Die schönsten ESC-Texte aller Zeiten
Beim Eurovision Song Contest dreht sich textlich alles um "Love Love Peace Peace", wie Petra Mede und Måns Zelmerlöw 2016 im Interval-Act des ESC in Stockholm behaupteten, oder? Weit gefehlt! Natürlich ging es in den vergangenen 65 Jahren häufig um die Themen Liebe und Frieden, doch das ist für Unterhaltungsmusik alles andere als ungewöhnlich. Tatsächlich sind die Sujets der mittlerweile über 1.500 Beiträge ausgesprochen vielfältig und zuweilen auch ein wenig skurril. Die Wiener Volkshochschule feiert nun den 70. Geburtstag der Europäischen Rundfunkunion (EBU) mit einer Hommage an die schönsten ESC-Texte, in der Ausstellung "Poesie, 12 Points! Wortspuren aus sieben Jahrzehnten Song Contest".
Poesie auf hohem Niveau
Noch bis zum 30. April können Freunde der musikalischen Dichtkunst darüber entscheiden, welcher Text auf gar keinen Fall in der Ausstellung fehlen darf. Abgestimmt werden kann auf den Facebook-Seiten der Volkshochschule, des österreichischen und des deutschen Fanclubs. Nicht wenige Texte erweisen sich bei näherem Hinsehen als Poesie auf hohem Niveau. Vor allem die Österreicher legten in der Vergangenheit großen Wert auf gepflegte Songlyrik. Nicht umsonst gilt ihr Beitrag "Falter im Wind" ("die Zeit, die verrinnt wie Sand in der Hand, verweht, verbrannt") aus dem Jahr 1972 in Edinburgh als einer der schönsten in deutscher Sprache. Auch "Die Zeit ist einsam" aus dem Jahr 1986 in Bergen ("sie ist müde dich zu suchen und bleibt steh'n") erfreut bis heute die Liebhaber niveauvoller Liederdichtung.
Übersetzung killt Lyrik
Die Textqualtät lässt sich häufig nur in der Muttersprache erkennen - und so bleibt der Reiz geschliffener Formulierungen bei der Übersetzung meist auf der Strecke. Die verdiente Webseite "Diggiloo Thrush", die leider seit 2013 nicht mehr fortgeführt wird, ermöglicht dem interessierten Fan zwar zu verstehen, um was es in den Beiträgen geht. Doch welchen poetischen Nerv Carlos do Carmo 1976 in Den Haag mit der Zeile "Não há flor, não há flor de verde pinho" bei seinen portugiesischen Landsleuten trifft, lässt sich anhand der Übersetzung "es gibt keine, es gibt keine tannengrüne Blume" kaum ermessen. So haben sich ganze Kommentatorengenerationen über die Texte der konkurrierenden Beiträge lustig gemacht - und dabei vor allem ihre Unkenntnis zur Schau gestellt.
Patriotismus und Propaganda
Deutlich häufiger als in den Produktionen des Mainstream-Musikgeschäfts finden sich beim ESC Texte patriotischen Inhalts. Schon der allererste Beitrag in der Song-Contest-Geschichte in Lugano 1956 handelt von den "Vogels van Holland", die "zo muziekaal" sind, dass die Vögel in Frankreich, Japan oder China auf gar keinen Fall mithalten können. Wer also über "Griechenland, Land des Lichts" ("Ellada, chora tou fotos", 1993 in Millstreet), "Lapponia" ("Finnland", 1977 in London) oder die "Hora din Moldova" (2009 in Moskau) singt, hat offenbar nicht nur die eigene Musikkarriere im Sinn. Besonders gerne werden auch die beim Eurovision Song Contest offiziell nicht erlaubten politischen Botschaften zu Gehör gebracht, wie im Falle des armenischen Beitrags "Face The Shadow", 2015 in Wien, der sich mit der Leugnung des armenischen Genozids beschäftigte ("face every shadow you denied").
Sozialkritische Botschaften
Auch gesellschaftliche Missstände sind ein beliebtes Thema der ESC-Lyrik. In "Zwei kleine Italiener" singt Conny Froboess schon 1962 in Luxemburg über die Einsamkeit ausländischer Arbeiter in Deutschland, Katja Ebstein trägt mit "Diese Welt" 1971 in Dublin einen der ersten Songs über Umweltschutz im Wettbewerb vor und die Schweizerin Simone Drexel (1975 in Stockholm) singt in "Mikado" darüber, wie die kapitalistische Leistungsgesellschaft Menschen in die Obdachlosigkeit treibt. Französische Beiträge packen besonders gerne heiße Eisen an: So prangert Amina (1991 in Rom) in "Le dernier qui a parlé" die Unterdrückung der Frau in den arabischen Ländern an, während Nina Morato drei Jahre später in Dublin nicht weiß, wie sie ihrem Freund gestehen soll, dass sie eigentlich "un vrai garçon" - also lesbisch - ist. Und das lange vor den LGBTQI-Ikonen Dana International und Conchita Wurst.
Tragisch und lustig liegen dicht beieinander
Hinter manch einschmeichelnder Melodie verbirgt sich ein unvermutet tragischer Text. Wer würde bei dem französischen Beitrag "La source" von Isabelle Aubret (1968 in London) vermuten, dass es darin um ein Mädchen geht, das von drei Männern vergewaltigt und ermordet wird? Oder bei "Je suis l'enfant soleil" von Anne-Marie David (1979 in Jerusalem) um einen während der Naziherrschaft in Frankreich untergetauchten Juden, der denunziert und von der Gestapo abgeholt wird? Es gibt aber auch überraschend lustige Themen beim ESC. So handelt der schwedische Beitrag "Sol och vår" aus dem Jahr 1962 von einer jungen Frau, die von einem Mann zum Mittagessen eingeladen wird. Im Restaurant entschuldigt er sich kurz, kommt aber nicht zurück - denn er hat die Zeche geprellt und ist zu allem Überfluss auch noch mit dem Pelzmantel der jungen Frau verschwunden.