Kleine Überraschungen beim ersten Halbfinale
Aller Anfang ist - dunkel. Das erste Halbfinale des Eurovision Song Contest 2009 in Moskau begann so, wie man sich gemeinhin die russische Seele vorstellt: schwermütig, tiefstimmig, getragen - und mit russischen Märchen in einer abgedunkelten Halle. Dann aber ward es Licht: Ein Feuervogel schwang sich in die Lüfte - auf seinem Rücken: die Tolmachevy Zwillinge. Die beiden russischen Mädchen sind die Gewinnerinnen des ESC-Jugendwettbewerbs 2006, der in Bukarest stattfand. Die Mädchen brachten einen Schlüssel, mit dem ein Baum geöffnet wurde, aus dem die Flaggen aller teilnehmenden Länder als leuchtende Luftballons flatterten - ein schönes Bild.
Ralph Siegels Titel musste als Erster ran
Die Moderatoren, das Ex-Model Natalia Vodianova und TV-Moderator Andrei Malakhov, eröffneten anschließend offiziell den Eurovision Song Contest 2009 in Moskau - anfangs etwas stotternd, dann ging es mit lautem Gebrüll auch schon los. Nach der Abstimmung durch Jurys und Televoter nervten die beiden zwar ein wenig mit stark überzogener Begeisterung beim Drücken des "Magic-Buttons", aber insgesamt führten sie ansonsten souverän durch die gut organisierte Sendung.
Eröffnet wurde das erste Halbfinale von der 23-jährigen Andrea Demirovic aus Montenegro mit ihrem von Ralph Siegel komponierten Popsong "Just Get Out Of My Live". Sehr freizügig, in einem extrem knappen Paillettenkleid, ließ sie sich von einem jungen Mann betanzen, den sie schließlich buchstäblich aus ihrem Leben wirft. Musikalisch eine typische Siegel-Nummer, eingängiger Euro-Pop ohne besonderes Flair. Am Ende reichte es nicht fürs Finale.
Super-Gipsy und der wahre Elvis
Schräg und erfrischend selbstironisch der Auftritt von Gipsy.cz aus Tschechien: Als eine Mischung aus Superhero, Comic-Held und Freddy Mercury tanzte Radoslav "Gipsy" Banga über die Bühne. Im quietschroten Supermannkostüm, mit den Initialien SG für "Supergipsy", sprang und flatterte er über die Bühne und sang den Balkanpop-Titel "Aven Romale", ein Crossover aus Queens "Bohemian Rapsody" und Balkanpop. Für das Finale reichte es leider nicht.
Elvis lebt - das zumindest könnte man denken, wenn man den belgischen Teilnehmer Patrick Ouchène sieht und vor allem hört. Mit seinem Song "Copycat" (englisch für Nachahmer, Trittbrettfahrer) wollte er den Rockabilly europaweit populär machen. Doch die Stimme war zu dünn und ließ keinen Zweifel, dass der wahre King of Rock 'n' Roll eben doch nicht aus Belgien kommt - Aus nach dem Halbfinale.
Der blonde Prinz und die nordische Diva
Orkanartige Windböen und grüne Neon-Blitze begleiteten den Auftriit von Weißrusslands Kandidaten Petr Elfimov. Ganz in weiß, mit halb geöffnetem Hemd und halblangem blonden Wallehaar trug er seinen Song "Eyes That Never Lie" souverän vor. Allein, es half alles nichts: Zuschauer und Jury entschieden gegen ihn.
Der schwedische Song "La voix", also die Stimme, passt perfekt zur Interpretin Malena Ernman. So war ihr ganz in gleißendes Licht getauchter Auftritt auch eine beeindruckende Vorstellung ihres überragenden Könnens. Gemeinsam mit ihren dunkel gekleideten und hinter Glitzermasken verborgenen Backgroundsängerinnen legte sie einen fulminanten Auftritt hin und ersang sich souverän die Teilnahme am Finale.
Oriental-Sound und 80er-Look
Bollywood in Moskau: Das Schwesternduo Inga (27) und Anush (29) startete mit viel Nebel und tanzte dann auf einem tortenähnlichen Podest, umringt von Tänzerinnen in folkloristischen Kostümen aus nachtblauem Samt. Eine Show mit grünem Laser gab einen zusätzlichen Farbeffekt. Der Beitrag "Jan Jan" heißt zu Deutsch in etwa "Mein Schatz". Nach einem folkloristischen Intro mit orientalischen Klängen entwickelte sich der Song zu einer mitreißenden Tanznummer, die sofort in die Beine und ins Ohr ging. Inga und Anush haben für ihren Song, der auch unter dem Namen "Nor Par" (zu Deutsch "Neuer Tanz") erschienen ist, eigene Tanzschritte entwickeln lassen. Und es hat sich gelohnt, denn die Schwestern dürfen am Samstag nochmal im Finale auftreten.
Ein bisschen Madonna-Look der 1980er, ein bisschen Vanessa Paradis in der Stimme und Syntheziser-Rhythmen im Hintergrund - Susanne Georgis Auftritt für Andorra surfte mit Aussehen und Song voll auf der 80er-Retrowelle. Doch ihr Auftritt vor bunter Bühne im Zauberwürfel-Look wirkte etwas zu einfach konzipiert, ihre Begleiterinnen mit den als modisches Accessoire umgehängten weißen Edel-Gitarren schienen amateurhaft. Vielleicht war die fehlende Leidenschaft ausschlaggebend für die Televoter, jedenfalls reichte es nicht fürs Finale.
Schweizer Käfer und die türkische Britney
Sowohl passend zu ihrem Heimatland als auch zu ihrem Titel "The Highest Heights" absolvierten die Lovebugs aus der Schweiz ihren Halbfinalsauftritt vor Alpenfototapeten-Kulisse. Ob es nun an einer Erkältung lag oder an der Nervosität - Frontman Sieber träumte nach eigenen Angaben schon seit Jahren davon, einmal beim Eurovision Song Contest dabei zu sein - die Stimme des Sängers klang dünn, der Song konnte nicht überzeugen. Der Versuch, das Publikum zum mitklatschen zu motivieren, scheiterte folgerichtig ebenso kläglich wie die Finalteilnahme.
Die belgische Türkin Hadise zeigte deutlich, für welches Land sie antritt: Sie tanzte mit ihren Mädels im roten Bauchtanzdress über die Bühne und ließ die Hüfte gekonnt im Rhythmus von "Düm Tek Tek" zucken und kreisen - so stellt man sich Tänzerinnen aus 1001 Nacht vor. Am Ende der wilden und erotischen Tanznummer, begleitet auch von männlichen Tänzern und Feuereffekten, verknoten sich die Akteure zum finalen Menschenknäuel. Leider klang ihre Stimme etwas rauh und belegt, aber die Choreografie saß immerhin und das Publikum feierte die Favoritin frenetisch. So überraschte es auch niemanden, dass sie ins Finale einzog.
Zwei Friedensengel und ein Ritter
Zum ersten Mal trat mit Noa und Mira Awad ein jüdisch-arabisches Duo für Israel an. Ihren Friedenssong "There Must Be Another Way" trugen sie voll getragenem Ernst vor und trommelten am Ende des Titels noch kräftig auf Blechdosen für ihr Anliegen. Mit Erfolg: Die beiden sympathischen Israelinnen lösten ihr Finalticket.
Mit einer Mischung aus mittelalterlicher Ritter-Show, treibenden Beats und Krassimir Avramovs sphärischen Obertongesang ging Bulgarien ins Rennen. Im Hintergrund staksten Stelzentänzer über die Bühne, im Vorderrgund dominierte die pathetische Mittelaltershow Krassimirs und seiner Partnerinnen. Dazu gab's jede Menge Feuerschein und kreisende Zahnräder. Doch ohne eine eingängigen Song kann auch eine imposante Bühnenshow nichts mehr retten. Finaleinzug verpasst.
Die Eisprinzessin und die Rock-Zwillinge
Auftsteigende Nebelschwaden, eine wallende Wolkenlandschaft, durch die ein Delphin gleitet, und mitten drin in einem blauen Ballkleid Islands Eisprinzessin Yohanna - romantischer gings nimmer. Eine wunderschöne Nummer, gefühlvoll und sicher vorgetragen von der erst 18-jährigen Sängerin - nur das Kleid eine Spur zu bieder. Riesenjubel im Saal, als Island als letzter Kandidat für das Finale vorgelesen wurde - eine echte Überraschung.
Einen rockigen Auftritt in bester Bon-Jovi-Manier lieferten die Zwillinge Martin und Stefan Filipovski als Duo Next Time ab. Souverän runtergespielt und mit reichlich Haargeschüttel garniert, wirkte der Song unter den poppigen und folkloristischen ESC-Titeln doch etwas deplatziert. Folgerichtig konnten sich die jungen Rockmusiker aus Mazedonien auch nicht fürs Finale qualifizieren.
Müde Balkangirls und finnischer Hip-Hop
So geht es auch: Auf einem steinernen Thron sitzend legte Elena mit dünner Stimme los, bevor sie mit ihren Balkangirls das lange Tanzbein schwang. Etwas farblos und wenig spektakulär präsentierte die 24-Jährige ihren Dancepop-Song "The Balkan Girls". Es hat gereicht, auch Elena ist für Rumänien im Finale dabei.
Mit einer Mischung aus Hip-Hop und Eurodance-Song stürmten Waldo’s People aus Finnland die Bühne. Die Feuertonne aus dem offiziellen Musik-Video hat der 42-jährige Marko Reijonen alias Waldo gleich mit nach Moskau gebracht, dazu hat er sich noch Feuer-Jongleure geholt und die Tänzerinnen in kürzeste Mini-Röckchen gezwängt. "Lose Control", so der Titel, war stimmlich allerdings etwas schwach, gereicht hat es dennoch: Finnland ist überraschend im Finale dabei.
Portugals Blumenkinder und Maltas Stimme
Portugiesische Musik wird ja gerne mal mit manisch Depressivem und tiefer Traurigkeit in Verbindung gebracht - dafür ist Fado bekannt. Dass es aber auch anders geht, zeigte die Folklore-Gruppe Flor De Lis und ihre junge Sängerin Daniela Varela mit ihrem Titel "Todas As Ruas Do Amor" ("Alle Wege der Liebe"). Ein bunter Fächer im Hintergrund, ein Hauch von 70er Jahre Hippie-Ästhetik und eine Prise Karneval - man fragte sich, ob man vielleicht doch in Rio gelandet ist? Mit glockenheller und kraftvoller Stimme führte Sängerin Daniela Varela durch den Song und brachte das Publikum in der Halle sogar zum Mitklatschen. Schön, dass die Televoter und Jurys sich ebenfalls mitreißen ließen und Portugal ins Finale wählten.
Chiara stand bei ihrem dritten Anlauf beim Grand Prix in einem schlichten schwarzen Kleid auf der Bühne und beamte das Publikum ins Weltall. Kleine Lichtpunkte, die an Sterne und Weltraum erinnern, schwebten über die Screens. Mit fester und hochdramatischer Stimme sang die 36-Jährige, die von ihren Fans ehrfürchtig "The Voice" genannt wird, ihre gefühlvolle Ballade "What If We" für Malta. Sie zeigte nur eine minimale Show, aber ganz große Gefühle. Und das kam genau richtig an, wie ihr Platz im Finale zeigt.
Verliebte Revoluzzer und Militärchor zur Pause
Die in Moskau mittlerweile hoch favorisierte Gruppe Regina aus Bosnien-Herzegowina trat ganz in Weiß und mit uniformähnlichen Kostümen vor roter Bühne auf. Die Rockband setzte auf eine kommunistisch anmutende Militär-Ästhetik. Rote Fahnen und Kriegerdenkmal-Pose - so kehrt der Sowjetstil zurück nach Moskau. Den Look begründeten Regina mit der Aussage, dass es sich bei "Bistra Voda" um ein revolutionäres Liebeslied handelt. Der Song hat offenbar auch international die Menschen bewegt: Bosnien-Herzegowina steht im Finale.
Beeindruckend auch das Pausenprogramm des russischen Fernsehens, das sich mit dem legendären Alexandrow Ensemble, dem weltberühmten Chor der Roten Armee, schwer ins Zeug legte. Zahlreiche Künstler und Artisten stießen auf der Bühne dazu und steigerten den Auftritt zu einer bunten Reise durch die russische Musik. Als Höhepunkt erschienen schließlich die beiden Sängerinnen von t.A.T.u, die ESC-Heldinnen von Riga 2003, wo sie im Vorfeld für einige Skandälchen sorgten und am Ende den beachtlichen dritten Platz ergatterten. Insgesamt ein perfekter Semifinal-Abend beim Eurovision Song Contest, mit super Stimmung bei Teilnehmern und Publikum, ohne Pannen und am Ende mit einigen überraschenden Finalisten.