Stefan Raab: Der Meister des ESC dankt ab
Man muss seinen Aufstieg vom Beginn an erzählen: 1998 war Stefan Raab eine aufstrebende starke Nummer im privaten Fernsehen. Er hatte so Sachen - eher Animationsnummern als Lieder - auf Heavy Rotation gebracht wie "Hier kommt die Maus" oder "Böörti Böörti Vogts". Für ihn waren das typische Veralberungen von für Deutsche sehr ernsthaften Dingen: Fußball und Kinderfernsehen.
Weg vom Schlagermief
Die erste große Stunde kam für ihn aber im selben Jahr in Birmingham. Guildo Horn war der deutsche ESC-Act. Der Trierer hatte mit seinen Orthopädischen Strümpfen bei der deutschen Vorentscheidung mal kurz den ganzen deutschen Schlagermief ausgelüftet, und Stefan Raab war Komponist und Texter von "Guildo hat euch lieb". Die Pointe: Raab trat am Abend des ESC-Finales, als Guildo Horn auf die Bühne trat, ans Dirigentenpult, um wie es früher üblich war, das Lied zu intonieren. Das war allerdings gar nicht mehr notwendig, das Orchester war nur noch für einige Lieder nötig, denn der Sound kam vollständig vom Band. Doch Raab liebte den ESC, dessen Geschichte, dessen Rituale. Also auch das Orchesterpult: So dirigierte er sozusagen ins Nichts und hatte sichtlich seine Freude daran.
Raab erobert ESC-Bühne
Die echte Schlagerwelt war natürlich empört, auch zwei Jahre später, als Raab mit "Wadde hadde dudde da" die deutsche Vorentscheidung vor Corinna May gewann und in Stockholm mit diesem funky-deutschen Popsong den fünften Platz belegte. Längst war erkennbar, dass für den gelernten Metzger und manischen Performer der ESC keine Show war, die er mal so mitnahm, sondern dass er den Wettbewerb liebte, die Konkurrenz, das Spiel um Punkte und Platzierungen.
Jahre später, 2010 in Oslo als Lena den ESC gewann, sagte er in einem "Spiegel"-Interview, was er am ESC mag: "Der Wettbewerb. Wettbewerb mag ich immer. Hier werden nicht zwei Fußballmannschaften verglichen, sondern Äpfel mit Birnen und Aprikosen und Trauben und Bananen. Der eine Song ist eine Ballade, der andere ein Up-Tempo-Song - so eine Veranstaltung gibt es sonst kein zweites Mal auf der ganzen Welt, und das macht sie spannend. Und lustig. Mich interessiert am Song Contest der Spaß."
In Stockholm war Raab ein Liebling der anderen Musiker. Sein extraordinär gründliches Wissen von allen Stilen der Popmusik, sein absolutes Gehör, was Hooklines und Vibes anbetrifft, sein Empfinden für die Herzenseingängigkeit eines Liedes verschaffte ihm unter beinah allen Stockholmer Konkurrenten extremen Respekt. Und man lernte in der schwedischen Hauptstadt auch dies mit ihm: Prominenz im deutschen Entertainment ist nicht davon abhängig, sich mit der "Bild-Zeitung" gut zu stellen. Raab wurde von Reportern dieses Blatts heftig gestalkt - und der wollte das nicht. Hielt die Boulevardreporter fern, wollte sich nicht verbrüdern mit denen, die er als geschmacklos empfand.
2004 offerierte Raab in Kooperation mit dem NDR eine Castingshow, die es bis dahin nicht gab: "Stefan-Sucht-Den-Super-Grand-Prix-Star" hieß die Pro7-Show. Max Mutzke gewann das Ding - und schließlich auch den deutschen Vorentscheid gegen prominente Konkurrenz wie Scooter, Sabrina Setlur und Westbam, MIA und Laith Al-Deen.
Raab zeigt, wo der Hammer hängt
Raab hatte gezeigt, wo der Hammer hängt - und der hieß Max Mutzke, Schützling der eine, Mentor der andere. Freilich: Aus Stefan Raabs Sicht endete das ESC-Ding 2004 in Istanbul vielleicht nicht mit einem Desaster, doch mit einer tiefen Kränkung. Max Mutzkes "Can't Wait Until Tonight" landete auf dem vorzüglichen achten Platz, aber Raab dachte, dass der Sieg hätte drin sein müssen. Der Kölner, längst der Talk- und Veralberungsmaster schlechthin mit "TV total", begleitete Mutzke auf der Bühne mit der Gitarre - aber das Lied zündete nicht so ganz.
Er wirkte nach dem Istanbuler Finale tief enttäuscht. Und das war auch logisch, denn Raab war längst bekannt als einer, der den ESC wie eine Zwingburg nahm, die er unbedingt würde erobern müssen. Dieser Mann, so wissen wir seit er Show-Formate wie "Schlag den Raab" und die "Wok-WM" oder andere ins Absurde gehende Abendveranstaltungen ins Fernsehen hievte, war ein ewiger Kämpfer. Für ihn ist der zweite Platz der erste Verliererrang.
- Teil 1: Weg vom Schlagermief
- Teil 2: Märchen von osteuropäischer Blockwertung