Thomas Schreiber: "Springt ein Funke über - oder nicht?"
Thomas Schreiber, ARD Koordinator Unterhaltung und seit 2008 im NDR für den Eurovision Song Contest verantwortlich, ist einer der Initiatoren des Song Writing Camps für den deutschen ESC-Vorentscheid. Michael Schulte ging als erster Interpret aus diesem hervor, im Mai belegte er mit "You Let Me Walk Alone" in Lissabon den vierten Platz. In dieser Woche sind nun sechs Kandidaten in Berlin, um gemeinsam mit 24 Komponisten, Textern und Produzenten an ihren Songs für den Vorentscheid "Unser Lied für Israel" zu arbeiten.
Herr Schreiber, es findet nun das zweite Song Writing Camp statt - ist das schon ein Termin mit ein bisschen Routine?
Thomas Schreiber: Nein, eine Routine kann ich nicht entdecken. Wir haben neue Kandidaten und neue Songwriter. Jeden Tag arbeiten Teams mit den Kandidaten in neuen Kombinationen zusammen, sodass für sie jeder Tag aufs Neue aufregend ist.
Worum geht es bei diesen Camps eigentlich genau?
Schreiber: Es gibt für die Songwriter und Künstler unterschiedliche Motivationen, zu diesem Songcamp zu gehen. Für die Künstler ist es die Chance, mit Songwritern zusammenzusitzen, mit denen zu arbeiten, wozu sie sonst keine Möglichkeit hätten. Wir fragen - und hoffen: Springt ein Funke über - oder nicht? Das ist der Punkt, um den es bei allen Teams geht. Und die Songwriter arbeiten in Konstellationen zusammen, in denen sie noch nicht gearbeitet hatten. Sie treffen auf Kollegen, die sie außerhalb des Songcamps vielleicht nicht oder nicht immer so leicht kennenlernen würden.
Aber Sie können nicht wissen, ob es Funken schlagen wird oder nicht?
Schreiber: Nein, ob aus Inspirationen oder Gedanken Lieder werden, weiß man morgens um 10 Uhr, wenn die Teams für den Tag zusammengestellt werden, noch nicht. Aber alle haben Lust am Prozess des Entwickelns. Gestern saßen sie bis in den späten Abend zusammen - das zeigt, wie ernst sie diesen künstlerischen Prozess nehmen.
Wie groß ist der Druck nach Michael Schultes gutem Ergebnis?
Schreiber: Für wen?
Für die ARD, für den ESC in Deutschland, für Sie?
Schreiber: Der ist jedes Jahr gleich groß und aufs Neue groß. Jedes Jahr beginnt alles von vorn, man kann sich auf keinem guten Vorjahresergebnis ausruhen. Wir sind allerdings zuversichtlich, dass wir mit den beiden Jurys einen Weg bei der Auswahl unserer Künstler und der Songs gefunden haben, mit dem wir die Sichtweise derjenigen, die im Mai in Tel Aviv über den Auftritt entscheiden werden, mit bedenken. Das ist eine Qualitätssteigerung beim Vorentscheid, die wir vorher nicht hatten.
Können Sie das im Hinblick auf den ESC konkretisieren?
Schreiber: Die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, die GIZ, hat einmal weltweit eine Studie gemacht: Wie wird Deutschland in der Welt gesehen? Heraus kam, dass Deutschland mit einem Elefanten oder einem Nashorn verglichen wird. Das muss man erst einmal zur Kenntnis nehmen. Wir müssen uns also fragen: Unter welchen Bedingungen fliegen Deutschland beziehungsweise jemandem, der Deutschland repräsentiert, Sympathien zu? Immer, wenn wir klein, bescheiden, witzig, kreativ aufgetreten sind - Guildo Horn, Max Mutzke, Lena, auch Michael Schulte - haben wir positiv abgeschnitten. Und das sind Themen, die wir den Songwritern mitgeben können, ehe sie ihre Arbeit beginnen.
Hatten Sie bei der Auswahl der Songwriter bestimmte Vorstellungen?
Schreiber: Wir legten Wert darauf, dass unter den Songwritern nicht nur die klassischen ESC-Leute sind, sondern dass Sie grundsätzlich für den Song Contest offen sind. Manche hatten mit dem ESC schon zu tun, etwa diejenigen, die Michael Schultes "You Let Me Walk Alone" mitgeschrieben haben. Beim Briefing vorigen Sonntag haben wir gesagt: Es soll nicht zuerst ein Radiotitel werden, sondern ein Song, der sich in einer TV-Show mit vielen Liedern von den anderen abhebt. Ein Lied und der Auftritt haben nur drei Minuten, das ist die objektive Begrenzung - und in den meisten Ländern, in denen abgestimmt wird, kennt man das Lied noch nicht aus dem Radio. Der ESC ist ja keine Musiksendung, sondern eine Fernsehshow. Nur wenn ein Künstler ein Lied singt, das berührt, kann es als Kunstwerk über die Show hinaus wahrgenommen werden.
Wer wird in "Unser Lied für Israel" in der Expertenjury sitzen?
Schreiber: Die Namen geben wir erst in der Sendung bekannt, es sind 20 Experten aus 20 Ländern.
Haben Sie die Idee von Ivor Lyttle, Herausgeber des Fanmagazins "Euro Song News" aufgegriffen, dass man die TV-ESC-Kommentatoren als Experten mit einbindet?
Schreiber: Nein, das haben wir für das nächste Jahr noch nicht geschafft, vielleicht bedenken wir das für das Jahr darauf. Wir haben uns auf Experten konzentriert, die für ihr Land bereits als Jury-Mitglied beim ESC abgestimmt haben.
Wird es die angekündigte Roadshow geben?
Schreiber: Ja, in der zweiten Novemberhälfte in Leipzig, Hannover, Bochum, Frankfurt und beim großen Clubtreffen in Köln.
Gibt es schon einen Termin für den Vorentscheid "Unser Lied für Israel"?
Schreiber: Voraussichtlich in der zweiten Februarhälfte.
Haben Sie Promotionpläne für den deutschen Act, der nach Israel fahren wird?
Schreiber: Wir werden in Europa präsent sein, in Amsterdam, in London und wir werden zeitnah nach Israel fahren.
Auch in Tel Aviv bei den Preview-Shows?
Schreiber: Vermutlich.
Warum heißt die Vorentscheidung "Unser Lied für Israel" und nicht "Unser Lied für Tel Aviv"? Üblicherweise wird ja bei "Unser Lied für ..." die Gastgeberstadt genannt.
Schreiber: Naja, wir hießen lange "Unser Song für ...". ULFI - klingt doch gut, oder? Das ist fast wie "Unser Song für Oslo" - USFO. Die Verortung, dass der ESC 2019 in Israel stattfindet, war uns wichtig.