hit. Vor jedem Heimspiel des FC Liverpool im Stadion an der Anfield Road wird der Titel von den Fans gesungen und ziert mittlerweile auch das Vereinswappen des Clubs. An der Anfield Road treffen also gewissermaßen die zwei großen Liverpooler Interessen Musik und Fußball aufeinander. Das Stadion gilt als Wiege der Fankultur. Der Legende nach ist hier 1967 bei dichtem Nebel der erste Fangesang entstanden: Fans an einem Ende des Stadions konnten das Tor auf der anderen Seite nicht erkennen. Aber es war klar, dass ein Tor gefallen war. Daraufhin rief ein mehrstimmiger Chor quer durchs Stadion, wer denn der Torschütze gewesen sei: "Who scored the goal?" - das andere Ende antwortete.
Seit 2015 ist der ehemalige Dortmund-Trainer Jürgen Klopp in Diensten des FC Liverpool und gewann mit dem Verein unter anderem die englische Meisterschaft und die Champions League. Auf einer Pressekonferenz wurde er auf den ESC angesprochen. "Traditionell sind wir da sehr schlecht in Deutschland. Aber wir gucken es immer noch", antwortete er. "Du weißt, du bekommst null Punkte aus Österreich, aber es ist in Deutschland sehr beliebt, das zu sehen. Als ich in Dortmund war, haben wir es immer im Teamhotel in der Nacht vor dem nächsten Spiel gesehen."
Direkte Anreise aus Deutschland schwierig
Neben "You'll Never Walk Alone" ertönt auch ein anderes Lied von Gerry And The Pacemakers ständig in der Stadt. "Ferry Cross The Mersey" ist ein Liebeslied an Liverpool. Es geht um die Fähre, die die Städte Liverpool und Birkenhead verbindet, die am Mersey-Ufer gegenüber liegen. Jedes Mal, wenn die Fähre ablegt, wird der Song gespielt. Fährverbindungen aus Liverpool oder der Umgebung gibt es außerdem nach Belfast, zur Isle of Man und Dublin. Die irische ESC-Delegation könnte also durchaus per Schiff anreisen. Die Fahrt dauert 7,5 Stunden. Südlich der Stadt liegt der John Lennon Airport. Dort landen aber aktuell keine Direktflüge etwa aus Deutschland.
Viele Delegationen und Fans werden sicherlich über den größeren Manchester Airport anreisen, der 50 Minuten Fahrt von Liverpool entfernt ist. Dieser wird von diversen deutschen Städten aus direkt bedient. Auch viele Mitarbeiter der BBC werden diesen Weg bis zum nächsten Mai wohl häufiger auf sich nehmen, so sitzt die ESC-Redaktion der BBC mittlerweile in Salford im Großraum Manchester. Neben der Fähre gibt es auch drei Tunnel unterhalb des Mersey, die Liverpool und Birkenhead verbinden. In Liverpool selbst gibt es ein Busnetz und eine "Merseyrail" genannte S-Bahn. Fans, die sich erst einen schönen Tag im Eurovision Village machen und danach eine Show in der M&S Bank Arena sehen wollen, sind darauf allerdings nicht angewiesen. Beide Hauptstandorte des ESC 2023 trennt nur ein zehnminütiger Fußweg am Mersey. Und vielleicht hört man aus der Ferne Musik.