Politiker fordern ESC-Lieder auf Deutsch
Kürzlich war der "Tag der deutschen Sprache" und der wäre weitgehend unbeachtet geblieben, wenn die in Bremen beheimatete CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann nicht eine Forderung formuliert hätte, die direkt in unsere eurovisionären Herzen zielte.
Der deutsche Beitrag bei einem ESC solle deutsche Kultur repräsentieren. "Wir sollten unsere schöne Sprache selbstbewusster gebrauchen und ihre Bedeutung als Schlüssel für ein gutes Gemeinschaftsleben in unserer Gesellschaft hervorheben", sagte Motschmann.
So weit, so richtig. Auch dieser Satz, den sie ihrer ersten Aussage anfügte, ist nicht falsch: "Viele Musikinterpreten in unserem Land singen erfolgreich deutsch und sind damit wichtige Sprachbotschafter." Denn "unsere Sprache ist wesentliches Element einer gewachsenen deutschen Kultur". Und: "Alle gesellschaftlichen Akteure sind gefordert, eine übermäßige Verwendung von Anglizismen zu vermeiden und ein gutes, verständliches Deutsch zu gebrauchen."
Es kommt darauf an, im Ausland verstanden zu werden
Fragt sich nur, ob sich die Bundestagsabgeordnete jemals näher mit dem ESC befasst hat. Die Sprachregel überlässt es seit 1999 den Ländern selbst, in welchem Idiom sie ihre ESC-Beiträge singen lassen möchten. Die Initiative, die Vorschrift fallen zu lassen, ESC-Lieder nur in (einer) der Heimatsprache(n) interpretieren zu lassen, ging von kleinen Ländern aus. Estland etwa, ebenso Schweden, Dänemark und Österreich, aber auch Russland und Deutschland wollten diese Regel nicht mehr. Denn es komme darauf an, dass man im Ausland verstanden wird, so der NDR damals. Verstanden und gemocht zu werden gehört nun einmal zu den Voraussetzungen einer jeden erfolgreichen Performance beim ESC.
Deutsch, Lettisch, Schwedisch, Dänisch oder Niederländisch sind jedoch nicht die Sprachen, die unmittelbar verstehbar scheinen. Außerdem arbeiten zwar viele deutschsprachige Künstler auf Deutsch, aber sofern sie international Erfolg haben wollen, arbeiten sie im englischsprachigen Modus. Englisch ist nun einmal die Sprache des Pop.
Insofern müsste jemand Frau Motschmann erklären, dass es beim ESC nicht darauf ankommt, dass das Lied der eigenen Bevölkerung gefällt, diese darf ohnehin nicht beim ESC für den eigenen Beitrag stimmen. Man muss den eigenen ESC-Act sozusagen zustimmungsfähig verpacken, und das geht meist in englischer Sprachhülle.
Mit Deutsch zuletzt nur auf Platz 19
Der Hamburger Roger Cicero sang 2007 in Helsinki auf Deutsch und war der bisher letzte deutsche Teilnehmer, der seine Muttersprache verwendete. Der leider viel zu jung verstorbene Jazzer schnitt mit "Frauen regier'n die Welt" allerdings schlecht ab, er wurde mit seiner Band kaum beachtet und belegte den 19. Rang.
Ob Stefan Raab mit seinem"Wadde hadde dudde da" vor den Augen Frau Motschmanns Gnade gefunden hätte - das war immerhin ein deutscher Text - ist allerdings offen: Sie fordert nämlich "ein gutes, verständliches Deutsch zu gebrauchen". Nun ja: In gutem, modernem Deutsch war das im Jahr 2000 fünftplatzierte Lied ja vorgetragen. Aber verständlich? Nun, man darf zweifeln.
Englisch ist die eurovisionärste Sprache
Insofern: Die Forderung der CDU-Kultursprecherin ist womöglich der politischen Stimmung in unserem Land und den Wahlkämpfen in Bayern und Hessen geschuldet. Deutsches über allem? Der ESC ist gut mit der Freiheit der Sprachenwahl gefahren. Man lernte: Man konnte in einer Heimatsprache gewinnen (Marija Serifovic 2007, Jamala 2016, Salvador Sobral 2017) oder auf Englisch (Conchita Wurst 2014, Lena 2010, Loreen 2012).
Vorschriften national gesinnter Art aber zu formulieren: Das ist gegen den Geist des Eurovisionsfestivals. Englisch ist seit 20 Jahren die eurovisionärste Sprache des ESC.