Festival "Cerbul de Aur" mit viel ESC-Prominenz
Man stelle sich einmal vor: Mitten in Europa findet ein internationales Festival mit Künstlern aus aller Welt statt, darunter zahlreiche ehemalige ESC-Teilnehmer, aber auch Stars wie Amy MacDonald und James Blunt - und kaum einer weiß davon! Zumindest hier in Deutschland ist das Festival "Cerbul de Aur" (Goldener Hirsch) weitgehend unbekannt. Dabei zählte es einst zu den wichtigsten musikalischen Großereignissen Europas. Zum 50-jährigen Jubiläum hat das rumänische Fernsehen TVR sein einstiges Unterhaltungsflaggschiff wieder in Fahrt gebracht - mit mehr Show, Unterhaltung und Glamour als je zuvor.
Viele ESC-Teilnehmer auf der Bühne
Fünf Tage lang, vom 29. August bis zum 2. September, stand die transsilvanische Stadt Braşov ganz im Zeichen des Goldenen Hirschen. Mitten auf dem Marktplatz hatte man die größte Bühne Rumäniens errichtet. Darüber thronte das 51-köpfige Festivalorchester, das die Performances der Wettbewerbsteilnehmer live begleitete. Jeder Künstler musste zwei Beiträge vorstellen, einen eigenen und einen in rumänischer Sprache, wodurch auch zahlreiche rumänische ESC- und Vorentscheidungsbeiträge zu neuen Ehren kamen. Eine siebenköpfige Festivaljury (mit den ehemaligen ESC-Siegern Gigliola Cinquetti(1964) und Edvin Marton (gemeinsam mit Dima Bilan 2008) sowie den ESC-Teilnehmern Eleni Foureira (2018) und Arsenium (2006) vergab am vierten Festivalabend den Goldenen Hirschen sowie einen ersten, zweiten und dritten Preis.
Preise ohne Ende
Glückliche Gewinnerin des Goldenen Hirschen wurde die Albanerin Inis Neziri, die beim letztjährigen Festivali i Këngës unglückliche Zweite hinter Eugent Bushpepa geworden war und nun auf eine zweite Chance beim ESC hofft. Daneben wurden auch ein Publikums- und ein Pressepreis (dieser als kleiner Trost für Ovidiu Anton und seinen Song "Moment of Silence", der beim ESC 2016 in Stockholm nicht an den Start gehen durfte), ein Preis des rumänischen Fernsehens (Lidia Isac aus Moldau) sowie zwei Sonderpreise des Landkreises und der Stadt Braşov verliehen. Letzteren erhielt Ryan O'Shaughnessy, der unter anderem mit seinem ESC-Titel "Together" an den Start gegangen war. Als einziger Eurovisions-Veteran ohne Preis blieb John Karayiannis, der die Jury mit seiner Swing-Version des ESC-Klassikers "Diggi-loo, diggi-ley" nicht überzeugen konnte.
Schaufenster des "freien Rumäniens"
Im Stadtmuseum von Braşov informierte eine Ausstellung über die 50-jährige Geschichte des prestigeträchtigen Festivals: Diktator Nicolae Ceauşescu wollte mit einer Großveranstaltung nach dem Vorbild des Sanremo-Festivals der Welt zeigen, dass Rumänien ein "freies Land" sei. Stars aus aller Welt folgten seiner Einladung, von Amália Rodrigues über Cliff Richard bis zu Udo Jürgens und Dalida. Daneben kamen viele junge Nachwuchstalente nach Rumänien, die erst dabei waren, sich einen Namen zu machen und sich dem Wettbewerb stellten. Für Deutschland konkurrierten unter anderem Roy Black, Renate Kern und Dagmar Frederic um den Goldenen Hirschen sowie zahllose ehemalige und spätere ESC-Teilnehmer, von Julio Iglesias(Spanien) über Jacques Hustin (Belgien) bis zu Guy Mardel (Frankreich).
Wiedergeburt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs
Vier Jahre lang, 1968 bis 1971, zählte das Festival "Cerbul de Aur" zu den ganz großen internationalen Musikevents und war ein wichtiges Sprungbrett für junge Talente. Dann verhieß das "Ostfestival mit dem Anspruch eines Westfestivals" wohl doch ein wenig zu viel Freiheit für den Diktator und wurde sang- und klanglos eingestellt. Erst 1992, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, wurde die Idee wiederbelebt und der Goldene Hirsch wieder an talentierte Künstler aus Rumänien und der ganzen Welt verliehen. Das Konzept blieb gleich und die Namen der Gaststars klangvoll: Patricia Kaas, Kylie Minogue, Tom Jones, Diana Ross … Aus dem Wettbewerb gingen viele rumänische Stars hervor, unter anderem die späteren ESC-Teilnehmer Monica Anghel (1996, 2002), Mălina Olinescu (1998) und Paula Seling & Ovi (2010, 2014).
Relaunch zum 50-jährigen Jubiläum
2009 wurde das Festival dann zum Opfer der chronischen Geldknappheit des rumänischen Fernsehens. Die Bewohner von Braşov, die ihr Open-Air-Event über viele Jahre tief ins Herz geschlossen hatten und selbst bei strömendem Regen bis spät in die Nacht vor der Bühne ausharrten, waren untröstlich. 2018 kam dann aber die Erlösung in Gestalt eines Doppeljubiläums: Zum einen das 50-jährige Bestehen des Festivals und zum anderen - und aus politischer Sicht wohl noch wichtiger - 100 Jahre rumänische Einheit. Das ermöglichte dem rumänischen Fernsehen, die erforderlichen Mittel loszueisen, um den "Cerbul de Aur" größer und schöner als je zuvor wiederauferstehen zu lassen. Nach dem erfolgreichen Relaunch ist zu erwarten, dass das Festival auch 2019 fortgeführt wird.